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2. Volksgerichtshof und Sondergerichte

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Während der Kriegszeit wurden die Zuständigkeiten des Volksgerichtshofs und der Sondergerichte erheblich ausgeweitet, vor allem auf solche Straftaten, die sich gegen die Wehrkraft und damit den Endsieg richteten, wie etwa die Wehrkraftzersetzung und Wehrdienstentziehung.[186] Spätestens mit der Ernennung Freislers zum Präsidenten des Volksgerichtshofs im August 1942 verschärfte sich auch allgemein die Rechtsprechung des Volksgerichtshofs. Allein im Jahr 1942 verhängte der Volksgerichtshof fast 1200 Todesurteile, im Vergleich zu 240 Todesurteilen in den Jahren 1937 bis 1941 (bei gut 4000 Angeklagten in diesem Zeitraum). Die Quote der Todesurteile lag von 1942 bis 1944 bei knapp 50 % aller Anklagen. Bemerkenswert ist allerdings, dass die Freispruchsquote im Jahr 1944 bei gut 11 % lag.[187]

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Die sachliche Zuständigkeit der Sondergerichte wurde auch im Bereich der „normalen“, nicht politisch motivierten Kriminalität ausgedehnt,[188] wodurch die Sondergerichte eine wesentliche Rolle in der Verfahrenswirklichkeit einnahmen und die Bedeutung der ordentlichen Strafjustiz zurückdrängten.[189] Die Staatsanwaltschaft hatte bei Verbrechen nach Art. I der VO über die Erweiterung der Zuständigkeit der Sondergerichte vom 20. November 1938[190] ein Wahlrecht zur Anklage vor den Sondergerichten, wenn „mit Rücksicht auf die Schwere oder die Verwerflichkeit der Tat oder die in der Öffentlichkeit hervorgerufene Erregung die sofortige Aburteilung durch das Sondergericht geboten ist“. Mit Kriegsbeginn wurde das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft, bei einer schweren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die Tat beim Sondergericht Anklage zu erheben, auf Vergehen ausgedehnt.[191] Um den Anstieg der sondergerichtlichen Strafverfahren zu bewältigen, konnte der Reichsjustizminister nun Sondergerichte auch für die Bezirke der Landgerichte einrichten. Die praktische Bedeutung des Sondergerichtsverfahrens war ein Grund dafür, dass eine Gesamtreform des Strafverfahrensrechts im nationalsozialistischen Sinne nicht notwendig war. Durch das Wahlrecht der Anklage zum Sondergericht konnte die Staatsanwaltschaft nicht nur das Hauptverfahren beeinflussen, sondern auch das Rechtsmittelverfahren gestalten, da schlicht kein Rechtsmittel gegen die Sondergerichtsurteile bestand, sondern nur die Nichtigkeitsbeschwerde des Oberreichsanwalts. Auch das Recht auf den gesetzlichen Richter nach § 16 GVG war durch das Wahlrecht der Staatsanwaltschaft nicht nur einem „starken Sinnwandel unterworfen“,[192] sondern faktisch aufgehoben. Durch die noch weiter abgekürzte Ladungsfrist bzw. die Möglichkeit der sofortigen Aburteilung[193] wurde die Verteidigung des Beschuldigten wesentlich erschwert, so dass sich Freislers Charakterisierung der Sondergerichte als „Panzertruppe“ der Strafrechtspflege[194] semantisch zwar als Propaganda, in der Sache aber als zutreffend erweist.

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Da keine Rechtsmittel gegen Urteile der Sondergerichte statthaft waren, erschwerte die Vielzahl der sondergerichtlichen Verfahren eine einheitliche Rechtsanwendung. Das Änderungsgesetz vom 16. September 1939 gab dem Oberreichsanwalt daher die Möglichkeit, einen „außerordentlichen Einspruch“ gegen rechtskräftige Urteile, auch gegen solche der Sondergerichte, einzulegen, über die dann der Besondere Strafsenat des Reichsgerichts entschied.[195] Durch Art. 5 der ZuständigkeitsVO vom 21. Februar 1940 wurde dann zusätzlich die Nichtigkeitsbeschwerde gegen Urteile der Sondergerichte zum Reichsgericht eingeführt, die der Oberreichsanwalt – aber nicht der Verurteilte – binnen eines Jahres nach Eintritt der Rechtskraft einlegen konnte, wenn das Urteil aufgrund einer materiell fehlerhaften Rechtsanwendung der festgestellten Tatsachen „ungerecht“ war.[196] Ab 1942 legte der Oberreichsanwalt die Nichtigkeitsbeschwerde meist zu Lasten des Verurteilten ein.[197]

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