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1. Allgemeine Änderungen

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Bereits kurz nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler wurde das Strafverfahrensrecht – zunächst noch durch Notverordnungen des Reichspräsidenten auf Grundlage von Art. 48 Abs. 2 WRV – als Waffe gegen die Opposition in Stellung gebracht. Die VO zum Schutz des deutschen Volkes vom 4. Februar 1933 stellte nicht nur die Teilnahme an nicht-genehmigten öffentlichen Versammlungen und das Verbreiten von Druckschriften, „deren Inhalt geeignet ist, die öffentliche Sicherheit oder Ordnung zu gefährden“, unter Strafe, sondern erstreckte das Schnellverfahren gem. § 212 RStPO auf die neuen Straftatbestände und allgemein auf alle zur Zuständigkeit der Amtsgerichte gehörenden Strafsachen, „die an öffentlichen Orten, in Versammlungen oder durch Verbreitung oder Anschlag von Schriften, Abbildungen oder Darstellungen begangen worden sind.“[120] Die VO des Reichspräsidenten vom 28. Februar 1933 zum Schutz von Volk und Staat (sog. ReichstagsbrandVO) setzte die ohnehin schwachen Grundrechte der WRV außer Kraft und erlaubte ausdrücklich Beschränkungen der persönlichen Freiheit und der Unverletzlichkeit der Wohnung auch „außerhalb der sonst hierfür bestimmten gesetzlichen Grenzen“.[121] Eine weitere VO vom selben Tag richtete sich gegen den „Verrat am Deutschen Volke und hochverräterische Umtriebe“, verschärfte dazu die bestehenden Strafandrohungen und schuf neue Tatbestände, für die erstinstanzlich das Reichsgericht zuständig wurde, wobei zur Verfahrensbeschleunigung die Voruntersuchung entfallen konnte.[122] Das Gesetz gegen Verrat der Deutschen Volkswirtschaft vom 12. Juni 1933 führte die strafbewehrte Pflicht ein, im Ausland befindliche Vermögenswerte den Reichsfinanzbehörden anzuzeigen. Zuständig für die Aburteilung waren die neu geschaffenen Sondergerichte, die auch auf das Abwesenheitsverfahren nach §§ 276, 278 ff. RStPO zurückgreifen konnten.[123]

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Mit dem sog. Gewohnheitsverbrechergesetz vom 24. November 1933 wurde das zweispurige Sanktionensystem im Strafrecht eingeführt.[124] Diese Novelle beruhte nicht auf originär nationalsozialistischem Gedankengut. Sonderregelungen zur „Behandlung der gefährlichen Gewohnheitsverbrecher“ wurden seit Jahrzehnten – nicht nur in Deutschland – diskutiert[125] und die einzelnen Paragraphen folgten teilweise wortgleich dem Radbruch-Entwurf von 1922 bzw. den Regierungsentwürfen aus den Jahren 1929/1930.[126] Im halbamtlichen Schrifttum wurde das Gesetz als erster großer „Markstein“ der Erneuerung der Strafrechtspflege gefeiert. Endlich habe der Schutz der Volksgemeinschaft „unbedingten Vorrang vor den Belangen des Individuums, insbesondere des verbrecherischen und minderwertigen Rechtsbrechers“ erhalten.[127] Das Ausführungsgesetz zum Gewohnheitsverbrechergesetz vom selben Tag[128] enthielt zahlreiche Änderungen der RStPO zur verfahrensrechtlichen Umsetzung des „Sicherungsstrafrechts“, aber auch eigenständige Regelungen, die zum großen Teil inhaltlich noch heute gelten. Zu nennen sind Vorschriften für körperliche Untersuchungen und erkennungsdienstliche Behandlungen in §§ 81a, b RStPO, für die Unterbringungshaft (§ 126a RStPO), für die Begutachtung des Beschuldigten im Hinblick auf die Maßregelanordnung, für das eigenständige Sicherungsverfahren, wenn ein Strafverfahren wegen Zurechnungsunfähigkeit nicht durchgeführt werden kann, und Sondervorschriften für die Maßregelvollstreckung. Zum Schutz des Beschuldigten war die Verteidigung für solche Fälle notwendig, in denen die Anordnung einer Maßregel zu erwarten war. Auch war eine Maßregelanordnung in Verhandlungen gegen einen abwesenden Angeklagten unzulässig.

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Neben dem „politischen“ Strafverfahrensrecht gab es auch „unverdächtige“ Änderungen. Die VO vom 17. Juni 1933 erleichterte die Zustellung von Schriftstücken.[129] Mit Gesetz vom 24. November 1933[130] wurden die §§ 57 bis 66 RStPO neu gefasst, um die Eidesleistungen einzuschränken, denn es hatte sich seit längerem gezeigt, dass die umfassende Eidespflicht zu einer Vielzahl von Meineidsverfahren geführt hatte.[131] Der Voreid wurde durch den Nacheid ersetzt, die Vereidigungsverbote wurden ausgedehnt und das Gericht konnte nach seinem Ermessen im größeren Umfang von der Vereidigung absehen.

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Das Gesetz vom 16. Februar 1934[132] regelte die Überleitung der Rechtspflege auf das Reich und gab dem Reichspräsidenten neben dem Begnadigungsrecht auch das Recht, anhängige Strafsachen niederzuschlagen. Nachdem Hitler nach dem Tod von Hindenburgs im August 1934 die Befugnisse des Reichspräsidenten übernommen hatte, machte er in Verfahren gegen Nationalsozialisten nach eigenem Ermessen vom Niederschlagungsrecht Gebrauch und schwächte damit das Legalitätsprinzip.[133]

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