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3. Sonderregelungen für „Volksschädlinge“ und „Fremdvölkische“
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Die VO gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939[198] fungierte mit weit gefassten und unbestimmten Tatbeständen als Kernstück des nationalsozialistischen Kriegsstrafrechts. Gegen Volksschädlinge musste in allen Verfahren vor den Sondergerichten, die in der Regel zuständig waren,[199] die Aburteilung sofort und ohne Einhaltung von Fristen erfolgen, wenn der Täter auf frischer Tat betroffen worden war oder seine Schuld sonst offen zutage lag. Mit Beschuldigten, die nach der NS-Ideologie als Volksschädlinge galten, wurde also in der Tat „kurzer Prozess“ gemacht.[200] Dies diente nicht nur der Verfahrensbeschleunigung, sondern auch als „ein wesentliches Mittel zur Verwirklichung des erstrebten Abschreckungszweckes“.[201]
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Eine weitere Eskalationsstufe des nationalsozialistischen Strafverfahrensrechts war die VO über die Strafrechtspflege gegen Polen und Juden in den eingegliederten Gebieten vom 4. Dezember 1941,[202] mit der das Reichsjustizministerium einen letzten Rest an Einfluss über die Strafjustiz in den Ostgebieten bewahren wollte. Alle Anklagen gegen Polen und Juden konnten vor den Sondergerichten erhoben werden. Die Beschuldigten hatten kein Ablehnungsrecht gegen Richter wegen Besorgnis der Befangenheit. Abweichungen vom grundsätzlich geltenden allgemeinen Strafverfahrensrecht waren stets zulässig, „wo dies zur schnellen und nachdrücklichen Durchführung des Verfahrens zweckmäßig“ war. Durch diese Möglichkeit der „Auflockerung“ nach Praktikabilitätserwägungen galt für die nach der nationalsozialistischen Vorstellung minderwertigen Volksgruppen nun endgültig ein strafverfahrensrechtsfreier Raum. Dieser wurde unter Reichsjustizminister Thierack sogar noch weiter ausgedehnt, indem ab 1943 die Verfolgung strafbarer Handlungen von Juden vollständig der Justiz entzogen und der Polizei übergeben wurde.[203]
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Aus Sicht der nationalsozialistischen Ideologie waren die Sonderregelungen für Personen, die schlechthin nicht zur Volksgemeinschaft gehörten, durchaus konsequent. Denn bei diesen Nicht-Volksgenossen kam eine Reinigung des Volkskörpers durch eine strafrechtliche Sanktion einerseits oder die Wiederherstellung der Ehre durch einen Freispruch andererseits (vgl. Rn. 37 f.) von vornherein nicht in Betracht. Es ging schlicht um die Sanktionierung der Verletzung der „Gehorsamspflicht“[204] von Polen und Juden gegen den deutschen Machtanspruch und damit um den Einsatz der Strafjustiz zur Umsetzung der nationalsozialistischen Rassenideologie.