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3. Verfahrensgrundrechte im Strafprozess

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Das Grundgesetz enthält auch eine Reihe von Rechtsgewährleistungen des Bürgers gegenüber der Justiz. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Verfassungsbeschwerdefähigkeit werden diese als „Justizgrundrechte“ bezeichnet und gelten (nicht nur, aber selbstverständlich auch und) teilweise sogar exklusiv im Strafverfahren. Die wahrscheinlich wichtigste spezifisch strafrechtliche Garantie in Gestalt von Art. 103 Abs. 2 GG betrifft zwar das materielle Recht; doch andere ebenfalls wichtige Garantien haben das Verfahren(srecht) im Blick:[80]

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a) Der Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 GG) soll Eingriffe unbefugter Dritter in Gerichtsverfahren verhindern[81] und außerdem dadurch, dass die Entscheidungszuständigkeit bereits ante casum feststeht, dafür sorgen, dass sowohl der Betroffene als auch die Öffentlichkeit grundsätzlich in die Unparteilichkeit und Sachlichkeit des Gerichts vertrauen können. Die Garantie gilt nicht nur hinsichtlich des zuständigen Gerichts (als übergeordnete Organisationseinheit), sondern auch für die Festlegung des konkreten Spruchkörpers bis hin zu der darin tätig werdenden konkreten Person.[82] Die hervorgehobene Bedeutung des gesetzlichen Richters erhellt etwa daraus, dass Besetzungs- und Zuständigkeitsverstöße nach § 338 Nr. 1 und 4 StPO als absolute Revisionsgründe geltend gemacht werden können. Spezifisch verfassungsrechtlich ist freilich zu beachten, dass Zuständigkeitsmängel, die auch zu einem Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 S. 2 GG führen, in Abgrenzung von bloßen „errores in procedendo“ nur bei willkürlicher Verkennung der Zuständigkeit vorliegen.[83]

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b) Als weitere zentrale Garantie stellt sich der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG dar. Die Bedeutung ergibt sich auch daraus, dass die Rüge seiner Verletzung bei erfolgreichen Verfassungsbeschwerden eine durchaus exponierte Position einnimmt bzw. eingenommen hat.[84] Die Garantie des rechtlichen Gehörs wird traditionell weit verstanden und mit gewissen „Vor- und Nachwirklungen“ neben dem eigentlichen Äußerungsrecht bedacht, so dass davon auch ein Anspruch auf Information als Grundlage einer effektiven Äußerung, ein Recht zur Äußerung selbst sowie ein Anspruch auf Beachtung der Äußerung geschützt ist[85] (auch wenn das BVerfG insb. mit Blick auf diesen letztgenannten Gesichtspunkt betont, dass Art. 103 Abs. 1 GG keinen „Anspruch auf ein Rechtsgespräch“ gewähre[86]). Vor dem Hintergrund dieses weiten Verständnisses der Vorschrift stellen etwa die §§ 226, 230, 239, 243 Abs. 4, 257 oder 258 StPO ebenso wie das Beweisantragsrecht oder das Dolmetschererfordernis des § 185 GVG Ausprägungen des Anspruchs auf rechtliches Gehör dar.[87]

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Grenzen dieser (durch §§ 33, 33a, 311 und § 356a StPO auch einfachgesetzlich abgesicherten) Garantie ergeben sich zunächst daraus, dass insb. der Angeklagte nur die Möglichkeit haben muss, sich zu äußern, Entscheidungen aber auch getroffen werden können, wenn er sich dieser Möglichkeit mutwillig verschließt. Des Weiteren ergibt sich schon aus der Natur der Sache, dass bei zumindest vielen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen eine vorherige Anhörung des Betroffenen nicht möglich ist, so dass die nachträgliche Gewährung rechtlichen Gehörs (vgl. nochmals § 33a StPO) ausreichend sein muss. Demgegenüber sind – insbesondere gesetzlich nicht vorgesehene[88] – Einschränkungen durch richterliche Anordnungen in der Hauptverhandlung zumindest problematisch und bedürfen einer genauen Überprüfung und Begründung.

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Gewisse Berührungspunkte und damit Abgrenzungsprobleme zum Anspruch auf rechtliches Gehör bestehen zur Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG. Da dieser grundsätzlich nur den Rechtsweg zum, nicht gegen den Richter eröffnet, ist er originär insb. dort von Bedeutung, wo auch im Strafprozessrecht – generell oder bei Gefahr im Verzug – belastende Maßnahmen durch nicht-richterliche Personen angeordnet werden dürfen. Freilich entnimmt das Verfassungsgericht der Vorschrift auch die Garantie, dass bestehende Rechtsschutzmöglichkeiten durch den Bürger ausgenutzt werden können. Das kann etwa einen zu engen Begriff vom bestehenden Rechtsschutzbedürfnis verbieten[89] und Einfluss auf die Gestaltung der Rechtsbehelfsbelehrung haben.[90]

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c) Im Spannungsverhältnis zwischen Rechtssicherheit und Verwirklichung der materiellen Gerechtigkeit enthält der Grundsatz „ne bis in idem“ (Art. 103 Abs. 3 GG) eine Entscheidung für die Rechtssicherheit und verbürgt sogleich ein subjektives Recht des Einzelnen, nicht wegen einer Straftat (d.h. wegen derselben Tat im prozessualen Sinne[91]) wiederholt zur Verantwortung gezogen zu werden.[92] Dabei statuiert Art. 103 Abs. 3 GG nach ganz h.M. nicht nur ein Verbot der „Doppelbestrafung“, sondern – vorbehaltlich der engen Möglichkeiten einer Wiederaufnahme nach § 362 StPO – ein weitergehendes Verbot der nochmaligen Befassung nach einem Sachurteil (also auch der späteren Verfolgung nach einem rechtskräftigen Freispruch).[93] Soweit darüber hinaus auch bei anderen Entscheidungen im Verfahren (etwa in Fällen des § 153a oder des § 211 StPO) ein teilweiser Strafklageverbrauch angenommen wird, dürfte dieser nicht durch Art. 103 Abs. 3 GG abgesichert sein. Auch die Anwendung auf den Bereich des Ordnungswidrigkeitenrechts dürfte jedenfalls als strenge verfassungsrechtliche Garantie mit Blick auf den Wortlaut der Vorschrift abzulehnen sein (was einen Rückgriff auf allgemeine Vertrauensschutzgedanken nicht ausschließt). Auch gilt die Garantie des Art. 103 Abs. 3 GG selbst nur national, so dass für im Ausland erlittene Strafhaft eine Lösung auf Vollstreckungsebene über eine Anrechnung auf die in Deutschland zu verhängende Strafe (vgl. § 51 Abs. 3 StGB) gefunden werden muss. Auf europäischer Ebene finden sich freilich Erweiterungen insb. in Art. 54 SDÜ[94] bzw. Art. 50 EuGrCh.

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d) Art. 104 GG sichert als grundrechtsgleiches Recht bestimmte prozessuale Voraussetzungen bei Eingriffen in die Freiheit der Person und stellt insoweit ein formelles Gegenstück zur materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG dar.[95] Gefordert werden ein förmliches Gesetz als Befugnisnorm (Art. 104 Abs. 1 S. 1 GG) und die Entscheidung eines Richters (Art. 104 Abs. 2, 3 GG), über die grds. ein Angehöriger des Festgehaltenen oder eine Person seines Vertrauens zu benachrichtigen ist (vgl. Art. 104 Abs. 4 GG). Die strafprozessuale Bedeutung der Vorschrift liegt naturgemäß vornehmlich im Haftrecht.

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