Читать книгу Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts - Marco Mansdörfer - Страница 26

aa) Kritik am Menschenbild der Ökonomik

Оглавление

33

So berühmt das Bild des homo oeconomicus zwischenzeitlich geworden ist, so heftig ist die Kritik, der es sich ausgesetzt sieht[92]. Gegenstand dieser Kritik ist vor allem die dem klassischen Bild des homo oeconomicus zugrunde liegende Anthropologie, die sowohl normativ als auch empirisch unhaltbar sei:

34

Geradezu auf der Hand liegt der Hauptvorwurf, die Reduktion von Komplexität sei mit dem Bild des homo oeconomicus ins Extrem getrieben worden, so dass die wesentlichen Züge des Menschen verloren gegangen seien[93]. Die Kritik begnügt sich allerdings nicht mit solch einer grundsätzlichen Verwerfung des homo oeconomicus; sie richtet sich auch gegen die einzelnen Definitionsmerkmale selbst. Dies gilt zunächst für das Maß des von den Individuen angestrebten Eigennutzes. Uneinigkeit besteht hier darüber, ob erstens der homo oeconomicus sein Eigeninteresse maximieren oder lediglich befriedigen will, ob also das Maß des verfolgten Eigennutzes nicht seinerseits nach wirtschaftlichen Kriterien variiert, und ob zweitens nicht grundsätzlich von einer eingeschränkten Rationalität des Akteurs ausgegangen werden muss, ob also nicht „mehr harte Fakten der wirklichen Welt“ in die Theorie einbezogen werden müssen[94]. Die angedeuteten Schwächen können bereits am einfachen Fall des privaten Kapitalanlegers exemplifiziert werden, der sich mit dem Modell des homo oeconomicus nur schwer verarbeiten lässt.

Beispiel:

Obwohl beim privaten Kapitalanleger das erstrebte Eigeninteresse, die Realisierung einer gewissen Rendite, noch einfach zu definieren ist, hängt die konkrete Anlageform und damit das konkrete Verhalten von einer Vielzahl individueller Umstände ab. Solche Umstände sind etwa die Anlagedauer und die Verfügbarkeit des anzulegenden Kapitals, aber auch die eigenen Kenntnisse über den Kapitalmarkt, die Bereitschaft, die Anlage bei der Investition in einen stark volatilen Markt zu überwachen, die individuelle Risikobereitschaft und vieles mehr. Das Modell des homo oeconomicus versagt aber auch, wenn sich in dem Beispiel des Kapitalanlegers nicht nur eine, sondern mehrere Alternativen finden lassen, die das angestrebte Ziel bei gleichen Kosten in demselben Maße erreichen[95]. Vielleicht wird der Kapitalanleger sein Renditeziel anheben – damit wird das Modell des homo oeconomicus dynamisch; anstatt einer „bestimmten“ Rendite, versucht der Kapitalanleger in diesem Fall also eine „möglichst hohe“ Rendite zu erwirtschaften.

35

Unanfechtbar scheint die Kritik am homo oeconomicus dort, wo sie durch empirische Untersuchungen zuverlässig reproduzierbare Anomalien in den Rationalitätsannahmen aufzeigen kann[96]. Dazu sollen Experimente gehören, in denen der homo oeconomicus als Proband irrationale Verlustaversionen zeigt und einem rational erwartbaren sehr hohen Gewinn, den nur hohen, dafür sicheren Gewinn vorzieht. Andere Beispiele bieten Situationen, in denen der homo oeconomicus „ethisch“ statt ökonomisch handelt, indem er etwa anonym spendet oder Trinkgeld gibt.

36

Ob dieser Triumph wirklich unanfechtbar ist, sei an dieser Stelle dahingestellt. Vielleicht lassen sich aber gerade einige der angeblichen empirischen Anomalien doch rational durch Wahrnehmungsdefizite, durch Grenzinvestitionen in Informationen oder auch nur durch den abnehmenden Grenznutzen eines materiellen Gutes und der ab einem bestimmten Wohlstandsniveau angestrebten sozialen Anerkennung erklären[97].

Zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts

Подняться наверх