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3. Konsequenzen des eigenen Ansatzes für die nachfolgenden Überlegungen
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Wählt man als Grundlage für die Erklärung des Wirtschaftsstrafrechts einen methodischen Individualismus, wie er soeben vorgestellt und näher konkretisiert wurde, so hat dies weitreichende Konsequenzen:
Da eine für das Wirtschaftsstrafrecht wie für das Kernstrafrecht gleichermaßen gültige Dogmatik eingefordert wird, wird eine gänzlich eigenständige Rekonstruktion des Wirtschaftsstrafrechts für weite Bereiche überflüssig[138]. Dies gilt beispielhaft für das Gebiet der strafrechtlichen Produkthaftung, die im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung an den tradierten Tatbeständen zum Schutz der körperlichen Unversehrtheit oder des Lebens anknüpfen kann und soll. Ähnliches gilt für das Umweltstrafrecht, das auf ökonomisch eingebettete Sachverhalte in grundsätzlich gleicher Weise angewendet werden soll wie auf Fallkonstellationen jenseits dieses Kontexts.
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Konsequenzen hat der Ansatz aber auch für die Art und Weise, wie die ökonomisch und rechtlich maßgeblichen Rechtsgüter konkretisiert werden. Hier geht es darum, insbesondere das ökonomische Individualverhalten in den Zusammenhang verfassungsrechtlicher Vorgaben und korrespondierender wirtschaftstheoretischer Überlegungen zu stellen[139]. So können dann die gegenläufigen Entfaltungs- und Gütererhaltungsinteressen entwickelt werden, die die Grundlage für die Qualifikation eines Verhaltens als strafrechtlich zu missbilligende Gefahrenschaffung darstellen. Da der Einsatz des Strafrechts nur zum Schutz elementarer Rechtsgüter legitimiert werden kann und der Ausgangspunkt beim Einzelnen zu nehmen ist, sind freilich nur die elementaren Voraussetzungen für individuelles Wirtschaften schützenswert. Dabei stellen sich vor allem zwei Probleme: Zum einen handelt es sich um mehrere Handlungsvoraussetzungen und zum anderen ist rein tatsächlich eine unübersehbare Vielfalt von Einzelsituationen zu bewältigen. Es ist daher zum einen notwendig, in erheblichem Maße zu abstrahieren; zum anderen werden sich die im Einzelfall auftretenden Probleme hinreichend anschaulich nur an einigen ausgewählten Beispielen darstellen lassen.
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Weitere Folgen hat der gewählte methodische Ansatz für die Konkretisierung der strafrechtlichen Zurechnungsstrukturen. Die hier vertretene Form des Individualismus sieht den Einzelnen durchaus in der konkreten Gesellschaft, in der er anderen Gesellschaftsmitgliedern begegnet und in der er durch Interaktionen mit anderen seine individuellen Präferenzen zu verfolgen versucht. Zu solchem Zusammenwirken mehrerer gehört das Zusammenwirken des Einzelnen mit anderen in Unternehmen, aber auch andere Formen der Zusammenarbeit – etwa die Koordination individueller Handlungen durch die „unsichtbare Hand des Marktes“. Der methodische Individualismus hält insoweit theoretische Modelle vor, wie sich der Einzelne aufgrund seiner ökonomisch-orientierten Haltung in solchen Situationen verhalten wird und wie dieses Verhalten durch die Ausgestaltung der Institutionen beeinflusst werden kann. Es stellt sich daher die Frage, welche strafrechtlichen Zurechnungsstrukturen derartigen Interaktionen angemessen sind. Insbesondere wird zu klären sein, ob die traditionellen strafrechtlichen Strukturen, die das Zusammenwirken mehrerer leiten sollen, dem von der Verfolgung seines Eigeninteresses geprägten homo oeconomicus angemessen sind oder nicht. Wenn man das Wirtschaftsstrafrecht ausgehend von Individualhandlungen über einzelne Vertragsschlüsse bis hin zu sich entwickelnden Institutionen erklären möchte, muss es jedenfalls möglich sein, auf dieser Basis auch theoretische Prämissen zur Lösung komplexer Zurechnungsfragen zu entwickeln.
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Weitere wesentliche Konsequenz dieses Ansatzes ist, dass das so entwickelte Wirtschaftsstrafrecht in weiten Teilen wertfrei gestaltet wird. Schon der zum Ausgangspunkt genommene Einzelne wird in der Bestimmung seiner konkreten Präferenzen als grundsätzlich frei erachtet. Der methodische Individualismus verpflichtet den Einzelnen also auf kein bestimmtes Verhaltensideal und ist damit selbst im Grunde wertfrei. Rechtspolitisch gewendet führt diese Wertfreiheit in der Konsequenz zwar zu einer liberalen Grundausrichtung, nicht aber zu einem liberalen Dogma. Aus dem Ansatz an sich folgt nicht einmal methodisch eine generelle Ablehnung überindividueller oder kollektivistischer Versuche zur Klärung (wirtschafts)strafrechtlich relevanter Fragen. Es wird nicht behauptet, dass solche Versuche gänzlich unmöglich sind oder überhaupt keinen Ertrag abwerfen. Im Gegenteil: Methodischer Individualismus und methodischer Kollektivismus müssten in der Theorie bei einer vorgegebenen Fragestellung und bei richtiger Durchführung im Grunde zu identischen inhaltlichen Antworten auf die gestellte Frage führen[140]. Was beide Ansätze methodisch unterscheidet, sind primär die Wege, die jeweils beschritten werden, und die Begrifflichkeiten, die jeweils verwendet werden. Wenn der methodische Individualismus gegenüber kollektivistischen Erklärungsversuchen gleichwohl vorgezogen wird, so hat dies neben den bisher vorgetragenen Erwägungen[141] noch einen weiteren, praktischen Hintergrund: Die individualistische Methode erscheint als die einfachere.
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Mit der bisherigen Stellungnahme noch nicht verbunden ist freilich ein Bekenntnis zu einem allein dem Rechtsgüterschutz verpflichteten Strafrecht. Der Rechtsgüterschutz kann in der hier vertretenen Konzeption des Wirtschaftsstrafrechts keine exklusive konstitutive Geltung beanspruchen. Wirtschaftsstrafrecht wurde bereits als dasjenige Strafrecht bestimmt, das die Handlungsbedingungen des Einzelnen zur Verfolgung seiner individuellen Erwerbsinteressen in der Gesellschaft vor Eingriffen Dritter durch Sanktionen sichern und dadurch individuelles Wirtschaften erleichtern soll. Diese Definition enthält für die Bestimmung der Funktion des Strafrechts bereits mehrere Hinweise: Der Einzelne wird als wirtschaftendes Subjekt in der Gesellschaft verstanden. Insoweit kann die Gesellschaft bestimmte (Rechts)Güter bestimmen, die der Einzelne bei der Verfolgung seiner ökonomischen Interessen zu respektieren hat. Der Einzelne bleibt insoweit an eine ihm gesellschaftlich vorgegebene Risikoordnung gebunden.
Soweit das Strafrecht aber individuelles Wirtschaften erleichtern soll, wird dem Wirtschaftsstrafrecht eine die individuelle Freiheit (mit)konstituierende Wirkung beigemessen. Das Strafrecht als Wirtschaftsstrafrecht wird daher so zu konstruieren und zu vollziehen sein, dass die Kosten der individuellen Freiheitsverwirklichung selbst durch den unterstützenden Einsatz des Strafrechts niedrig gehalten werden. Wirtschaftsstrafrecht hat in diesem Sinne nicht nur die Funktion, Risiken für Rechtsgüter zu minimieren und damit dem Strafrecht als solchem in der konkreten Gestalt vorgegebene Rechtsgüter – wie das Leben, die Gesundheit oder die Reinheit eines Gewässers – in ihrem Bestand zu schützen. Ein funktionierendes, auf die Handlungsbedingungen des homo oeconomicus abgestimmtes Wirtschaftsstrafrecht wirkt sogar freiheitserweiternd, weil der homo oeconomicus in der Interaktion mit anderen geringere Kontrollkosten aufwenden muss, um seine Präferenzen zu einem bestimmten Grad zu verfolgen. Vermögen bekommt einen größeren Wert, wenn es leichter übertragbar wird oder die Kosten der Kontrolle verfügungsberechtigter Dritter gesenkt werden. Die Verfügungsfreiheit nimmt zu, je geringer die Kosten sind, um die Richtigkeit einer bestimmten Information annehmen zu dürfen, und je geringer der Zwang ist, der von Dritten ausgeübt werden darf.
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Beispiele:
Wohneigentum wird attraktiver – und damit wertvoller –, wenn beim Vermieten des Eigentums das Nichtzahlen der monatlichen Miete strafrechtlich sanktioniert wird. Schwächen bestehen hier derzeit bei einer erst nach Abschluss des Mietvertrags eintretenden Zahlungsunfähig- oder -unwilligkeit, die nach herrschender Auffassung nicht über § 263 StGB strafrechtlich erfasst werden kann. Zwar stehen dann zivilrechtliche Abhilfemöglichkeiten zur Verfügung, die Kosten für eine zivilrechtliche Rechtsverfolgung trägt indessen der Vermieter, wohingegen die Kosten der strafrechtlichen Sanktionierung eines Verhaltens Gemeinkosten darstellen. Der Erwerb eines gebrauchten Gutes wird vereinfacht, wenn fehlerhafte Aussagen über die Mangelfreiheit der Sache strafrechtlich geahndet werden, da die angedrohte Sanktion den Anreiz senkt, durch falsche Information des Vertragspartners einen ungerechtfertigten Preis zu verlangen.
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Das Strafrecht erweitert also die individuelle Freiheit, soweit es hilft, (Transaktions)Kosten zu senken, und damit die Reibungsverluste wirtschaftlicher Betätigung gering hält. Welche immense praktische Bedeutung (und wohlfahrtssteigernde Wirkung) die Senkung von Transaktionskosten hat, wird deutlich, wenn man sich erinnert, dass Transaktionskosten etwa 60 – 70 % des Nettosozialproduktes einer modernen Marktwirtschaft ausmachen[142]. Eine wesentliche Funktion des Wirtschaftsstrafrechts ist also neben dem Rechtsgüterschutz auch „Transaktionskostenmechanik“ durch Mechanismusdesign[143].
Teil 1 Grundlagen zur Theorie des Wirtschaftsstrafrechts › C. Die Konvergenz ökonomischer und strafrechtlicher Steuerungsmechanismen als grundlegende theoretische Voraussetzung des Wirtschaftsstrafrechts