Читать книгу Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 18
ОглавлениеAm nächsten Morgen versammelte sich das Ermittlungsteam auf der Wache in der Norra Hansegatan. Eben erst waren eine aufwändige Renovierung abgeschlossen und der Kripo neue Räumlichkeiten zugewiesen worden. Der Besprechungsraum war hell, hatte hohe Wände und war doppelt so groß wie der alte.
Das Mobiliar war in diskretem skandinavischem Design gehalten, es handelte sich um graue und weiße Birkenmöbel. Mitten im Zimmer stand ein langer, breiter Tisch, der auf beiden Seiten Platz für zehn Personen bot. An der einen Querwand hingen eine große Tafel und eine Leinwand. Alles roch nagelneu. Die helle Farbe an den Wänden war noch kaum getrocknet.
Beide Längsseiten des Raumes waren verglast. Die eine Fensterreihe blickte auf die Straße, den Parkplatz beim Supermarkt und die östliche Seite der Stadtmauer. Hinter der Mauer war das Meer zu erkennen. Die andere Fensterreihe zeigte auf den Flur, sodass man sehen konnte, wer draußen vorbeiging. Dünne Baumwollvorhänge konnten zugezogen werden, wenn mehr Intimität gewünscht wurde – die alten gelben waren durch weiße mit dezentem Muster ersetzt worden.
Knutas kam ungewöhnlicherweise einige Minuten zu spät zu dieser Besprechung. Ein angeregtes Gemurmel empfing ihn, als er mit einem Kaffeebecher in der einen und einem Ordner mit Papieren in der anderen Hand den Raum betrat.
Es war schon nach acht, und alle hatten sich eingefunden. Knutas streifte seine Jacke ab, hängte sie über den Stuhlrücken, ließ sich wie immer an der Querseite des Tisches nieder und trank einen Schluck von dem bitteren Automatenkaffee. Musterte die Kollegen, die noch immer miteinander ins Gespräch vertieft waren.
Rechts von ihm saß Karin Jacobsson: siebenunddreißig Jahre alt, klein von Wuchs, dunkelhaarig und braunäugig. Bei der Arbeit war sie hartnäckig und furchtlos und konnte wütend werden wie ein Terrier. Sie war offen und redselig, über ihr Privatleben jedoch wusste er nicht viel, obwohl sie nun schon seit fünfzehn Jahren zusammenarbeiteten. Sie lebte allein und war kinderlos. Knutas wusste nicht, ob sie einen Freund hatte.
Den ganzen Herbst hatte er ohne sie zurechtkommen müssen, und sie hatte ihm entsetzlich gefehlt. Im Zusammenhang mit der Mordserie des Sommers hatte Karin Jacobsson eine Untersuchung wegen eventueller Dienstvergehen über sich ergehen lassen müssen. Die Untersuchung war eingestellt worden, aber das Ganze hatte Karin doch arg zu schaffen gemacht. Sie war während des laufenden Verfahrens vom Dienst suspendiert gewesen und im Anschluss daran in Urlaub gegangen. Was sie in dieser Zeit unternommen hatte, wusste Knutas nicht.
Jetzt war sie in eine leise Unterhaltung mit Kriminalkommissar Thomas Wittberg vertieft. Der sah eher aus wie ein Surfer als wie ein Polizist, mit seinem blonden Schopf und seinem durchtrainierten Körper. Ein Partylöwe von siebenundzwanzig mit hohem Frauenverschleiß, der seine Arbeit jedoch tadellos verrichtete. Seine Begabung, was zwischenmenschlichen Kontakt anging, war ihm immer wieder nützlich – als Vernehmungsleiter war er großartig.
Lars Norrby auf der anderen Seite des Tisches war Wittbergs genauer Gegensatz. Groß, dunkel und sorgfältig, an der Grenze zur Pedanterie. Knutas fühlte sich bisweilen von Norrbys Art, aus allem ein Problem zu machen, an den Rand des Wahnsinns getrieben. Sie hatten gleichzeitig bei der Polizei angefangen und waren vor langer Zeit zusammen auf Streife gegangen. Jetzt gingen sie auf die fünfzig zu und kannten die kriminelle Szene auf Gotland ebenso gut wie einander.
Kriminalkommissar Norrby war außerdem Pressesprecher der Polizei und stellvertretender Chef der Kriminalpolizei, eine Lösung, mit der Knutas nicht immer ganz zufrieden war. Der Techniker des Teams, Erik Sohlman, war intensiv, temperamentvoll und eifrig wie ein Spürhund, zugleich aber auch ungeheuer systematisch.
Am Tisch saß schließlich noch Gotlands Oberstaatsanwalt, Birger Smittenberg. Er kam ursprünglich aus Stockholm, war aber schon lange mit einer Gotländerin verheiratet. Knutas wusste Smittenbergs Fähigkeiten und sein Engagement sehr zu schätzen.
Knutas eröffnete die Besprechung:
»Bei dem Opfer handelt es sich um Henry Dahlström, genannt Blitz, geboren 1943. Er wurde gestern Abend um sechs in einem Kellerraum, den er als Dunkelkammer nutzte, tot aufgefunden. Wenn jemand das noch nicht wissen sollte, es handelt sich um den heruntergekommenen Trinker, der früher mal Fotograf war. Er trieb sich meistens unten in Öster herum, und sein besonderes Kennzeichen war die Kamera, die er immer um den Hals trug.«
Am Tisch herrschte tiefes Schweigen, und alle hörten aufmerksam zu.
»Dahlström wurde mit zahlreichen Verletzungen am Hinterkopf aufgefunden. Wir haben es hier eindeutig mit einem Mord zu tun. Sein Leichnam wird heute zur Gerichtsmedizin nach Solna gebracht.«
»Habt ihr die Mordwaffe gefunden?«, fragte Lars Norrby.
»Noch nicht. Wir haben Dunkelkammer und Wohnung durchsucht. Beide wurden auch abgesperrt. Weitere Absperrungen wären sinnlos, da der Leichnam eine Woche unten gelegen hat und Gott weiß wie viele Menschen in dieser Zeit im Treppenhaus unterwegs waren. Dahlström wohnte im Erdgeschoss in einer Eckwohnung. Genau neben dem Fußweg nach Terra Nova. Wir werden die gesamte Umgebung durchkämmen. Die Dunkelheit hat diese Arbeit erschwert, aber sowie es hell wurde, ist die Suche wieder aufgenommen worden. Tja, aber das ist ja noch nicht lange her.«
Er schaute auf die Uhr.
»Wer hat uns verständigt?«, fragte der Oberstaatsanwalt.
»Der Leichnam wurde von einem der vier Hausmeister entdeckt. Dieser hier wohnt im Aufgang gegenüber von Dahlström. Ove Andersson heißt er. Er berichtet, dass gestern Abend gegen sechs ein Mann, der sich als guter Freund des Opfers ausgab, an seiner Tür geschellt hat. Der Mann sagte, er habe Dahlström seit einigen Tagen nicht mehr gesehen und mache sich langsam Sorgen um ihn. Wie wir wissen, haben sie Dahlström dann im Keller gefunden. Aber als der Hausmeister in seine Wohnung ging, um die Polizei zu verständigen, ist der Freund verschwunden.«
»Vielleicht handelt es sich bei ihm ja um den Mörder«, schlug Wittberg vor.
»Warum sollte er dann den Hausmeister alarmieren?«, hielt Norrby dagegen.
»Er wollte vielleicht in die Wohnung, um etwas zu holen, was er dort vergessen hatte, wagte aber nicht, einzubrechen«, meinte Karin.
»Na ja, ausgeschlossen ist das sicher nicht, aber es hört sich doch ziemlich unwahrscheinlich an«, sagte Norrby. »Warum hätte er eine ganze Woche warten sollen? Das Risiko, dass der Leichnam entdeckt würde, bestand doch die ganze Zeit.«
Knutas runzelte die Stirn.
»Eine Alternative wäre, dass er verschwunden ist, weil er Angst hatte, in Verdacht zu geraten. Er war vielleicht mit auf dem Fest, denn in der Wohnung ist gefeiert worden, das ist ganz klar. Aber egal, wir müssen ihn so bald wie möglich ausfindig machen.«
»Wie sah er aus?«, fragte Wittberg.
Knutas schaute in seine Papiere.
»Mittleres Alter, um die fünfzig, meint der Hausmeister. Groß und kräftig. Schnurrbart, dunkles Haar, zu einem kurzen Pferdeschwanz gebunden. Dunkler Pullover, dunkle Hose. Auf die Schuhe hat der Hausmeister nicht geachtet. Ich finde, das hört sich an wie Bengt Johnsson. Der ist wohl der einzige von den Parksäufern, auf den diese Beschreibung zutrifft.«
»Ja, das muss Bengan sein. Die beiden waren doch unzertrennlich«, sagte Wittberg.
Knutas wandte sich dem Techniker zu.
»Erik, du kannst die technischen Details übernehmen.«
Sohlman nickte und begann mit seinen Ausführungen.
»Wir haben Wohnung und Dunkelkammer untersucht, sind aber noch längst nicht fertig damit. Wenn wir mit dem Opfer und den Verletzungen anfangen wollen, dann müssen wir uns jetzt Bilder ansehen. Aber ihr müsst damit rechnen, dass die ziemlich scheußlich sind.«
Sohlman löschte das Licht und warf per Beamer die digitalen Bilder auf die Leinwand.
»Henry Dahlström lag ausgestreckt auf dem Boden, und er hatte umfassende Schlagwunden am Hinterkopf. Der Täter muss einen stumpfen Gegenstand verwendet haben. Ich tippe auf einen Hammer, aber das wird uns die Gerichtsmedizin demnächst genauer sagen können. Er wurde mehrere Male auf den Kopf geschlagen. Die vielen Blutspritzer rühren daher, dass der Täter ihm zuerst den Schädel eingeschlagen und dann die blutige Oberfläche weiter bearbeitet hat. Bei erneutem Ausholen mit der Waffe verspritzte jedes Mal Blut.«
Sohlman griff zu einem Zeigestock, um auf die Blutspritzer auf Boden, Wänden und Decke hinzuweisen.
»Vermutlich hat der Täter Dahlström niedergeschlagen und sich dann über ihn gebeugt und weiter gemacht, als er bereits am Boden lag. Was den Zeitpunkt des Todes angeht, so nehme ich an, dass der Mord von heute an gerechnet vor sechs oder sieben Tagen geschehen ist.« Sohlmann schaute in die Runde.
»Das Gesicht des Opfers war gelbgrau und spielte ins Grünliche. Die Augen waren von dunklem Braunrot und die Lippen schwarz und eingetrocknet. Der Verwesungsprozess hatte bereits eingesetzt«, fügte Sohlman ungerührt hinzu. »Ihr seht hier die kleinen braunen Blasen am Körper, aus denen bereits Leichenflüssigkeit austritt. Die sickert jetzt auch aus Mund und Nase.«
Die Kollegen am Tisch verzogen angewidert das Gesicht. Karin fragte sich, warum es Sohlman immer schaffte, über blutige Opfer, Leichenstarre und verwesende Körper zu reden wie über Wind und Wetter oder die letzte Steuererklärung.
»Alle Möbel sind umgeworfen, Schränke und Schubladen durchwühlt worden. Der Mörder hat offenbar irgendetwas gesucht. Das Opfer weist auch Abwehrverletzungen an den Unterarmen auf. Hier seht ihr Blutergüsse und Kratzer. Dahlström hat also versucht, Widerstand zu leisten. Der Bluterguss am Schlüsselbein kann durch einen verfehlten Schlag verursacht worden sein. Wir haben Proben genommen, von Blut, Haaren und einer im Flur gefundenen Kippe, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht vom Opfer stammt. Alles wird nach Linköping geschickt, aber es kann natürlich dauern, bis wir Antwort erhalten.«
Er trank einen Schluck Kaffee und seufzte.
Die Antwort vom SKL, dem Staatlichen Kriminaltechnischen Labor in Linköping, traf frühestens nach einer Woche ein, meistens dauerte es drei.
Sohlman schaute auf die Uhr und redete weiter:
»Was Spuren angeht, so haben wir im Beet vor dem Kellerfenster Schuhabdrücke gefunden. Leider hat der Regen dafür gesorgt, dass wir sie nicht identifizieren können. Dagegen haben wir Schuhspuren aus dem Gang vor der Dunkelkammer, die uns möglicherweise weiterhelfen werden. Dieselben Schuhabdrücke finden wir in der Wohnung, in der sich übrigens Flaschen, Aschenbecher, Bierdosen und allerlei anderer Schrott nur so türmen. Lässt tatsächlich alles auf ein Fest schließen. Wir haben etliche Fingerabdrücke und sogar Schuhspuren von vier oder fünf Personen gesichert. Außerdem war auch die Wohnung durchsucht worden.«
Die Bilder von Dahlströms verwüsteter Wohnung sprachen eine deutliche Sprache, dort war wirklich das Unterste zuoberst gekehrt worden.
»Dahlström muss zu Hause etwas Wertvolles aufbewahrt haben, was immer das sein mag«, sagte Knutas. »Ein Alkoholiker, der von Sozialhilfe lebt, kann doch kaum besondere Wertgegenstände besitzen. Habt ihr seine Kamera gefunden?«
»Nein.«
Wieder schaute Sohlman auf die Uhr. Er schien unbedingt wegzuwollen.
»Du hast gesagt, dass ihr im Keller eine Kippe gefunden habt. Kann der Mörder vor der Dunkelkammer auf Dahlström gewartet haben?«, fragte Karin.
»Sehr gut möglich.«
Sohlman bat um Entschuldigung und verließ das Zimmer.
»In dem Fall wusste der Täter, dass Dahlström sich in der Dunkelkammer aufhielt«, fuhr Karin fort. »Er kann stundenlang im Treppenhaus gewartet haben. Was sagen die Nachbarn?«
Knutas blätterte in den Vernehmungsprotokollen.
»Die Befragung der Nachbarschaft hat bis gestern Nacht angedauert. Wir haben noch nicht alle Protokolle, aber die Nachbarn aus demselben Treppenhaus bestätigen, dass am vorigen Sonntag in Dahlströms Wohnung gefeiert worden ist. Gegen neun ist eine ganze Bande ins Haus gestolpert. Ein Nachbar hat sie gesehen und nimmt an, dass sie von der Trabrennbahn kamen, das hat er ihren Kommentaren über allerlei Pferde entnommen.«
»Ja, sicher, am Sonntag war ja das letzte Rennen der Saison«, sagte Karin.
Knutas schaute von seinen Papieren auf. »Ach, wirklich? Ja, die Trabrennbahn liegt nicht so weit entfernt, sie können also gut zu Fuß oder mit dem Fahrrad von dort gekommen sein. Na, egal, in der Wohnung war also der Bär los, behaupten die Nachbarn. Es wurde gezecht und gelärmt, und Männer- und Frauenstimmen waren zu hören.
Die Frau aus der Nachbarwohnung hat ausgesagt, dass der Mann, bei dem es sich vermutlich um Bengt Johnsson handelt, zuerst bei ihr geklingelt hat und wissen wollte, ob sie Dahlström gesehen habe. Sie hat ihn dann an den Hausmeister verwiesen.«
»Entspricht die Beschreibung, die sie von diesem Mann gegeben hat, der des Hausmeisters?«, fragte Norrby.
»Mehr oder weniger. Übergewichtiger Mann, jünger als Dahlström, um die fünfzig, nimmt sie an. Schnurrbart und nach hinten gekämmtes dunkles, zum Pferdeschwanz gebundenes Haar, richtige Landstreicherfrisur, wie sie das ausgedrückt hat. Schlampig angezogen, das waren ebenfalls ihre Worte.«
Knutas lächelte.
»Er trug eine blaue Fleecejacke, schmutzige, weite Jeans, und sein Bauch hing über den Gürtel. Sie hat ihn erkannt, weil sie ihn einige Male mit Dahlström zusammen gesehen hatte.«
»Alle scheinen Henry Dahlström zu kennen, aber was wissen wir eigentlich über ihn?«, fragte Wittberg.
»Er trinkt schon seit vielen Jahren«, erwiderte Karin. »Meistens saß er mit seinen Kumpels an der Bushaltestelle oder im Östercentrum. Und im Sommer natürlich in Östergravar. Geschieden, keine Arbeit. War schon seit über fünfzehn Jahren Frührentner, wirkte aber nicht völlig heruntergekommen. Er hat rechtzeitig Miete und Rechnungen bezahlt und fiel nicht weiter auf, sagen die Nachbarn. Abgesehen von den Festen ab und zu. Ansonsten sei er sehr friedlich gewesen und hätte Streitigkeiten gemieden. Offenbar hat seine Liebe zur Fotografie ihn am Leben erhalten. Im vergangenen Sommer habe ich ihn einmal gesehen, als ich mit dem Rad zur Arbeit gefahren bin. Damals nahm er gerade bei Gutavallen eine Blume auf.«
»Was wissen wir sonst noch über seinen Hintergrund?« Wittberg schielte zu Karins Unterlagen hinüber.
»Er wurde in Visby geboren«, sagte Karin, »und ist auch dort aufgewachsen. Hat 1965 eine Frau aus Visby geheiratet, Ann-Sofie Nilsson. Sie bekamen 1967 eine Tochter, Pia. Wurden 1986 geschieden.«
»Na gut, wir werden heute noch mehr über ihn erfahren«, sagte Knutas. »Und dann müssen wir uns auf die Suche nach Bengt Johnsson machen.«
Er schaute aus dem Fenster.
»Da es regnet, sitzen die Knaben sicher in der Passage beim Domus-Supermarkt. Beginnen wir also da. Wittberg?«
»Das können Karin und ich übernehmen.«
Knutas nickte.
»Ich habe angefangen, die Vernehmungsprotokolle der Nachbarn zusammenzustellen und durchzugehen, damit wollte ich weitermachen«, sagte Norrby. »Zwei würde ich gern noch einmal befragen.«
»Das klingt gut«, sagte Knutas und wandte sich dem Oberstaatsanwalt zu. »Birger, hast du noch etwas hinzuzufügen?«
»Nein. Halt mich einfach auf dem Laufenden, dann bin ich zufrieden.«
»Alles klar, also machen wir jetzt Schluss. Wir sehen uns heute Nachmittag. Sagen wir, gegen drei?«
Nach der Besprechung schloss Knutas sich in seinem Zimmer ein. Sein neues Büro war doppelt so groß wie das alte. Peinlich groß, wie er manchmal dachte. Die Wände waren in einem hellen Farbton gestrichen, der ihn an den Badestrand Tofta im Sonnenschein erinnerte.
Die Aussicht war dieselbe wie die aus dem Besprechungsraum nebenan: der Parkplatz beim Östercentrum und dahinter Stadtmauer und Meer.
Am Fenster stand eine kräftige weiße Pelargonie, die erst kürzlich für dieses Jahr zu blühen aufgehört hatte. Ein Geburtstagsgeschenk von Karin. Er hatte sie aus seinem früheren Zimmer mitgebracht, zusammen mit seinem geliebten alten Schreibtischsessel aus Eiche mit dem weichen Ledersitz.
Er stopfte sich sorgfältig die Pfeife. Seine Gedanken wanderten zu Henry Dahlströms Dunkelkammer und dem Anblick, der sich ihnen dort geboten hatte. Als er an den zertrümmerten Schädel dachte, schauderte ihm.
Alles wies auf einen Streit im Suff hin, der ausgeartet war und ein ungewöhnlich brutales Ende genommen hatte. Dahlström war vermutlich mit einem Kumpel in die Dunkelkammer gegangen, um ihm Bilder zu zeigen, und dann waren sie aus irgendeinem Grund aneinander geraten. Die meisten Fälle von schwerer Körperverletzung hatten eine derartige Ursache, und jedes Jahr fanden in Alkoholikerkreisen im Durchschnitt zwei Morde statt.
Knutas durchsuchte seine Erinnerungen nach Henry Dahlström.
Als Knutas vor fünfundzwanzig Jahren bei der Polizei angefangen hatte, war Dahlström bereits ein bekannter Fotograf. Er arbeitete für Gotlands Tidningar und gehörte auf der Insel zu den Besten seines Fachs. Knutas war damals bei der Ordnungspolizei gewesen und Streife gelaufen. Sobald etwas Interessantes passierte, war Dahlström oft mit seiner Kamera aufgetaucht. Wenn Knutas und er sich bisweilen bei privaten Anlässen begegneten, hatten sie immer ein wenig miteinander geplaudert. Dahlström war ein sympathischer Mensch mit einer großen Portion Humor, auch wenn er gern zu tief ins Glas schaute. Es kam vor, dass Knutas ihn sternhagelvoll aus einer Kneipe kommen sah. Einige Male hatte er ihn auch mit dem Auto mitgenommen, wenn der Mann zu betrunken erschien, um allein nach Hause zu kommen. Damals war Dahlström noch verheiratet. Nachdem er bei der Zeitung aufgehört und sich selbstständig gemacht hatte, schien sein Schnapskonsum weiter gewachsen zu sein.
Einmal hatte Knutas ihn in der Kirchenruine Sankta Klara aus dem dreizehnten Jahrhundert aufgegabelt, die mitten auf dem Marktplatz von Visby steht. Dahlström lag schlafend auf einer schmalen Treppe, als er von einer erschrockenen Reisegruppe aus den USA und deren Fremdenführer entdeckt wurde.
Ein andermal war er frech ins Restaurant Lindgården in der Strandgatan marschiert und hatte ein Festmahl mit fünf Gängen samt Wein, Bier, Schnaps und Cognac bestellt. Danach hatte er um eine Zigarre gebeten, Import aus Havanna, und sie bei einem weiteren Digestif genossen. Als am Ende die Rechnung präsentiert wurde, hatte er einfach erklärt, leider nicht bezahlen zu können, da es ihm an Bargeld fehle. Die Polizei wurde gerufen und nahm den satten und beschwipsten Mann in Arrest, aus dem er dann einige Stunden später wieder entlassen wurde. Dahlström hatte sicher gefunden, das sei es wert gewesen.
Dahlströms Frau hatte Knutas seit Jahren nicht mehr gesehen. Sie war über den Tod ihres Exmannes informiert worden. Knutas selbst hatte noch nicht mit ihr gesprochen, aber eine Vernehmung sollte später an diesem Tag stattfinden.
Er saugte an der kalten Pfeife und blätterte in der Akte über Dahlström. Dahlström hatte sich einzelne kleinere Vergehen zuschulden kommen lassen, nie jedoch etwas Schwerwiegendes. Sein Freund dagegen, Bengt Johnsson, hatte an die zwanzig Vorstrafen für Vergehen verschiedenster Art vorzuweisen. Zumeist handelte es sich um Diebstahl und leichte Körperverletzung.