Читать книгу Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 21

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Johan Berg schlug an seinem Küchentisch in der Heleneborgsgatan in Stockholm die Zeitung auf. Die Wohnung lag im Erdgeschoss zum Hof hin, aber das war ihm egal. Södermalm war das Herz der Stadt, und in seinen Augen hätte er gar nicht besser wohnen können. Auf der einen Seite der Wohnung sah er das Wasser des Riddarfjärds und die alte Kerkerinsel Längholmen mit Badefelsen, grünem Gras und Spazierwegen. Auf der anderen lagen Geschäfte, Kneipen, Cafés und die U-Bahn in Reichweite. Die Rote Linie führte direkt zum Karlaplan, und von dort waren es nur fünf Minuten Fußweg zum Sender.

Er hatte mehrere Tageszeitungen abonniert: Dagens Nyheter, Svenska Dagbladet und Dagens Industrie und jetzt lag auch Gotlands Tidningar auf dem Stapel, den er jeden Morgen durchsah. Nach den Ereignissen des Sommers war sein Interesse an Gotland gewaltig gewachsen. Und das hatte durchaus mehrere Gründe.

Er überflog die Überschriften. »Seniorenwohnungen in der Krise«, »Polizei auf Gotland verdient weniger als auf dem Festland«, »Bauer setzt EU-Zuschuss aufs Spiel«.

Dann blieb sein Blick an einer hängen: »Mann tot in Gråbo aufgefunden. Polizei rechnet mit Mord.« Er überflog die Kurznachricht.

Beim Frühstück dachte er über diese Notiz nach. Es klang zwar nach einem normalen Streit im Suff, aber trotzdem war seine Neugier geweckt. Er ging ins Bad, schaute kurz in den Spiegel und verteilte ein wenig Gel in seine dunklen Locken. Er hätte sich eigentlich rasieren müssen, aber das schaffte er nicht mehr. Sollten seine dunklen Bartstoppeln doch noch ein wenig länger werden. Er war siebenunddreißig, sah aber jünger aus. Groß und gut gebaut, mit klaren Zügen und braunen Augen. Viele Frauen standen auf ihn, und das hatte er häufig ausgenutzt. Aber damit war nun Schluss. Seit einem halben Jahr gab es in seinem Leben nur eine Frau, Emma Winarve aus Roma auf Gotland. Er hatte sie kennen gelernt, als er im vergangenen Sommer über die Jagd nach dem Serienmörder berichtet hatte.

Sie hatte sein Leben auf den Kopf gestellt. Er hatte noch nie eine Frau gekannt, die ihn so stark berührte; sie forderte ihn heraus und zwang ihn dazu, in neuen Bahnen zu denken. Er mochte sich mehr, wenn er mit ihr zusammen war. Auf die Frage seiner Freunde, was an Emma denn so besonders sei, fiel es ihm schwer, eine Erklärung abzugeben. Alles war einfach selbstverständlich mit ihr. Und er wusste, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.

Es war so weit gegangen, dass er wirklich geglaubt hatte, sie werde ihre Ehe aufgeben, es sei nur eine Frage der Zeit. Er hatte sich überlegt, ob er nach Gotland übersiedeln und bei einer der dortigen Zeitungen oder dem Lokalradio arbeiten sollte. Er wollte mit ihr Zusammenleben und sich um ihre beiden Kinder kümmern.

Stattdessen war alles ganz anders gekommen. Als der Mörder gefasst und alles zu Ende war, hatte sie sich von Johan getrennt. Ihn hatte das völlig unvorbereitet getroffen. Für ihn brach alles zusammen, er hatte sich einige Wochen krankschreiben lassen müssen, und nachdem er dann so weit auf die Beine gekommen war, dass er in Urlaub fahren konnte, hatte er doch die ganze Zeit an sie denken müssen.

Als er wieder zu Hause war, hatte er ihr einen Brief geschrieben. Zu seiner Überraschung hatte sie geantwortet, und sie hatten sich wieder gesehen. Jetzt trafen sie sich vor allem, wenn Johan beruflich auf Gotland zu tun hatte. Aber er merkte, dass ihr die Lügen zu schaffen machten und dass sie mit schweren Schuldgefühlen kämpfte. Am Ende bat sie um zwei Monate Bedenkzeit. Sie brauche Distanz, um über alles nachzudenken, hatte sie erklärt.

Plötzlich hatten sie überhaupt keinen Kontakt mehr. Keine SMS, keine Mails, keine Telefongespräche.

Einmal nur hatte sie ihm nachgegeben. Er war auf Gotland gewesen und hatte sie angerufen. Und gerade an diesem Tag war sie traurig und schwach und ließ sich auf ein Treffen ein. Es war eine kurze Begegnung, die nur bestätigte, dass die Gefühle stärker geworden waren, jedenfalls, was ihn betraf.

Danach: nichts. Zwei unbeholfene Versuche seinerseits blieben erfolglos. Sie ließ sich nicht beirren.

Zugleich verstand er sie ja auch. Es war schwer für sie, sie war schließlich verheiratet und hatte zwei kleine Kinder.

Auf dem Weg zur U-Bahn rief er Anders Knutas in Visby an.

Der Kommissar meldete sich sofort.

»Hallo. Johan Berg von den Regionalnachrichten. Wie sieht’s aus?«

»Ja, danke. Und selber? Lange nichts mehr voneinander gehört.«

»Mir geht’s gut. Ich habe in der Zeitung etwas über einen möglichen Mord in Gråbo gelesen. Stimmt das?«

»Wir wissen noch nicht sehr viel.«

»Was ist denn passiert?«

Kurzes Schweigen. Johan konnte sich vorstellen, wie Knutas sich im Schreibtischsessel zurücksinken ließ und seine Pfeife stopfte. Sie hatten viel miteinander zu tun gehabt, als Johan von Gotland aus über die Morde berichtet hatte und dann selbst in die Ermittlungen verwickelt worden war.

»Gestern Abend ist in einem Keller in der Jungmansgatan in Gråbo ein Mann tot aufgefunden worden.«

»Wie alt war er?«

»Geboren ’43.«

»Der Polizei bekannt?«

»Ja, aber nicht, weil er irgendwelche nennenswerten Verbrechen begangen hätte, sondern weil er ein ziemlich heruntergekommener Trinker war. Er lungerte mit seinen Kumpels in der Stadt herum. Also, du kennst die Sorte.«

»War es ein Streit im Suff?«

»Sieht so aus.«

»Wann ist er umgebracht worden?«

»Sein Körper lag einige Tage unentdeckt im Keller. Es kann sich um ungefähr eine Woche handeln.«

»Wieso hat es so lange gedauert, bis er gefunden wurde?«

»Er lag in einem verschlossenen Raum.«

»Einem Kellerverschlag?«

»Könnte man so sagen.«

»Wer hat ihn gefunden?«

»Der Hausmeister.«

»Hatte jemand ihn vermisst gemeldet?«

»Nein, aber ein Freund von ihm hatte sich an den Hausmeister gewandt.«

Knutas klang jetzt langsam ungeduldig.

»Ach. Und wer war das?«

»Du, das kann ich dir nicht sagen. Ich muss jetzt aufhören, du musst dich bis auf weiteres mit diesen Auskünften zufrieden geben.«

»Na gut. Wann, glaubst du, kannst du mehr sagen?«

»Absolut keine Ahnung. Bis dann.«

Johan schaltete sein Handy aus und dachte, der Mord hört sich für die Regionalnachrichten nicht spektakulär genug an. Streiterei im Suff mit Todesfolge. Das reichte wirklich nur für eine Kurzmeldung.

Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi

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