Читать книгу Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi - Mari Jungstedt - Страница 27
ОглавлениеWenn Emma etwas verabscheute, dann waren das Nähmaschinen.
Dass man sich mit diesem Dreck überhaupt befassen muss, dachte sie, mit dem Mund voller Nadeln und einer Irritation, die schon fast in Kopfschmerzen überging. Sie fluchte vor sich hin. Dass es so verdammt schwer sein sollte, eine Hose zu flicken. Wenn andere einen Reißverschluss einnähten, sah das lächerlich einfach aus.
Emma gab sich wirklich alle Mühe, sie hatte sich mit Unmengen von Geduld gewappnet, ehe sie anfing, und sich gelobt, diesmal aber wirklich nicht aufzugeben. Nicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen, wie es sonst ihre Art war. Ihrer Schwächen war sie sich durchaus bewusst. Das zumindest musste man ihr lassen.
Sie kämpfte seit einer Stunde und hatte in dieser Zeit drei Zigaretten geraucht, um ihre Nerven zu beruhigen. Der Schweiß trat ihr auf die Stirn, als sie versuchte, den Jeansstoff unter den Fuß der Maschine zu schieben. Zweimal hatte sie schon alles wieder auftrennen müssen, da der Reißverschluss nicht gerade gesessen hatte.
In der Schule hatte sie den Handarbeitsunterricht gehasst. Das Schweigen, die Strenge der Lehrerin. Dass alles so verdammt genau sein musste – Stiche, Musterübernahme, rechte und linke Maschen. Auf ihrem Abschlusszeugnis von der Grundschule hatte sie nur eine einzige schlechte Note, und zwar in Handarbeit. Die stand da als ewige Erinnerung an ihr Versagen in allem zwischen Topflappen und Strickmützen.
Das Klingeln ihres Handys schien ihr wie ein heiß ersehnter Gast. Als sie Johans Stimme hörte, brach in ihrem Brustkorb ein Feuer aus.
»Hallo, ich bin’s. Störe ich?«
»Gar nicht, aber du weißt doch, dass du nicht anrufen darfst.«
»Ich konnte es einfach nicht lassen. Ist er zu Hause?«
»Nein, montagabends spielt er Hockey.«
»Bitte, sei nicht böse.«
Kurzes Schweigen. Dann war seine Stimme wieder da, weich und dunkel. Wie eine Liebkosung ihrer Haut.
»Wie geht es dir?«
»Ja, danke. Ich war kurz vor einem hysterischen Anfall und hätte fast die Nähmaschine aus dem Fenster geworfen.«
Sein leises Lachen kitzelte sie in der Magengrube.
»Versuchst du zu nähen? Was ist denn aus deinen Vorsätzen geworden?«
Ihr fiel ein, wie sie einmal im Sommer mit Nadel und Faden aus dem auf dem Hotelzimmer ausliegenden Nähetui versucht hatte, ein Loch in Johans Jacke zu stopfen. Danach hatte sie gelobt, diesen Versuch niemals zu wiederholen.
»Die sind den Bach runter gegangen, wie alles andere«, sagte sie, ohne nachzudenken. Keine Hoffnung erwecken, warnte die Vernunft, während ihr Herz sie weitertrieb.
»Was denn, was meinst du?«
Er bemühte sich, neutral zu klingen, aber sie konnte den Hoffnungsschimmer in seiner Stimme wahrnehmen.
»Ach, nichts. Was willst du? Du weißt doch, dass du nicht anrufen darfst«, wiederholte sie.
»Ich konnte es einfach nicht lassen.«
»Aber wenn du mich nicht in Ruhe lässt, hinderst du mich am Denken«, sagte sie sanft.
Er versuchte, sie zu einem Treffen zu überreden, da er am folgenden Tag nach Gotland kommen würde.
Sie lehnte ab, obwohl ihr Körper nach ihm schrie. Es war eine Schlacht zwischen Vernunft und Gefühl.
»Hör doch auf damit. Es ist ohnehin schon anstrengend genug.«
»Aber was empfindest du für mich, Emma? Sei jetzt ehrlich. Ich muss es wissen.«
»Ich denke auch an dich. Die ganze Zeit. Ich bin so verwirrt, ich weiß nicht, was ich tun soll.«
»Schläfst du mit ihm?«
»Lass das«, sagte sie wütend.
Er hörte, wie sie sich eine Zigarette anzündete.
»Ja, aber jetzt sag schon, machst du das? Ich will das wissen.«
Sie seufzte tief.
»Nein, ich tu es nicht. Ich hab nicht die geringste Lust. Bist du jetzt zufrieden?«
»Aber wie lange kannst du so weitermachen? Irgendwann musst du dich entscheiden, Emma. Merkt er denn nichts, ist er denn völlig gefühllos? Will er nicht wissen, warum du dich so verhältst?«
»Natürlich merkt er etwas, aber er hält es für eine Reaktion auf alles, was im Sommer passiert ist.«
»Du hast meine Frage noch immer nicht beantwortet.«
»Welche Frage?«
»Was du für mich empfindest.«
Noch ein tiefer Seufzer.
»Ich liebe dich, Johan«, sagte sie leise. »Das macht doch alles so schwer.«
»Aber verdammt, Emma. Dann. Das kann doch nicht ewig so weitergehen. Du musst endlich reinen Tisch machen und ihm sagen, was Sache ist!«
»Was zum Teufel soll das denn?« Jetzt ging sie hoch. »Du hast doch keine Ahnung, wie das ist!«
»Nein, aber ...«
»Aber was?«
Wut und Tränen lagen in ihrer Stimme.
»Du hast doch keine Scheißahnung, wie das ist, die Verantwortung für zwei Kinder zu tragen! Ich kann mich nicht aufs Sofa setzen und ein ganzes Wochenende lang heulen, weil ich Sehnsucht nach dir habe. Und ich kann auch nicht einfach entscheiden, dass ich jetzt mit dir zusammen sein will, bloß weil ich das möchte. Oder brauche. Oder muss, um überleben zu können. Denn alles in meinem Leben dreht sich um dich, Johan. Du bist mein erster Gedanke, wenn ich aufwache, und das Letzte, was ich vor dem Einschlafen vor mir sehe. Aber ich kann das nicht alles bestimmen lassen. Ich muss funktionieren. Muss Zuhause, Arbeit, Familie im Griff behalten. Ich muss vor allem an meine Kinder denken. Welche Konsequenzen es für sie hätte, wenn ich Olle verließe. Du lebst dein Leben in Stockholm und brauchst dich nur um dich zu kümmern. Hast einen interessanten Job, eine schöne Wohnung mitten in der Stadt, jede Menge zu tun. Wenn die Sehnsucht nach mir zu anstrengend wird, hast du genug, was dich auf andere Gedanken bringt. Du gehst in die Kneipe, triffst Bekannte, sitzt im Kino. Und wenn du traurig sein und um mich weinen willst, dann kannst du auch das. Aber wohin soll ich gehen, verdammt noch mal? Ich muss mich zum Weinen in die Waschküche schleichen. Ich kann nicht einmal in die Stadt gehen, wenn ich traurig bin, um etwas anderes zu machen. Neue, witzige Menschen kennen zu lernen vielleicht? Sicher, hier wimmelt es doch nur so davon!«
Sie beendete wütend die Verbindung und hörte zugleich, wie die Haustür geöffnet wurde.
Olle kam nach Hause.