Читать книгу Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach - Страница 10
6
ОглавлениеIn der U-Bahn auf der Bank gegenüber redet ein achtjähriger Knabe auf seine Mutter ein. Sie sprechen Deutsch, aber er will ein Fremder sein. Wie einst ich. »Das hier ist nicht dein Land, nicht wahr, Mama? Wo die Adler sind, das ist dein Land!« Ein dunkles Wolltuch liegt locker um ihren Kopf, sie antwortet ihm leise. Er lässt seine Stimme kräftig tönen, damit die Umsitzenden ihn als Fremden erkennen. »Die Großmutter hat ein Steinhaus für uns gebaut, da war ich noch ganz klein, nicht wahr, Mama?!« Und dann nennt er das Land: »Im Libán wird es nicht kalt, nicht Mama? Im Libán ist kein Winter.« Sie murmelt etwas. »Im Libán gibt es nur manchmal Regen.« Unendlich verliebt spricht er den Namen aus.
Den Geschichten der Eltern glaubt man ganz und gar und füllt sie mit den eigenen jubelnden und bedrängenden Gefühlen. Er sieht den Adler Kreise ziehen und sieht die Großmutter mit heißen Händen Steine zu einem Haus aufschichten. Sie kann es, sie kennt Geheimnisse, denn sie ist von woanders.
Seka erzählt ihr Leben lang Geschichten, wir hören süchtig zu, obwohl wir sie verdächtigen, dass sie übertreibt. Aber wir spornen sie an mit einem geflüsterten: »Und dann?« Sie rollt ihren Erzählfaden auf, lässt ihn schwirren und kreisen.
Wenn wir anfangen, sie nach Umständen und Gründen zu fragen, versickert ihre Erzähllust. Ein geordnetes Berichten langweilt sie. Sie steht auf und kocht sich einen Tee. Als wollte sie uns sagen: Wenn ihr mir nicht glaubt, finde ich es traurig, aber auch euch, meinen Lieblingen, wird es nicht gelingen, mich zu zähmen.