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Die Augen über dem Schaum blassblau, aufmerksam, mit einer Beigabe von Staunen. Über den Augen seine hohe Stirn. Der nasse Rasierpinsel in der Hand, seine gespielte Verlegenheit. Die ausholende, aber wohlgeführte Geste, mit der er ihr das Glas Wasser reichte. Seka sieht es, während sie schreibt und die Splitter zusammenfügt, die Ado vor ihr ausgestreut hat: der breite Kindheitsfluss Main, die Theater, in denen er spielte, das Arbeiterstraßentheater in Berlin, die Flucht, als ein SA-Trupp an die Eisentür seiner Dachwohnung schlug und er durchs Fenster auf das Ziegeldach des Nachbarhauses kletterte und dann noch einmal zurückkroch, um das handgroße Krokodil, das er gerade erstanden hatte, zu greifen. Mit erzwungener Ruhe durch das fremde Treppenhaus Etage für Etage hinuntergehen, hinaus auf die Straße und ohne Verzug zum Anhalter Bahnhof, eine Fahrkarte nach Prag kaufen, als wäre es eine normale Reise. Das Krokodil unter seinem Hemd. Es kratzte ihn. In Prag kamen jeden Tag Flüchtlinge aus Deutschland an, die Stadt füllte sich mit ihnen, sie hungerten. Weiter nach Jugoslawien zum Freund Dr. Klapper, der auf seinen Flucht-Irrwegen das dalmatinische Fischerdorf Zaton Mali gefunden hat. Hier in der warmen Luft fängt das kleine Krokodil an zu wachsen. Seka ist noch nicht gesättigt von den Erzählungen, ist begierig auf Ados Sprechen. Auf seinen Blick.

Für dieses Jahr ist die Hochzeit mit ihrem Verlobten Fred vorgesehen. Er ist der künftige Erbe einer Glühbirnenfabrik, der einzigen in Jugoslawien. Es ist eine vernünftige Ehe, die Eltern haben sie vorausgedacht, und die beiden bejahen die Idee, denn auch sie denken sich die Ehe als einen zuverlässigen Raum. Sie würden sie großzügig, ohne Zwänge leben, anders als ihre Eltern. Fred würde Seka nie an tagelangen Ausritten in die bosnischen Berge hindern und nicht an Ausflügen mit ihren Freundinnen und Freunden nach Venedig, dem Ort der kleinen Fluchten, wo sie die Versprechen und Verlockungen der Moderne auskosten. Wo sie lieben dürfen, wen sie wollen. Ein Haus für das Paar wird von einem avantgardistischen Architekten entworfen, es blickt mit hohen Fenstern auf die Stadt hinab, Fred fährt jeden Mittag zur Baustelle, er fragt sie, welche Zimmer sie haben möchte. Seka hebt ihre flügelartigen Schulterblätter.

Die Mutter hört sich beim Abendbrot die Geschichte von Ado von Achenbach, dem Emigranten mit Krokodil, und seinem Freund Dr. Klapper an, sie ist eine wohltätige Dame und Vorsitzende des Roten Kreuzes in Zagreb und beschließt, diesen Flüchtlingen zu helfen: »Laden wir ihn und seinen Freund doch zum Mittagessen ein.« Seka schreibt eine Karte, Ado ruft freudig an, sie horcht auf sein umständliches Kroatisch. Mittags kommt sie aus der Redaktion zum Essen, bringt auch den Chefredakteur mit, der wie die Mutter neugierig auf die Deutschen geworden ist. Das Zagreber Bürgertum pflegt seine Rituale der Gastfreundschaft. Die Mutter sitzt schon mit den zwei Männern beim Aperitif, sie reden und lachen. Sind sie beschwipst?, fragt sich Seka. Ein lebhaftes, vergnügtes Mittagessen. Seka kehrt mit dem Chefredakteur zur Zeitung zurück. Die beiden Emigranten bleiben. Am nächsten Tag verkündet die Mutter leichthin: »Ich verreise für 14 Tage mit Herrn von Achenbach nach Makarska.«

Dieser Satz ist eine Grausamkeit. Hatte nicht etwas Unaussprechliches begonnen? Die Mutter greift in ein noch kaum sichtbares Gewebe hinein. Trauer überschwemmt Seka. Ihr eingeborenes Muster ist Selbstbeherrschung. Gefühlsausbrüche sind verpönt, das ist als Gesetz tief in ihr verankert. Und obwohl sie seit langem weiß, dass es Dressur ist, hat sie diese Haltung doch zu ihrer eigenen gemacht. Oh diese Not. Sie hebt den Bann der Diskretion auf, zieht ihren Verlobten ins Vertrauen.

Für sie ist Fred die Verkörperung einer sanften, arglosen Güte. Er ist vier Jahre älter als sie, übergroß, linkisch und liebt sie, seit er sie als Dreizehnjährige sah. Da war ihre Familie aus Sarajevo nach Zagreb gezogen. Er begleitet sie als treuer, ihr ergebener, kluger Freund. Hin und wieder sagt er: »Ich weiß, ich bin langweilig.« Sie winkt ab, viel später tut es ihr leid, dass sie ihm nie widersprochen und den Satz geantwortet hat, den er sich wünschte. Fred sieht, wie sich Seka von ihm entfernt. Eher als sie begreift er, dass es nicht mehr aufzuhalten ist.

Ado und die Mutter kehren wie angekündigt nach 14 Tagen aus Makarska, vom Familiensitz an der Adria, zurück. Seka hat sich entschlossen zu handeln. Im ersten günstigen Moment sagt sie zu Ado: »Ich muss Sie sprechen. Allein. Um 18 Uhr im Café Gundulić.«

Dort im großen Café am zentralen Platz der Stadt spricht sie es aus: »Ich bin in Sie verliebt.«

Er weiß keine Antwort, erbittet sich Bedenkzeit und schlägt für das Wochenende einen Spaziergang vor, um sich auszusprechen. Sie gehen hinaus in die ungezähmten Hügel, die Zagreb umgeben. Babu, der Boxer, rennt voraus. »Sagen wir uns Du, wie Freunde«, beginnen sie.

Ein Krokodil für Zagreb

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