Читать книгу Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach - Страница 17
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ОглавлениеAdo und Seka beugen sich aus dem Zugfenster zu ihren übermütigen Hochzeitsgästen auf dem Bahnsteig, die sie am Zagreber Bahnhof verabschieden. Endlich allein, sie fahren durch helles Grün, es ist Ende Mai. Er schiebt das Fenster nicht hoch, hält den Kopf in den Wind. Sie sitzt im Polster, eine Zigarette zwischen den Fingern. Im Hafen von Rijeka besteigen sie am Abend ein Schiff nach Venedig.
Sie treten in den Salon, da übertönt der Aufschrei einer weiblichen Stimme alle Geräusche: »Adoo!« Dieser Ruf kommt von einer deutschen Stimme, mit dem langgezogenen, geschlossenen O. An Sekas Ohr dringt er als Schmerz. Schon liegen sie sich in den Armen, Ado und eine kleine blonde Frau. Eine Kollegin von früher, eine Schauspielerin am Theater in Berlin. Natürlich setzen sie sich zu dritt an einen Tisch, Ado wendet sich ganz der Schauspielerin zu, sie ist keine Nazine, er kann ihre Berichte vom Berliner Theaterleben, das er 1933 von einem Tag auf den anderen verlassen musste, ungehemmt aufsaugen. Es sind fünf Jahre zu erzählen. Ihrem Deutsch kann Seka nicht immer folgen, es fallen Kaskaden von Namen, die beiden lachen, empören sich und trauern. Seka wird sehr müde, entschuldigt sich, erhebt sich, Ado und die Kollegin verabschieden sie freundlich, zerstreut. Sie steht noch lange an der Reling. Sie weint. Niemand sieht es. Ado holt sie in der Frühe in ihrer Hochzeitskabine ab, die er nicht benutzt hat. Venedig ist erreicht.
Ich werde mich von ihm trennen, beschließt sie, gleich hier.
Im Hotelzimmer wandert Ado vor ihr auf und ab und grübelt, wie er ihren Zorn wegwischen und zu ihr durchdringen könnte. Ihm fehlt ein schlechtes Gewissen. Auch jetzt hätte er nicht auf die Erzählungen aus dem unerreichbaren Berlin verzichten wollen. Eine Handlung ist nötig: raus aus dem Hotelzimmer, aus dem Gefängnis der Gefühle. Für Ado ist ein Spaziergang immer der erste Ausweg, der Beginn einer Lösung.
Sie gehen am schwarzen Wasser der Kanäle entlang, dicht an Häuserwänden, zu Füßen die schaukelnden Boote, und biegen um immer neue Ecken. Seka riecht den Moder, den Ölgeruch, horcht auf das Plätschern und spürt widerstrebend, wie sich bei diesem Gehen ihr Schmerz zurückzieht. Mit Ado stellt sich unversehens der wohlbekannte Rhythmus des Gehens ein. Mit ihm ist die Stadt anders, wird durchscheinend. Er kann in ihren Spuren lesen, und das Schönste, mit ihm gelingt es auch ihr.
Nicht mehr darauf verzichten, denkt sie. Nie mehr zurückfallen in das Früher. Ado spürt es und spricht über die Liebe, die immer anwesend sei und warte. Wie wach wir werden mit der Liebe! Wie wir durch Schutzschichten und Ödnis zum Anderen vordringen! Und wie wir uns selbst dabei finden. Nur der Liebe gelingt das. Konventionen und Eifersucht machen sie klein. Sogar die schönen Vorstellungen, wie sie zu sein habe, schwächen die Liebe.
Ado spricht so gern über Liebe. Sekas Verletztheit ist fast schon verflogen, sie wendet nur noch ein: Aber Liebe kann gekränkt werden. – Da zuckt Ado. Der bescheidene Satz erreicht ihn, zum ersten Mal seit dem Vorabend sieht er, was er ihr zugemutet hat. Fast stammelt er: Ach Sekica, wir hatten unsere Hochzeitsnacht doch längst, nicht nur eine.
Mit ihm zu gehen, ihn zu hören, das zählt viel mehr als diese Untreue, denkt sie. Denn sie bleibt überzeugt, dass jene Nacht nicht zu Ende gegangen ist, ohne dass die beiden miteinander geschlafen haben. Aber danach fragt sie nie mehr.