Читать книгу Ein Krokodil für Zagreb - Marina Achenbach - Страница 16
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ОглавлениеAuch die Großmutter Majstorović ist Witwe und lebt auf ihrem Landgut Konarica. Hier ist Sekas Vater geboren, es ist die katholische Seite der Familie. Dass die Großmutter aus einer armen Bauernfamilie stammt und ihr reicher Mann, der an Syphilis gestorben ist, ein haltloser Spieler war, weiß schon die kleine Seka. Alle wissen es und vergessen es nie, anerkennen jedoch, dass die Bauerntochter das Gut klug führt. Die Großmutter ist nicht sanft und zärtlich, sie denkt sich keine Vergnügungen für ihre Enkelin aus wie der Großvater Vukobegović. Ihren arbeitsamen Rhythmus verändert sie um keine Minute ihr zuliebe, aber das ist für Seka keine Abweisung, es ist etwas anderes, es hat mit der Arbeit zu tun und mit den Dingen auf dem Gut, von denen die Großmutter mehr als alle anderen versteht.
Seka reitet mit ihr, seit sie laufen kann, auf Pferden ziehen sie durch einen Hain mit hohen, gerade gewachsenen Bäumen, unter denen Gras sprießt. Die Großmutter untersucht Blätter und Baumrinde, um rechtzeitig Käfer zu entdecken, bevor sie die Bäume angreifen. Wenn einer gefällt wird und die Knechte die Äste absägen, steht sie besorgt dabei. Für so einen Baum gibt es viel Geld, sagt sie zur Enkelin. Beim Abtransport mit dem Pferdewagen hängt der Stamm über die hintere Radachse hinaus. Es macht Seka traurig wie ein Begräbnis.
Unten am Fluss nistet jedes Jahr ein Schwanenpaar, sein Nest baut es auf einer modrigen Insel neben der Brücke. Die Großmutter betrachtet versonnen die großen stillen Vögel und lässt die Insel, die manchmal überschwemmt wird, befestigen. Aber an einem Tag werden die beiden Schwäne riesig und wild, sie töten die Ferkel an der Brücke, über die sie zur Bahnstation getrieben werden. Die ungeheuren Flügelschläge der Schwäne, das Schreien der Ferkel, das Wasser rot von Blut. Die Großmutter brüllt vom Pferd herunter zu Seka: »Weg hier! Sofort!« Ein Knecht führt sie hoch in den Wald. Die Großmutter kommt lange nicht zurück. Seka weint bei Tisch. Die Großmutter sagt: »Hör auf. So ist das Leben.« Sie vertreibt die Schwäne nicht, reitet immer wieder zu ihnen hinunter. Als hätte sie ein Geheimnis mit ihnen.
Im Winter reisen Herren mit Pelzen, Koffern und Gewehren aus Wien, Budapest und Venedig an, um Bären und Wölfe zu jagen. Sie nehmen Quartier auf dem Gut, die Vorräte für sie werden das ganze Jahr über angelegt: Steinerne Gefäße stehen voller Olivenöl, Schinken und Würste hängen in Kellern, Käselaibe lagern auf Regalen. Unter dem Dach hängen an Schnüren frische Weintrauben, die Stielenden in Wachs getaucht, damit sie nicht faulen. Täglich werden die verdorbenen Beeren herausgepickt, so halten sie bis Weihnachten, ein Stolz der Großmutter. Äpfel, Birnen, Nüsse liegen auf großen Brettern und Matten. Geräuchertes Fleisch wird zum Mitnehmen vorbereitet und in Leinen eingenäht, in Körbe gelegt, wieder mit Leinenstücken bedeckt, die am Korbrand mit großen Stichen angenäht werden. Am Ende der Jagd feiern die Jäger ihr Gelage.
Seka wird in der Kutsche durch die Wälder nach Hause gebracht. Im Dunkel leuchten die Augen von Wölfen auf. Die Pferde beschleunigen ihren Galopp und schnauben. Ein Wolf kommt näher, die Kutscher werfen eine brennende Fackel nach ihm.