Читать книгу Gesammelte Werke von Cicero - Марк Туллий Цицерон - Страница 34
XIX.
ОглавлениеEs ist noch der vierte 194 Grund übrig, der unser Alter am Meisten zu ängstigen und zu bekümmern scheint, die Annäherung des Todes, der sicherlich vom Greisenalter nicht weit entfernt sein kann. O wie bedauernswerth ist ein Greis, der während eines so langen Lebens nicht eingesehen hat, daß der Tod zu verachten ist! Denn entweder ist er gänzlich außer Acht zu lassen, wenn er den Geist ganz auslöscht, oder er ist sogar zu wünschen, wenn er ihn irgendwohin führt, wo er ewig sein wird. Nun kann aber ein Drittes sicherlich nicht gefunden werden. 67. Warum soll ich nun fürchten, wenn es meine Bestimmung ist nach dem Tode entweder nicht elend oder sogar glückselig zu sein? Und doch, wer ist so thöricht, daß er, so jung er auch sein mag, es für ausgemacht halten sollte, er werde bis zum Abende leben? Ja, dieses Alter hat sogar ungleich mehr Todesgefahren als das unserige. Junge Leute fallen leichter in Krankheiten, liegen schwerer darnieder, werden schwieriger geheilt. Daher gelangen nur Wenige zum Greisenalter, und wäre dieß nicht der Fall 195, so würde man besser und vorsichtiger leben. Denn Verstand, Vernunft und Klugheit finden sich bei den Greisen, und wären nie solche gewesen, so würde es gar keine Staaten 196 geben.
Doch ich kehre zu dem bevorstehenden Tode zurück. Was ist das für ein Vorwurf für das Greisenalter, da ihr seht, daß es dieses mit dem Jünglingsalter gemein hat? 68. Ich empfand bei meinem vortrefflichen Sohne 197, du bei deinen zur höchsten Würde berechtigten Brüdern 198, mein Scipio, daß der Tod jedem Alter gemein ist.
» Aber der Jüngling hofft, er werde lange leben, was der Greis auf gleiche Weise nicht hoffen kann.« Unweise hofft er es. Denn was ist thörichter als Ungewisses für Gewisses zu halten, Falsches für Wahres?
» Aber der Greis hat nicht einmal Etwas zu hoffen.« Nun, um so besser ist er daran als der Jüngling, weil er das, was dieser noch hofft, schon erlangt hat. Dieser will lange leben, jener hat lange gelebt. 69. Doch, o gute Götter, was heißt im menschlichen Leben lange? Setze das äußerste Lebensziel, laß uns das Alter des Königs von Tartessus 199 erwarten. Es lebte nämlich, wie ich geschrieben finde, ein gewisser Arganthonius zu Gades, der achtzig Jahre herrschte und hundertundzwanzig lebte. Aber mir scheint nicht einmal Etwas lang, was ein Ende hat; denn wenn dieses gekommen ist, dann ist das, was vergangen ist, verflossen; nur so viel bleibt zurück, als man sich durch Tugend und edle Handlungen erworben hat. Stunden entweichen und Tage und Monate und Jahre, und nie kehrt die vergangene Zeit zurück, noch kann man wissen, was folgt. Soviel Zeit Jedem zum Leben verliehen ist, damit soll er zufrieden sein. 70. Denn sowie der Schauspieler sein Stück nicht durchzuspielen braucht, um zu gefallen, wenn er in irgend einem Aufzuge, in dem er auftritt, Beifall einärntet; so braucht auch der Weise nicht bis zum » Klatschet!« 200 zu kommen. Denn eine kurze Lebenszeit ist lang genug zu einem guten und rechtschaffenen Leben. Ist man aber weiter vorgeschritten, so ist es eben so wenig zu beklagen, als es die Landleute beklagen, wenn nach vergangener Anmuth der Frühlingszeit der Sommer und Herbst kommt. Denn der Frühling bezeichnet gleichsam das Jünglingsalter und zeigt die künftigen Früchte; die übrigen Jahreszeiten aber sind zum Einärnten und Genießen der Früchte geeignet. 71. Die Frucht des Greisenalters aber besteht, wie ich schon oft gesagt habe, in der reichen Erinnerung der vorher erworbenen Güter. Alles aber, was naturgemäß geschieht, muß man für ein Gut halten. Was ist aber so naturgemäß, als daß die Greise sterben? Dieß widerfährt aber auch jungen Leuten mit Widerstand und Widerstreben der Natur. Daher scheinen mir junge Leute so zu sterben, wie wenn die Gewalt der Flamme durch eine Menge Wasser erstickt wird, Greise hingegen so, wie wenn ein von selbst, ohne Anwendung von Gewalt, sich verzehrendes Feuer erlischt. Und gleichwie das Obst, wenn es noch unreif ist, sich nur mit Mühe von den Bäumen abreißen läßt, wenn es aber reif und durch die Sonne gezeitigt ist, abfällt; so nimmt jungen Leuten die Gewalt, alten die Reife das Leben. Und diese ist mir wenigstens so erfreulich, daß, je näher ich dem Tode rücke, ich gleichsam Land zu sehen und nach einer langen Seefahrt endlich einmal in den Hafen zu kommen glaube.