Читать книгу Was dich nicht umbringt - Mark Billingham - Страница 5

TEIL EINS VERSTECKEN EINS

Оглавление

»Süß«, sagte Maria.

Cat schaute sie an. »Was?«

»Die beiden zusammen.« Maria lehnte sich auf der Bank zurück und deutete mit dem Kinn zu den beiden Jungen auf dem Spielplatz. Ihr Sohn, Josh, war gerade in den Sand am Ende der Rutsche gefallen, und Cats Sohn, Kieron, half ihm auf. Die Jungen klatschten ein wenig unbeholfen ab und liefen schreiend und lachend zum Klettergerüst.

»Ja«, sagte Cat grinsend. »Echte Kumpels.«

»Wir können so was doch immer noch machen, oder?«, fragte Maria. »Wenn du umgezogen bist.«

»Noch bin ich ja nicht umgezogen.« Cat trank einen Schluck vom Tee, den sie in der kleinen Cafeteria in der Nähe des Eingangs besorgt hatten. »Es kann immer noch schiefgehen.«

Maria schaute sie an, als erwartete sie, dass ihre Freundin noch etwas hinzufügen würde, was sie ihr bisher verschwiegen hatte.

»Ich meine, so was kommt vor, oder? Mehr sage ich ja nicht. Irgendein Formular, das nicht ordentlich ausgefüllt ist oder so.«

»Aber angenommen, alles läuft glatt«, sagte Maria. »Es wäre doch jammerschade, wenn wir nicht mehr mit ihnen herkommen können.« Sie schaute wieder zum Spielplatz, wo die beiden Jungen von der höchsten Stelle des Klettergerüsts winkten. Die beiden Frauen winkten zurück und riefen ihren Kindern beinahe unisono zu, sie sollten vorsichtig sein. »Sie haben wirklich Spaß.«

»Weit weg ziehe ich ja nicht.«

»Das fände ich auch schlimm.«

Lächelnd lehnte Cat sich an sie. »Du kannst Josh auch zu mir rüberbringen. Setz deinen faulen Hintern ins Auto. In Walthamstow gibt es auch anständige Parks.«

»Aber das hier ist unser Ort«, sagte Maria. »Es ist ihr Ort.«

Eine ältere Frau, der sie oft im Wald begegneten, kam mit ihrem kleinen Hund vorbei. Wie immer kamen die Jungs angelaufen und sorgten für ordentlich Aufregung. Cat und Maria hörten der Frau zu, wie sie sagte, es sei so schön, draußen herumzulaufen, jetzt, wo es endlich warm geworden war. Dann erzählte sie den Jungen von einer Kampagne für neue Fledermauskästen und Futterhäuser für die Vögel. Sie redete noch ein paar Minuten weiter, auch als die Jungen das Interesse schon verloren hatten und auf den Spielplatz zurückgerannt waren. Dann verabschiedete sie sich.

»Wie macht Josh sich in der Schule?«, fragte Cat.

Maria zuckte die Achseln. »Nicht so toll, aber ich glaube, es wird langsam besser.«

»Das ist gut.«

»Und Kieron?«

»Na ja, er vermisst Josh immer noch. Er sagt immer, wie unfair es ist, dass sie nicht in dieselbe Schule gehen können.«

»Es ist wirklich unfair.« Verärgert schüttelte Maria den Kopf. »Eine Nachbarin von mir hat sich so ein Messrad gekauft. Damit ist sie die ganze Strecke von ihrer Haustür bis zum Schultor abgegangen, um der Gemeinde zu beweisen, dass sie innerhalb des Einzugsgebiets wohnt. Anscheinend fehlen dreißig Meter. Das ist lächerlich …«

»Wahrscheinlich wird er da sowieso nicht mehr lange bleiben«, sagte Cat.

»Stimmt.«

»Hoffen wir das Beste.«

»Wie sieht es in der neuen Gegend mit Schulen aus?«

»Ziemlich gut, tatsächlich. Die nächste liegt nur eine Viertelstunde zu Fuß von der Wohnung entfernt, aber es ist eine kirchliche Schule.« Cat schüttelte sich. »Wenn er da hinwill, muss ich so tun, als ob ich eine echte Betschwester wäre.«

»Ein paar Kirchenlieder wirst du doch kennen«, sagte Maria.

»›All Things Bright And Beautiful‹, und damit hört’s schon auf. Ich weiß auch nicht, ob ich mit dem ganzen Drum und Dran zurechtkommen würde. Als ich da war, um mir den Laden mal anzuschauen, hatte eine von den anderen Müttern einen Schnurrbart, auf den Magnum stolz gewesen wäre.«

»Wie bitte?«

»Anscheinend weil sie nichts an dem ändern will, was der Herr ihr gegeben hat.«

»Du willst mich auf den Arm nehmen.«

»Verrückt, oder? Egal, es gibt noch eine andere Schule, die mit dem Bus gut zu erreichen ist, also kein Problem. Es wird schon irgendwie funktionieren.« Sie stand auf und wischte Blütenblätter von ihrer Jeans. »Ich muss mal dringend pinkeln …«

»Pizza, wenn du wieder da bist?«

Cat blickte zu ihrem Sohn und seinem besten Freund hinüber.

Die Jungen gingen langsam am Rand des Spielplatzes entlang, im Gleichschritt und offenbar in ein ernstes Gespräch vertieft. Josh hob die Arme und schüttelte den Kopf. Kieron machte es ihm nach. Höchstwahrscheinlich unterhielten sie sich über Rugrats, aber es sah aus, als könnten sie ebenso gut über Rinderwahnsinn oder die wachsenden Spannungen im Nahen Osten diskutieren.

Cat lächelte. »Das klingt nach einem Plan.«

»Ich hole die Jungs dann.«

Maria sah Cat hinterher, wie sie durch die Bäume hindurch zu den Toiletten beim Café ging, dann drehte sie sich wieder zu den spielenden Kindern um. Es war kein leeres Gerede gewesen: Sie würde Cat nach deren Umzug wirklich vermissen. Es wäre schade, sie nicht mehr so oft sehen zu können. Ihre Freundschaft war ungewöhnlich, das sagten sie sich immer wieder. Maria war fünf Jahre älter und wohnte in einem hübschen Haus in Muswell Hill, während Cats Nachbarschaft in Archway ein bisschen … rauer und bodenständiger war, genau wie Cat selbst.

Sie hatte mitgekriegt, wie andere sie als seltsames Paar bezeichnet hatten.

Aber sie waren richtig gute Freundinnen geworden, egal, wie unpassend es auf andere wirkte. Wahrscheinlich war Cat Marias engste Freundin, ganz sicher sogar. Gelegentlich erwischte Maria sich bei einem Anflug von Eifersucht, wenn Cat zu ausführlich über irgendwelche anderen Bekannten sprach. Maria hatte schon vor Ewigkeiten den Kontakt zu ihren Freundinnen von der Uni verloren, und auch an ihrer Arbeitsstelle stand sie niemandem besonders nahe. Die meisten Frauen, die sie bis vor wenigen Jahren als Freundinnen betrachtet hatte, waren nach der Scheidung auf mysteriöse Weise aus ihrem Leben verschwunden. Fast alle waren in einer Beziehung gewesen und hatten vielleicht einfach keine peinlichen Situationen aufkommen lassen wollen. Doch Maria glaubte eher, dass diese Frauen sie von Anfang an nicht besonders gemocht hatten und dass sie letztlich ohne sie besser dran war.

Dass sie immer noch Zeit hatte, sich neue Freunde zu suchen. Echte Freunde.

Inzwischen jagten Josh und Kieron sich gegenseitig über den ganzen Spielplatz. Als sie an ihr vorbeikamen, schnitten sie Grimassen. Am hinteren Ende des Geländes blieben sie einen Augenblick stehen, um Atem zu holen. Dann flüsterte Kieron Josh etwas zu und rannte los in den Wald.

Maria rief ihnen zu, warnte ihren Sohn, nicht zu weit weg zu gehen, dann sah sie ihn seinem Freund hinterherlaufen.

Sie und Cat hatten sich vor fünf Jahren kennengelernt, in einer Gruppe für Mütter und Kleinkinder in Highgate, vielleicht anderthalb Kilometer entfernt von wo sie jetzt saß. Beide hatten dem Charme des grimmig blickenden Gruppenleiters widerstanden. Beide hatten sich über den kleinlichen Geltungsdrang einiger ehrgeiziger Mitglieder amüsiert. Sie hatten darin übereingestimmt, dass Wein – oder besser noch: Whisky – eine wesentlich erfrischendere Wirkung hatte als grüner Tee und Kekse. Schnell hatten sie beschlossen, sich auch außerhalb der Gruppe zu treffen.

Voller Freude hatten sie entdeckt, wie viele Gemeinsamkeiten sie hatten. Zumindest in den wichtigen Dingen. Sie beide waren zum Beispiel alleinstehend, wenn auch aus ziemlich unterschiedlichen Gründen.

Maria blickte auf und sah Josh in seiner knallgelben Jacke zwischen den Bäumen hinter dem Spielplatz laufen. Lächelnd erinnerte sie sich an seine Reaktion, als sie ihm die Jacke mit nach Hause gebracht hatte.

»Damit sehe ich aus wie eine Riesenbanane, Mummy.«

Natürlich hatte Cat recht, wie in den meisten Fällen. Sie war die Tapfere mit der Verdammt-wen-interessiert’s-Haltung, deren Glas immer halb voll war. Es gab keinen Grund, warum sich etwas ändern sollte, jedenfalls nichts, worauf es ankam. Maria brauchte sich keine Sorgen zu machen. Sie würden nicht mehr so oft zu viert in den Wald kommen, aber es war auch nicht so, als wären Cat und Kieron aus der Welt. Außerdem bestand natürlich immer noch die Möglichkeit, dass es gar nicht zum Umzug kommen würde. Das hatte Cat ja selbst gesagt. Aber was immer passieren würde, entscheidend war, dass die Jungs in Kontakt blieben und sich so oft wie möglich sahen.

Das war auch für Maria wichtig.

Sie nahm die Zigaretten aus ihrer Handtasche und zündete sich eine an. In Joshs Gegenwart rauchte sie nie, aber wenn er nicht zu sehen war, konnte sie der Gelegenheit zu einer schnellen Zigarette manchmal nicht widerstehen. Sie hatte sich das Rauchen auf das Drängen ihres Mannes hin abgewöhnt und wieder damit angefangen, als er ihr Exmann geworden war.

Eine Zigarette zu einem Glas Wein am Abend. Mehrere zu mehreren Gläsern.

Sie lehnte sich zurück, schloss die Augen und stieß den Rauch langsam aus. Sie blickte wieder auf, als sie einen der Jungen irgendwo im Wald rufen hörte. Sie konnte ihn nicht verstehen, war nicht mal sicher, welcher von beiden es war, denn sie ähnelten sich in so vielen Dingen. Sie waren gleich groß, hatten dieselbe Statur und dieselbe Haarfarbe. Maria hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie versehentlich Kieron an die Hand genommen hatte und mit ihm losgegangen war.

»Du kannst sie auch beide mitnehmen, wenn du das wirklich willst«, hatte Cat beim letzten Mal gesagt und gelacht, obwohl sie selbst schon mehrmals denselben Fehler gemacht hatte. »Dann nehme ich einen Flug nach Mallorca und bleibe zwei Wochen weg.«

Als sie sich umschaute und Cat zurück zur Bank kommen sah, drückte Maria sofort die Zigarette aus. Aber die Miene ihrer Freundin verriet ihr, dass sie nicht schnell genug gewesen war.

»Ich dachte, damit wolltest du aufhören.«

»Ich versuche es«, sagte Maria. »Aber es ist nicht so leicht.«

»Wenn du mir eine gibst, tue ich so, als hätte ich nichts gesehen.«

Wieder griff Maria in ihre Tasche und streckte ihrer Freundin die Schachtel Silk Cut entgegen. Cat nahm eine Zigarette und schaute zum Spielplatz. »Wo sind die Jungs?«

»Sie spielen im Wald«, sagte Maria und deutete in die Richtung. »Ich hab Josh gerade gesehen …«

Ohne auf Feuer zu warten, ging Cat Richtung Spielplatz.

Auch Maria stand auf. »Ich hab sie rufen gehört …«

Mit schnellen Schritten überquerte Cat den Spielplatz und ging auf den Ausgang am anderen Ende zu. Sie rief den Namen ihres Sohnes, ohne auf die Blicke der anderen Eltern zu achten, deren Kinder jetzt aufhörten zu spielen und neugierig herüberschauten. Maria eilte ihr nach. Beide blieben abrupt stehen, als Josh plötzlich zwischen den Bäumen auftauchte und auf sie zulief.

Seine gelbe Jacke war lehmverschmiert. Sobald er seine Mutter entdeckte, brach er in Tränen aus.

»Josh?« Maria beugte sich hinunter und legte die Hände ans Gesicht ihres Sohnes. »Alles in Ordnung?«

»Wo ist Kieron?«, fragte Cat und schaute zu den Bäumen hinüber. »Josh, wo ist Kieron

Der Junge begann zu heulen und vergrub sein Gesicht im Bauch seiner Mutter.

Cat ließ die unangezündete Zigarette fallen und lief los.

Was dich nicht umbringt

Подняться наверх