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Trailrunning als Gegenkonzept der Urbanisierung?

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Der Sommer war nach wie vor weit entfernt, der Winter hatte Südbayern weiterhin fest im Griff, so auch am darauffolgenden Wochenende. Der erste Wettkampf unserer Athleten fand in München in der Werner-von-Linde-Halle statt. Diese Halle ist eine von nur zwei Leichtathletikhallen in Bayern, direkt neben dem Olympiastadion gelegen. Hier gibt es eine 200-Meter-Rundbahn, deren Kurven leicht überhöht sind, eine 60 Meter lange, mit acht Bahnen ausgestattete Sprintbahn in der Mitte, zwei Weitsprunganlagen, eine Hochsprunganlage, eine Stabhochsprunganlage, eine Kugelstoßanlage und einen 120 Meter langen Sprintkanal mit vier Bahnen. Die südbayerischen Hallenmeisterschaften standen auf dem Programm. In den vergangenen Jahren hätte man auch gut und gerne diese Meisterschaften im Leichtathletikstadion nebenan abhalten können, da die Temperaturen oftmals im zweistelligen Plusbereich lagen. Dieses Mal zeigte das Thermometer aber -5 °C, und das waren die Höchsttemperaturen an diesem Sonntag. Ich war mit Conny bereits um kurz vor 9 Uhr in der Halle, in der ich die nächsten zehn Stunden verbringen würde. Auf meinem Trainingsplan stand ein langer Dauerlauf, 20 – 23 Kilometer sollten es werden. Aus diesem Grund hatte ich meine komplette Laufaufrüstung mit nach München genommen, denn ich hatte mir vorgenommen, zwischen 10:30 und 13:00 Uhr auf eine große Runde durch München zu starten. In dieser Zeit hatte keiner unserer Athleten einen Wettkampf, so konnte ich die Pause wenigstens sinnvoll nutzen. Motiviert von dem Gedanken, in sechs Monaten einen 50 Kilometer langen Wettkampf zu bestreiten, wollte ich den langen Dauerlauf auf gar keinen Fall ausfallen lassen. Auch wenn ich wusste, dass ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht weiter als maximal 25 Kilometer laufen sollte, schließlich waren die Wettkämpfe in den nächsten zehn Wochen nicht länger als zehn Kilometer.

Bei leichtem Schneefall und schneebedecktem Untergrund verließ ich die Halle, ohne genau zu wissen, wohin mich meine Runde führen würde. Eigentlich hatte ich vorgehabt, vom Olympiapark zum Nymphenburger Schloss zu laufen und einmal den gleichnamigen, traumhaft angelegten Park zu umrunden. Allerdings beschloss ich bereits kurz nach dem Loslaufen, diesen Plan fallen zu lassen, da die Runde um den Nymphenburger Park maximal 12 – 13 Kilometer lang war, folglich deutlich zu kurz für mich. So lief ich nach dem Olympiastadion sofort in Richtung Osten zum Luitpoldpark, von dort auf dem kürzesten Weg über die Dietlindenstraße in den englischen Garten zum Kleinhesseloher See, vorbei am Chinesischen Turm und am Monopteros zum Eisbach am Haus der Kunst - wo sogar bei diesen Außentemperaturen Surfer im Neoprenanzug die stehende Welle ausnutzten - weiter über die Praterinsel zum Deutschen Museum und an der Ostseite der Isar flussaufwärts bis zum Mittleren Ring. Als ich auf meine GPS-Uhr blickte, bemerkte ich, dass ich bereits etwas mehr als 13 Kilometer zurückgelegt hatte. Die Zeit und Distanz waren wie im Flug vergangenen. Schon lange war ich nicht mehr an der Isar entlang gelaufen. Früher war ich hier jeden Tag, das war zu meiner Studienzeit, als ich mit Conny an der Isar im Stadtteil Au gewohnt hatte. Ich hatte beinahe vergessen wie es war, sich durch die Menschenmengen hindurch zu schlängeln, die sich am Wochenende auf den Rad- und Fußwegen entlang des Flusses drängten, den Heerscharen an Läufern auszuweichen, die einem entgegenkamen und die man überholte. Draußen auf dem Land begegnete ich nur selten Läuferinnen und Läufern. Wenn ich einmal jemanden überholte, grenzte dies fast an ein Wunder, denn auf meinen Runden durch das Loisacher Moos rund um Penzberg traf ich, wenn überhaupt, Menschen mit ihren Hunden, Spaziergänger oder Radfahrer, aber eben nur selten Läufer.

An diesem eisigen Sonntag kamen mir im Englischen Garten und in den Isarauen unzählige Läuferinnen und Läufer entgegen. Vielleicht war das ein Grund dafür, warum Trailrunning in den vergangenen Jahren immer mehr Zuspruch erfuhr. Auf den Singletrails und Wegen im Gelände, auf dem Land oder in den Bergen trifft man eben nur selten andere Läufer. Man sucht sich einen einsamen Pfad und hat die Natur und die Umgebung ganz für sich, kann diese ohne menschliche Ablenkung erfahren und spüren. Man wird auf das „Menschsein“ reduziert. Wenn man so möchte, ist der einsame Läufer in der wilden Natur das Gegenstück zum Läufer in der Großstadt, der sich sein Laufrevier mit vielen hundert, am Wochenende sogar tausend Mitläufern teilen und dazu noch zahlreichen Hunden, Spaziergängern und anderen Hindernissen ausweichen muss. In den vergangenen Jahren zog es immer mehr Menschen in die Großstädte. Wenn man den Demoskopen glauben darf, wird sich dieser Trend in Zukunft fortsetzen. So wird die Einwohnerzahl von München bis 2030 um 16,4 % auf 1,8 Millionen anwachsen. Auch Berlin, Hamburg oder Köln werden immer größer werden. Dass diese vielen Städter der Großstadt hin und wieder entfliehen möchten, ist durchaus verständlich. Dabei reicht es aber oft nicht aus, einfach nur in den städtischen Parks oder in den Grünanlagen rund um die Stadt herum zu laufen. Viele wollen mehr erleben als gepflegte Kieswege oder von Bauern instandgehaltene Feldwege. Dazu bieten sich eben die oftmals schmalen Wege in den Bergen an, die mittlerweile bei vielen Veranstaltungen in den Streckenplan integriert sind. Manche Regionen in den Alpen haben sogar schon spezielle Laufrunden ausgeschildert, denen man folgen kann. Die Krönung des Ganzen sind aber natürlich die Trail-Events, die zumeist mit spektakulären Wegen und atemberaubenden Ausblicken in einer einzigartigen Umgebung werben. Ich als Landmensch konnte die Faszination lange Zeit nicht verstehen, obwohl ich ja viele Jahre in München gelebt hatte, was sicherlich daran lag, dass ich damals jedes Wochenende zuhause in bzw. an den Bergen verbracht hatte. Auf dem Rückweg von der Isar zum Olympiapark wurde mir langsam bewusst, warum die Trailevents von Jahr zu Jahr immer höhere Teilnehmerzahlen verbuchen konnten. Als ich mich auf dem Weg zurück befand, war es fast schon Mittag, immer mehr Menschen drängten sich auf den oftmals schmalen Wegen entlang der Isar. Teilweise ähnelte mein Training einem Slalomlauf, wie ein Skirennläufer lief ich ganz knapp an den Slalomstangen, also den Menschen, vorbei, und änderte stetig meine Laufrichtung. Als ich eine Mutter mit einem relativ großen Kinderwagen links überholte, geschah es. Unvermittelt setzte die junge Frau zu einem Wendemanöver an, natürlich ohne sich umzublicken. Sie schwang ihren Kinderwagen nach links, genau in dem Moment, als ich exakt einen Schritt vom Kinderwagen entfernt war. Glücklicherweise war ich nicht in Gedanken versunken, wie so oft beim Laufen, sondern hatte meine ganze Aufmerksamkeit auf die Menschen in meiner unmittelbaren Umgebung gerichtet. Ich verkürzte meinen nächsten Schritt und sprang zur Seite. Ohne mich umzublicken lief ich weiter, schüttelte nur den Kopf und nahm mein Tempo wieder auf.

Im Englischen Garten wieder angekommen, wurden die Wege breiter, die vielen Menschen konnten sich entsprechend besser verteilen. So machte ich mir keine Sorgen, erneut jemandem in letzter Sekunde ausweichen zu müssen, auch nicht, als mir ein freundlicher Läufer mit einem Hund an der Leine entgegen kam. Ich lief zwei Meter links von ihm, sein Hund schien sich nicht im Geringsten für mich zu interessieren. Aber kaum waren wir nur noch zwei Meter voneinander entfernt, wurde das Interesse des Hundes sehr wohl geweckt. Er machte einen Schlenker von sich aus gesehen nach rechts und stand urplötzlich vor mir. Ohne nachzudenken verkürzte ich wieder meinen nächsten Schritt und sprang über den Hund, der mir nur bis zu den Knien reichte. Der laufende Hundehalter erschrak genauso wie ich, brüllte seinen Hund an und rief mir ein „Sorry“ hinterher. Jetzt reicht es aber, dachte ich mir. Bei so einer Aktion hatte ich mir vor sieben Jahren einen Leistenbruch zugezogen, der sich teilweise bis heute schmerzhaft bemerkbar machte. Dieses Mal kam ich aber ohne Verletzung davon. Dass ich auf dem Weg vom Englischen Garten zum Olympiapark an vier Ampeln anhalten musste, steigerte mein Laufvergnügen auch nicht wirklich. Angekommen an der Werner-von-Linde-Halle überwog zwar die Freude über den Lauf durch diese tolle Stadt, allerdings konnte ich jetzt nachvollziehen, dass man als Stadtläufer hin und wieder Abwechslung erleben und den Massen der Großstadt entfliehen möchte. Meine GPS-Uhr zeigte 26,13 Kilometer, ich fühlte mich großartig. Ich hätte locker weiterlaufen können, doch es wäre Blödsinn gewesen, mehr Kilometer dranzuhängen. Das wollte ich mir für die Monate April und Mai, für die unmittelbare Wettkampfvorbereitung für die Traillauf-WM, aufsparen.

Countdown Marathon

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