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Das war’s mit der WM – Das soll Traillauf sein?

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Nach den oberbayerischen Crosslaufmeisterschaften startete ich topmotiviert in die nächste Trainingswoche. Es waren noch exakt 14 Tage bis zu den bayerischen Crosslaufmeisterschaften, dem ersten richtigen Höhepunkt in der Saison 2017. Der Austragungsort dafür war Kemmern, ein kleiner Ort irgendwo in Oberfranken. Vor zwei Jahren waren dort bereits die bayerischen 10-km-Straßenlaufmeisterschaften ausgetragen worden. Damals gewannen wir im Team die Bronzemedaille bei den Männern. Die Wahl des Veranstaltungsortes war für uns Läufer aus dem Süden nicht unbedingt optimal, denn Kemmern liegt ungefähr drei Stunden Autofahrt von Penzberg entfernt, vorausgesetzt, man hat keinen Stau und das Wetter spielt mit. Trotz der langen Anreise war ein Start bei diesen Meisterschaften selbstverständlich. Wir waren es gewohnt, dass wir für bayerische Titelkämpfe längere Anfahrten in Kauf nehmen mussten als für so manche deutsche oder süddeutsche Meisterschaft, die in Baden-Württemberg stattfand. Bayern ist nun mal eben ein Flächenstaat und wir leben im äußersten Süden des mit Abstand flächenmäßig größten Bundeslandes von Deutschland. Bereits seit Wochen hatten wir uns Gedanken gemacht, wer von uns alles an den Start gehen würde. Schließlich wollten wir vor allem in den Teamwertungen wieder kräftig vorne mitmischen. Ich wagte sogar einen Doppelstart. Zunächst wollte ich mich an die Startlinie des Seniorenlaufes über 7,5 km stellen. Zweieinhalb Stunden später würde ich dann gegen die jüngere Konkurrenz auf der Mittelstrecke der Männer (3,75 km) antreten, um gemeinsam mit meinen Vereinskameraden Lucas, Ju und Paul in der Teamwertung zu versuchen, endlich die ersehnte Teammedaille zu gewinnen, was uns bislang nie gelungen war. Bei den Senioren der Altersklasse M35 war ich Titelverteidiger, und nach Durchsicht der vorläufigen Starterliste war ich mir sicher, den Titel zu verteidigen. Denn die anderen starken bayerischen M35-Läufer, die mir gefährlich hätten werden können, waren entweder gar nicht erst gemeldet oder hatten sich für den Langstreckenwettbewerb der Männer entschieden. Ich war der Einzige, der sich die Kombination aus Seniorenlauf und Männer-Mittelstrecke antun würde. Lediglich manch Läufer der LG Telis Finanz Regensburg würde an diesem Tag mehr Kilometer zurücklegen, da Trainer Kurt Ring einige von seinen Schützlingen, die nicht bei den zeitgleich stattfindenden deutschen Hallen-Leichtathletikmeisterschaften antraten, auf die Männer-Mittel- und Langstrecke schicken würde. Dass die Pause zwischen der Männer-Mittel- und Langstrecke gerade einmal 40 Minuten betrug, störte Ring nicht. Genau genommen waren die bayerischen Crosslaufmeisterschaften für viele seiner Spitzenathleten nur die Vorbereitung für die deutsche Crosslaufmeisterschaft drei Wochen später. Ich hatte somit sogar Glück, mehr als zwei Stunden Pause zu haben. Außerdem müsste ich beim Seniorenlauf nicht an mein Limit gehen, zumindest wenn ich der vorläufigen Startliste Glauben schenken durfte. Meine stärksten Gegner hatten 10-km-Bestzeiten, die fast drei Minuten langsamer waren als meine, was natürlich im Crosslauf nicht unbedingt etwas zu bedeuten hatte. Allerdings waren drei Minuten über 10 km eine Menge Holz, vor allem da ich selbst nun kein allzu schlechter Crossläufer bin. Schwieriger als meinen Titel in der Seniorenklasse zu verteidigen würde es werden, eine Medaille mit meinen Mannschaftskollegen bei den Männern zu gewinnen. Dazu mussten wir viele namhafte Teams hinter uns lassen, und, was mindestens genauso schwierig werden könnte, ich müsste als einer der drei schnellsten unseres Vereins das Ziel erreichen. Denn nur die schnellsten drei Läufer eines Vereins kommen in die Mannschaftswertung. Hierzu werden einfach die Platzierungen der einzelnen Läufer zusammenaddiert, d.h. das Team mit den wenigsten Punkten gewinnt. Als am Mittwoch die Teilnehmerlisten endlich online waren, beschäftigte ich mich nicht allzu ausgiebig damit, denn erstens war weiterhin ausreichend Zeit bis zur Meisterschaft, sodass sich einige Athleten hätten nachmelden können. Des Weiteren trieb mich die Frage um, ob ich bei Traillauf-WM starten dürfte oder nicht.

Aus diesem Grund surfte ich wieder einmal bei der Deutschen Ultralauf-Vereinigung vorbei. Dieses Mal wollte ich die Seite richtig gründlich durchsuchen, nachdem ich sie in den vergangenen Wochen immer nur halbherzig durchforstet hatte. Bereits nach einer Minute stieß ich auf eine interessante Seite, hier stand etwas von einer Rangliste. Ich hatte bereits des Öfteren auf einigen Trailseiten von einem Punktesystem gelesen, hatte mich aber bislang nicht näher damit beschäftigt. Ich las mir die Namen der Rangliste durch, wobei mir sogar einige Namen bekannt vorkamen. Doch bevor ich die Liste genauer studierte, fiel mir sofort die Zeile oberhalb der Rangliste auf. Hier stand doch tatsächlich etwas von Nominierungsrichtlinien für das Wettkampfjahr 2017. Sofort klickte ich darauf und ein PDF-Dokument öffnete sich. In diesem 6-seitigen Dokument war detailliert aufgelistet, wie man sich für die internationalen Meisterschaften des Internationalen Ultralauf-Verbandes qualifizieren kann. Angefangen bei den Weltmeisterschaften über 100 km, den 24-Stunden-Weltmeisterschaften bis hin zur Trailrunning-WM. Endlich würde ich wissen, ob ich überhaupt eine Chance hätte, bei dieser WM mitzulaufen oder ob ich nur im Rahmenprogramm starten könnte. Nervös scrollte ich das Dokument nach unten. Als ich auf der entscheidenden Seite angekommen war, wich meine Nervosität Ernüchterung. Der Qualifikationszeitraum für die Traillauf-WM erstreckte sich bis zum 31.03.2017, also wäre theoretisch noch Zeit gewesen sich zu empfehlen bzw. sich zu qualifizieren. Allerdings war der Qualifikationszeitraum bereits seit dem 16.02.2016 geöffnet, und die Qualifikation erfolgte nach einem Punktesystem, wobei die sechs Läufer mit den meisten Punkten nominiert werden. Genauer gesagt würden nach Absprache mit den verantwortlichen Trainern zunächst die punktbesten Athleten gefragt werden, ob sie bei der WM starten wollen. Punkte konnte man ausschließlich bei Ultraläufen sammeln, die in Streckenlänge und Profil der WM-Strecke ähneln. So wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nur Wettkämpfe zur Qualifikation hinzuzugezogen werden könnten, die länger als 40 Kilometer sind, wie z. B. der Rennsteiglauf, die Harzquerung oder der Röntgenlauf, sowie einige andere Läufe, die in den Nominierungsrichtlinien sogar explizit genannt wurden.

Ich hätte folglich in den nächsten sechs Wochen bei mindestens einem Ultralauf starten, und bei diesem eine vordere Platzierung erreichen müssen. Zu allem Überfluss stand in den Nominierungsrichtlinien etwas von einem „Leistungsnachweis“, der in ausreichendem Abstand zur Trail-WM vorgelegt und mit dem Teammanager Ultratrail individuell vereinbart werden muss Das war völlig unmöglich. Nicht nur, dass ich für so einen Lauf noch nicht vorbereitet war, nein, meine Saisonziele für den Februar und März waren den kürzeren Wettkampfstrecken vorbehalten, auf die ich mich in den vergangenen vier Monaten akribisch vorbereitet hatte. Ich war auf keinen Fall dazu bereit, die in die Vorbereitung investierte Zeit in den Wind zu schießen, um unvorbereitet bei einem Ultralauf an den Start zu gehen und diesen womöglich nicht einmal zu beenden. da ich ja eine vordere Platzierung erreichen müsste, also solch ein Rennen offensiv gestalten müsste. Diese Nominierungskriterien bedeuteten das Ende meiner WM-Ambitionen. Aber immerhin wusste ich jetzt, wie ich mich eventuell in den nächsten Jahren für die Nationalmannschaft empfehlen könnte. Bei der weiteren Durchsicht des Dokuments fiel mir auf, dass die Nominierungsrichtlinien frappierende Ähnlichkeit mit den Publikationen des Deutschen Leichtathletik Verbandes hatten. Ich hatte mir diese oft genug durchgelesen, da einige unserer Nachwuchsathleten zumindest in die Nähe der Qualifikationsnormen für internationale Jugendmeisterschaften gekommen waren. Erst jetzt blickte ich auf die Adresszeile des Browsers und stellte fest, dass sich dieses PDF-Dokument auf den Servern des Deutschen Leichtathletik Verbandes befand. Das konnte faktisch nur eines bedeuten: Sämtliche Ultra- und Traillaufmeisterschaften liegen in der Verantwortung des Deutschen Leichtathletik Verbandes und der Deutschen Ultramarathon-Vereinigung. Das erklärte auch die relativ bürokratisch klingenden Qualifikationskriterien. Hier waren anscheinend dieselben Verfasser am Werk, die auch die Richtlinien für Leichtathletik- und Straßenlaufmeisterschaften in der Vergangenheit formuliert hatten. Damit wurde mir auch auf einen Schlag klar, was Hernando, der Ultralauf-Weltmeister 2016, in der Ausgabe 01/2017 der Zeitschrift „Trailrunning“ mit seiner Aussage gemeint hatte, er sei der erste richtige Ultralauf-Weltmeister in der Geschichte. So war die Ultralauf-WM 2016 zum ersten Mal unter der Schirmherrschaft der IAAF (Internationaler Leichtathletik Verband) ausgetragen worden, was dazu geführt hatte, dass viele namhafte Ultraläufer den Weg zur WM nach Portugal gefunden hatten, weshalb der Titel 2016 einen hohen Stellenwert in der Trailrunner-Szene einnahm.

In den Jahren zuvor war dieses Event von den vielen Trailläufern eher belächelt worden, und selbst Weltmeister Luis Alberto Hernando war sich in diesem Interview nicht ganz sicher, ob er den WM-Titel höher einstufen sollte als z. B. seinen Sieg beim Transvulcanica, als er Traillauf-Legende Kilian Jornet besiegt hatte. Der Traillauf schien also mittlerweile immer mehr vom Rand der Laufszene in die Mitte derselbigen zu rücken. Denn wenn erst einmal die internationalen und nationalen Leichtathletikverbände diese (Trend?-) Sportart für sich entdeckt hatten, dann würde es nicht mehr lange dauern, bis Nationalmannschaften und Kaderstrukturen entstehen würden, die von den Verbänden finanziell unterstützt werden würden. Ob eine solche Entwicklung dem Traillauf in Zukunft schaden oder nutzen wird, sei dahingestellt. Auf jeden Fall wird diese Sportart so mehr in den Blick der Öffentlichkeit rücken. Bei genauerer Überlegung hatte ich ja bereits in den vergangenen Monaten diese Entwicklung selbst mitbekommen. Auf der Internetseite www.leichtathletik.de, dem offiziellen Internetauftritt des Deutschen Leichtathletik Verbandes, hatte ich des Öfteren von deutschen und internationalen Traillauf- und Ultralaufmeisterschaften gelesen.

Ich musste somit mein Ziel für den Juni neu überdenken, die Traillauf-WM war für mich gestorben. Es blieb aber weiterhin die Möglichkeit, bei den Rahmenwettkämpfen der WM teilzunehmen und hier erste Wettkampf-Trailerfahrungen zu sammeln. Bevor ich mich allerdings definitiv entscheiden könnte, wollte ich unbedingt das Höhenprofil der verschiedenen Strecken kennen. Wäre es zu anspruchsvoll, würde ich erneut überlegen, ob ich mir und meinem Körper einen 50-km-Ultratrail zumuten würde. Immerhin wollte ich ja im Herbst unbedingt meinen ersten Marathon laufen. Dazu hatte ich mir die deutschen Meisterschaften auf der schnellen Strecke in Frankfurt ausgesucht. Zwar lagen zwischen dem 50-km-Trail in Italien und dem Frankfurt Marathon viereinhalb Monate. Nach der Lektüre verschiedener Bücher und Artikel sowie von den Erzählungen und Blogs einiger Traillaufexperten wusste ich allerdings, dass man nach so einem Lauf durchaus bis zu sechs Wochen Regenerationszeit benötigt, was meine Marathonvorbereitung auf 10 – 12 Wochen beschränken würde. Vom Streckenprofil würde abhängen, ob ich diesen Wettkampf mit vollem Einsatz laufen, als Genusslauf oder vielleicht gar nicht absolvieren würde. Wie bereits in den Kapiteln zuvor beschrieben, hatte ich auf der Veranstalterseite vergeblich nach einem Streckenprofil gesucht. Der Link war zwar vorhanden, funktionierte aber nicht. Doch dieses Mal wollte ich mich davon nicht abschrecken lassen, schließlich bin ich nicht nur Deutsch- und Sportlehrer, sondern unterrichte meine Schüler auch im Fach IT (Informationstechnologie). Ich kenne also mit Computern und dem Internet, behaupte ich mich zumindest, relativ gut aus.

Ich machte mich also mit Hilfe von Google auf die direkte Suche nach dem Streckenprofil, denn ich ging davon aus, dass die Seiten mit den Profilen auf den Servern der Veranstalter liegen müssten. Als Suchbegriff verwendete ich einfach „Sacred Trail Forests“ und „Path“, so lautete nämlich der Link auf der englischsprachigen Version der Seite. Sofort erschien als erster Suchtreffer eine vielversprechende Seite, und tatsächlich, es öffnete sich eine Grafik, die jeden einzelnen Höhenmeter des 50-km-Laufs darstellte. Das ist doch kein Traillauf, schoss es mir als Erstes durch den Kopf. Das ist ein Berglauf mit kniezerstörenden Bergab-Passagen. Natürlich war mir im Vorfeld schon klar, dass es bei 2.800 Höhenmetern auf 50 Kilometer Distanz ständig bergauf und bergab gehen müsste. Doch dass die An- und Abstiege so lang und steil wären, damit hatte ich nun nicht wirklich gerechnet. Bei diesem Profil haben nur echte Bergläufer eine Chance. Darüber hinaus dürfte man, um einigermaßen im Vorderfeld anzukommen, bergab keine Rücksicht auf seine Knochen nehmen, denn die Abstiege waren laut Streckenprofil deutlich steiler als die Bergaufpassagen. Die 50 Kilometer-Distanz war also kein Thema mehr für mich, ich suchte bei Google das Höhenprofil für die 25-km-Strecke. Aber kaum zu glauben, dieses war sogar weitaus schlimmer. Hier ging es im Endeffekt zunächst zwölf Kilometer bergauf, und dann wieder zwölf Kilometer bergab. Entweder ging es nur bergauf, oder eben am Ende nur bergab. Das sollte Traillaufen sein? In den verschiedenen Artikeln, die ich in diversen Laufzeitschriften zum Thema Trailrunning gelesen hatte, war immer wieder die Rede von anspruchsvollen Läufen durch reizvolle Landschaften, die natürlich, je nach Gelände, bergauf und bergab führten. Diese Strecken im Apennin waren eher geeignet für eine Berglauf-WM als für eine Traillauf-WM. Blieb noch die 13-km-Strecke, auf der ungefähr 600 Höhenmeter zu laufen wären. Hier war das Profil aber ebenfalls mehr als eindeutig: Die erste Streckenhälfte ging fast nur bergauf, die zweite Streckenhälfte fast nur bergab. Ich war etwas ratlos und entschied mich dazu, mich erst einmal auf die kommenden Wettkämpfe zu konzentrieren und die Entscheidung auf das späte Frühjahr zu verschieben. Das Hotelzimmer hatte ich ja bereits gebucht, eine Stornierung des Zimmers bis drei Tage vor dem Wettkampf war jederzeit möglich. Ich hatte nach wie vor viel Zeit, mich für oder gegen das Rennen zu entscheiden.

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