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Kann man das Laufen verlernen? – Ein Hoch auf die Gartenarbeit

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Motiviert startete ich im September 2016 gleich nach der Autofahrt zu einem Dauerlauf, dem ersten nach meiner langen Verletzungspause. Schließlich hatte Dr. Meichsner nichts von einem Laufverbot gesagt, sondern mich ermuntert, das Lauftraining wieder aufzunehmen. Ich hatte mir vorgenommen, 5 – 6 Kilometer zu laufen, für das Tempo machte ich mir keine Vorgabe. Bereits kurz nach dem Loslaufen meldete sich mein Knie, die Schmerzen waren aber einigermaßen erträglich und wurden mit fortschreitender Distanz weniger. Dafür meldete sich etwas anderes. Genauer gesagt, der ganze Körper meldete sich. Irgendwie schien dieser keine Ahnung mehr zu haben, wie Laufen funktioniert oder was Laufen überhaupt ist. Meine Beine und Füße torkelten durch die Gegend, nichts passierte automatisch. Bei jedem Schritt musste ich aktiv Befehle an meine unteren Extremitäten senden: Strecken, Beugen, Aufsetzen, Abdrücken…. Ich kam mir vor wie der erste Homo erectus, der gerade den aufrechten Gang erlernt hatte und jetzt versuchte, sich schnell fortzubewegen. Es war ein schreckliches Gefühl. Ich war froh, fast niemanden auf der kurzen Runde zu treffen. Es musste bestimmt seltsam aussehen, wie ich da unbeholfen und völlig verunsichert durch die Gegend wackelte, dachte ich mir. Wahrscheinlich sah es ganz normal für Außenstehende aus, doch ich fühlte mich, als müsste ich meinen Körper mit Hilfe meines Gehirns aktiv steuern und jede Bewegung genauestens durchdenken, bevor ich sie durchführen konnte. Bei jedem Bodenkontakt wurde mein Körper durchgeschüttelt, das Timing stimmte noch nicht. Zu allem Überfluss wurde es nach zwei Kilometern richtig anstrengend, obwohl das Tempo nicht allzu hoch sein konnte. Ich traute mich gar nicht auf die Uhr zu blicken, denn anhand der relativ langsam an mir vorbeiziehenden Landschaft konnte ich erahnen, dass ich sicherlich nicht viel schneller als mit 12 km/h (5 Minuten pro Kilometer) unterwegs war. Ich wollte meinem Körper Zeit lassen in den Lauf „hineinzurollen“, Tempo und Laufgefühl würden in den nächsten Minuten sicherlich besser werden. Leider hatte ich mich getäuscht. Mit jedem Meter wurde es anstrengender und anstrengender, die Atemfrequenz stieg. Ich begann sogar zu schwitzen. Normalerweise schwitze ich kaum, schon gar nicht bei so einem niedrigen Tempo, aber nach vier Kilometern hatten sich einige Schweißperlen auf meiner Stirn angesammelt. Mein Laufshirt wurde langsam feucht. Ich hatte immer noch nicht auf mein linkes Handgelenk geblickt, ich wollte auf den letzten Kilometer warten, denn von nun an ging es nur ausschließlich bergab nach Hause. Normalerweise fliege ich förmlich den letzten Kilometer entlang der Straße in Penzberg, nicht selten laufe ich diesen in 3:30 – 3:50 Minuten, ohne mich dabei verausgaben zu müssen. Heute war ich aber quasi ein flugunfähiger Laufvogel, der vergeblich versuchte vom Boden abzuheben. Auch bergab kam ich nicht ins Rollen, ich spürte die Hangabtriebskraft doppelt und dreifach in meinen Knie-, Hüft- und Fußgelenken, selbst mein Rücken meldete sich zu Wort. Völlig außer Atem kam ich zuhause an: fünf Kilometer in 26:30 Minuten. Das letzte Mal, als ich bei einem Dauerlauf ohne Laufpartner so langsam war, lagen 30cm Neuschnee und ich kämpfte mich bei eisigem Wind durch das verschneite Loisacher Moos. Heute waren mit etwas mehr als 20 °C, Windstille und Sonnenschein die perfekten Bedingungen für einen lockeren Dauerlauf. Ich war völlig erschöpft, obwohl ich gerade einmal mit einem Tempo von 5:18 Minuten pro Kilometer gelaufen war. Ich musste weit in die Vergangenheit zurückgehen, um festzustellen, wann ich so unfit war. Das musste 1996 gewesen sein. Damals, mit 16 Jahren, hatte ich für ein halbes Jahr fast alle sportliche Aktivitäten eingestellt, nicht weil ich verletzt war, sondern: Pubertät. Als ich dann mit Ende 16 wieder anfing zu trainieren, konnte ich nicht einmal drei Kilometer am Stück laufen. Heute hatte ich immerhin fünf Kilometer geschafft, doch ich fühlte mich elend. Mit dem Gefühl, so unfit wie seit fast 20 Jahren nicht mehr zu sein, verflog die Euphorie, mich dem Dehnen, Rollen, Athletik- und Krafttraining zuzuwenden. Ich verschwand sofort unter der Dusche und wollte zunächst einmal nichts von irgendwelchen Therapien für mein Knie wissen. In der nächsten Woche zwang ich mich zu drei kurzen Dauerläufen, wobei zumindest das Gefühl für die Laufbewegung ein wenig zurückkam, nicht aber die Form. Ich krebste weiterhin bei einem Tempo von deutlich über 5:00 Minuten pro Kilometer umher, meine Knieschmerzen waren gerade so erträglich. Lust zum Dehnen hatte ich immer noch keine, zu Athletik- und Krafttraining und zum Rollen sowieso erst recht nicht.

Am Sonntag, dem letzten Ferientag der Sommerferien 2016, fing Conny an, unsere Beete, genauer gesagt, unsere Kiesbeete, vom ersten Herbstlaub zu befreien. Dabei half ich ihr. Danach wollte ich einen kurzen Dauerlauf machen. Ich schnappte mir einen Eimer, füllte diesen mit Wasser und warf einige Handvoll Kieselsteine in diesen. Dadurch schwammen die Blätter und kleinen Äste auf der Wasseroberfläche und ich konnte so den Dreck abschöpfen, zudem wurden die Kieselsteine gewaschen. Nach einiger Zeit ging diese Arbeit ziemlich auf meinen Rücken, denn ich wollte mich nicht hinknien. Ich befürchtete, dass ich dadurch die Schmerzen in meiner Kniescheibe wieder auslösen würde. Außerdem hasste ich die kniende Position schon immer, da diese für mich einfach sehr unbequem war. Die Schmerzen im Lendenwirbelbereich zwangen mich aber dazu, doch in die Knie zu gehen. Zunächst war der Schmerz ziemlich groß, allerdings verschwanden diese nach einigen Minuten in dieser unkomfortablen Stellung auf einmal. Zunächst merkte ich das gar nicht. Als ich mit dem Waschen des Kieses fertig war und aufstand, um mich für den Dauerlauf vorzubereiten, fiel mir auf, dass die kniende Position gar nicht mehr schmerzte. Als ich dann los lief, hatte ich ebenfalls keine Schmerzen im Knie, nicht so wie bei den vergangenen drei Läufen. Konnte ein Zusammenhang zwischen Gartenarbeit und einer schmerzfreien Kniescheibe bestehen? Einige von Ihnen werden jetzt sicherlich denken, wie begriffsstutzig der Autor sein muss. Ich brauchte tatsächlich einige Minuten um zu verstehen, dass durch das lange Knien die Oberschenkel-Vorderseite gedehnt worden war. Anscheinend hatte dieses 45-minütige Dehnen dazu geführt, dass meine Muskulatur deutlich weniger Zug auf die Kniescheibe ausübte. Heureka! Sie glauben gar nicht, wie gerne ich in den nächsten Tagen die Kiesbeete reinigte. Aber leider waren nach zwei Tagen alle Beete sauber, sodass ich mir etwas Neues überlegen musste. Also begann ich einfach meine Oberschenkel-Vorderseite zu dehnen, indem ich mich nach dem Laufen auf den Boden kniete. Diese Position hielt ich teilweise bis zu fünf Minuten. Des Weiteren begann ich auch, andere Muskelpartien zu dehnen. Es schien so, als ob Dr. Meichsner richtig gelegen hatte mit seinem Behandlungsansatz. Dehnen schien wirklich zu helfen. Diese positive Erfahrung führte in den nächsten Tagen zu weitreichenden Konsequenzen in meiner Trainingsplanung. Wenn mir Dehnen so gut tat, dann sollte ich doch auch die anderen Therapievorschläge meines Orthopäden so schnell wie möglich in die Tat umsetzen. Also überlegte ich mir zunächst ein Krafttrainingsprogramm zum Aufbau meiner Beinmuskulatur, wobei für mich die Muskulatur rund um das linke Knie die wichtigste Rolle einnahm.

Seit diesem Erlebnis im September 2016 war ich mit wenigen Ausnahmen zweimal pro Woche im Fitnessstudio, wobei ich meinen Übungszirkel relativ bald um einige Übungen für Bauch, Arme und Rücken ergänzte. Auch an diesem Montag Mitte Januar 2017 quälte ich meine Muskulatur mit Hilfe der verschiedenen Krafttrainingsmaschinen, wobei ich dieses Mal ein weniger länger brauchte als sonst. Das lag nicht daran, dass ich die Pausen zwischen den Übungen verlängerte oder mit meinen Athleten tratschte, es lag schlichtweg daran, dass wie jedes Jahr einige Menschen ihre Neujahrsvorsätze in die Tat umsetzen wollten. Es waren deutlich mehr Männer und Frauen im Studio als sonst. So musste ich geschlagene 20 Minuten warten, bis endlich die Kraftmaschine für die Oberschenkel-Vorderseite frei wurde. Diese Übung konnte ich mittlerweile relativ schmerzfrei absolvieren, wobei ich sie einbeinig durchführte, damit das linke Bein genauso gefordert wurde wie das rechte Bein. Bei der beidbeinigen Ausführung war mir nämlich aufgefallen, wie das rechte Bein immer deutlich mehr Kraft auf die Polster ausgeübt hatte, und das linke Bein so geschont wurde. Die einbeinige Ausführung benötigte zwar mehr Zeit, doch so war sichergestellt, dass ich beide Beine gemäß ihrer Kraftvoraussetzungen gleich intensiv belasten würde. So kam es auch, dass jetzt, Mitte Januar, das Kraftdefizit zwischen beiden Beinen deutlich geringer worden war. War das Defizit zu Beginn des Krafttrainings im Oktober weit über 20 Prozent, so war es mittlerweile auf fünf Prozent geschrumpft. Das linke Bein hatte also deutlich an Kraft zugelegt. Bis dahin war das Ganze aber ein langer und teilweise schmerzhafter Weg gewesen. So war und ist diese Übung im linken Knie weiterhin und wieder mit Schmerzen verbunden, aber kein Vergleich zu Anfang Oktober.

Damals hatte ich darüber hinaus folgendes Problem: Ich konnte eigentlich keine Übung durchführen, die die linke Oberschenkel-Vorderseite stärken würde, denn sämtliche Übungen dafür (Kniebeugen, Ausfallschritte, Bein gegen Widerstand strecken) lösten so große Schmerzen aus, dass ich die Belastung sofort abbrechen musste. Auch die oben beschriebene isolierte Kräftigung der Oberschenkel-Vorderseite war im Oktober fast nicht möglich, ich konnte mein Bein nur minimal beugen, sodass sich mein Bewegungsspielraum im Kniegelenk zwischen 140° und 180° abspielte. Mittlerweile kam ich fast bis zum rechten Winkel. Die Lösung für dieses Problem war, im Nachhinein betrachtet, die ganze Zeit über direkt vor mir gelegen. Es war eine Lösung, die mir aber zunächst noch viel mehr Schmerzen bereitete als Kniebeugen oder Ausfallschritte. Es war eines dieser offensichtlichen Dinge, von denen man gar nicht glauben kann, dass man so lange gebraucht hatte, um sie zu erkennen. Doch Dr. Meichsner sei Dank, hatte mich die Erkenntnis trotzdem erreicht. Sie lautete: Faszienrolle.


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