Читать книгу Countdown Marathon - Markus Brennauer - Страница 7
Die Unterdistanz-Zeiten passen einfach nicht
ОглавлениеAm nächsten Morgen klingelte der Wecker um 7:30 Uhr. Ich hatte mich mit Max für 8:30 Uhr verabredet, gemeinsam wollten wir 20 Kilometer laufen. Wir waren uns bis jetzt nicht ganz sicher, ob wir wirklich 20 Kilometer schaffen würden, da es die vergangenen Tage viel geschneit hatte und sämtliche Wege mit Schnee und Eis bedeckt waren. Zudem zeigte das Thermometer -15 °C. Es war die kälteste Nacht des Winters gewesen, mit Temperaturen von -25 °C. Wir starteten beide von zuhause und trafen uns am Stadion. Von hier aus trabten wir sofort auf die uns noch unbekannte Runde. Wir wollten während des Laufs spontan entscheiden, wo es langgehen sollte, schließlich wussten wir nicht, wo der Räumdienst bereits aktiv gewesen war und wo nicht. Erstaunlicher Weise kamen wir trotzdem ganz gut voran, sodass wir uns ziemlich schnell bei einem Kilometerschnitt von 4:10 Minuten einpendelten. Wir unterhielten uns über Max‘ Trainingsplan und dass er ab Morgen wieder im fast 30 °C warmen Florida seine Laufrunden drehen würde. Ich beneidete ihn dafür, denn meine Hände waren trotz zwei paar Handschuhen tiefgefroren. Vor allem Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand waren komplett ausgekühlt. Nach 20 Kilometern erreichten wir wieder das Stadion und verabschiedeten uns ohne dabei stehen zu bleiben. Ein kurzes Abklatschen musste reichen. Denn bei dieser Kälte stehen zu bleiben und sich noch lange zu unterhalten, wäre für unser Immunsystem eine unnötige Herausforderung gewesen. Wir vereinbarten, dass wir uns in den nächsten Wochen per Skype unterhalten würden. Ich lief vom Stadion die letzten zwei Kilometer nach Hause, öffnete die Haustür und versuchte vergeblich mit meinen klammen Fingern meine Schnürsenkel zu öffnen. Im Moment konnte ich die Finger kaum bewegen, sodass ich nur mit Hilfe meiner Füße aus den Schuhen schlüpfte. Seit ich meine Ernährung umgestellt und dadurch abgenommen hatte, wurden meine Finger während des Laufens, zumindest bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, nicht mehr warm. Mittlerweile hatte ich mich an dieses unangenehme Gefühl gewöhnt. Während meine Finger im Haus langsam auftauten und ich ein wenig dehnte, ließ ich den Lauf gedanklich Revue passieren.
Für mich war es ein typischer langer Dauerlauf gewesen. Die ersten 6 – 8 Kilometer kam ich nur schwerlich ins Rollen. Doch auf der zweiten Hälfte der insgesamt fast 21 Kilometer fiel es mir immer leichter, den Schnitt von 4:10 Minuten pro Kilometer zu halten. Bei unseren gemeinsamen Dauerläufen verhielt es sich immer so: Je länger wir unterwegs waren, desto besser ging es mir. Bei Max verhielt es sich anders herum: Je länger wir unterwegs waren, desto schwerer fiel es ihm, das Tempo zu halten. In den vergangenen Jahren hatte sich dieses Phänomen immer deutlicher ausgebildet. Ich brauchte bei Dauerläufen oftmals ziemlich lange, um in Schwung zu kommen, doch wenn ich erst einmal warm war, war die Länge eines Dauerlaufs nie ein Problem für mich. Dies war einerseits sicherlich meinem fortgeschrittenen Läuferalter zu verdanken, aber auch meinem Training und meiner Ernährung. Ein Umstand, der mich mehr als optimistisch für mein Trailrunning-Experiment stimmte. Auch bei Tempoläufen war mir schon des Öfteren aufgefallen, dass es mir vor allem zu Beginn oft schwer fiel, das von mir geplante Tempo zu realisieren, gegen Ende der Einheit dies aber meist kein Problem war. Natürlich kennen die meisten Läufer dieses Phänomen, dass das erste Intervall mitunter das schwierigste ist, da man noch nicht richtig warm ist, allerdings waren bei mir die Schwankungen zwischen dem ersten und den letzten Intervallen oftmals riesig. So konnte es sein, dass der erste 1.000er in 3:30 Minuten extrem anstrengend war, sich die letzten 1.000-Meter-Intervalle mit 3:10 Minuten aber nicht schlimmer anfühlten. Ich hatte natürlich lange Zeit darüber nachgedacht, warum dies bei mir so ist. Mehr als 15 Jahre hatte ich mich dem Mittelstreckenlauf verschrieben, war also hohe bis höchste Intensitäten im Training gewöhnt, und hatte Dauerläufe eher immer als notwendiges Übel erachtet, bei denen ich zu allem Überfluss meist deutlich zu schnell startete und daraus fast immer einen Tempodauerlauf machte. Eigentlich hätte mein Körper, trotz der Umstellung auf die längeren Strecken mit Anfang 30, eher so wie Max‘ Körper reagieren müssen. Doch bereits kurz nach meinem Entschluss, die Mittelstrecken an den Nagel zu hängen, merkte ich, dass mein Körper auf längere Dauerläufe und längere Tempolaufeinheiten deutlich schneller reagierte als auf knallharte 400-Meter- oder 600-Meter-Intervalle, so wie ich sie unendliche Male in der Vorbereitung für diverse 1.500-Meter-Läufe gemacht hatte.
Aus diesem Grund entschloss ich mich im Herbst 2013, als Saisonhöhepunkt für das nächste Frühjahr die deutschen Halbmarathonmeisterschaften in Freiburg auszuwählen. Ich schraubte die Kilometerumfänge nach oben und änderte meine Tempolaufeinheiten in Richtung Entwicklung der anaeroben Schwelle. (Die anaerobe Schwelle ist die maximale Laufgeschwindigkeit, die man in etwa eine Stunde laufen kann.) Resultat dieser Umstellung war, dass ich meine Dauerläufe locker in 3:50 – 4:00 Min. / km (Minuten pro Kilometer) absolvieren konnte und im Training die ein oder andere 10-km-Bestzeit aufstellte. Anfang April 2014 in Freiburg steigerte ich meine Halbmarathon-Bestzeit um etwa fünf Minuten und war mit 1:11:39 Stunden mehr als zufrieden. Ich hatte meine Lieblingsstrecke gefunden. 2015 und 2016 startete ich erneut bei den deutschen Halbmarathonmeisterschaften und steigerte mich in Husum auf 1:10:37 Stunden und ein Jahr später in Bad Liebenzell auf 1:09:39 Stunden. Ich hatte mich also pro Jahr um ziemlich genau eine Minute verbessert. Nun könnte man davon ausgehen, dass sich meine Unterdistanzleistungen über 5 km und 10 km ebenfalls positiv entwickelt hätten, in Wirklichkeit aber galt diese Entwicklung nur in begrenztem Maße für die 10 km. Über die 5 km verbesserte ich mich überhaupt nicht, meine Bestzeit aus dem Jahr 2013 blieb bis heute unangetastet. Über 10 km ist meine offizielle Bestzeit mittlerweile bei 32:48 Minuten, vor dem Umstieg auf die Halbmarathondistanz stand diese bei 33:20 Minuten. Wie bereits auf den Seiten zuvor erwähnt, war die Durchgangszeit nach 10 km bei meiner Halbmarathonbestzeit 32:39 Minuten, ein Jahr zuvor in Husum war ich die 10 km in 33:19 Minuten durchgegangen. Die Steigerungen meiner Halbmarathonbestzeit resultierten also sehr wahrscheinlich nicht aus verbesserten Unterdistanzleistungen, sondern waren das Ergebnis meiner verbesserten Ausdauer. Einige Lauffreunde machten sich schon über mich lustig bzw. waren der felsenfesten Meinung, dass ich die 10 km locker unter 32 Minuten laufen müsste. Denn meine Halbmarathonbestzeit passte einfach nicht zu meinen Ergebnissen über 10 km, vor allem aber nicht zu den Leistungen über 5 km. Die meisten konnten nicht begreifen, wie man mit meinen Bestzeiten auf den kürzeren Distanzen eine solche Halbmarathon-Bestzeit laufen kann. Und tatsächlich: Wenn man sich z. B. die bayerische Bestenliste 2016 ansieht, dann kann man die Einwände meiner Lauffreunde verstehen. Über 5.000 m hatte ich es nicht einmal annähernd unter die Top 50 geschafft. Die genaue Platzierung ist nicht zu ersehen, da die Bestenliste bei 15:43 Minuten aufhört, ich war in diesem Jahr aber nicht unter 16 Minuten geblieben. Über 10 km nahm ich den 44. Platz ein, im Halbmarathon war ich immerhin auf dem 23. Platz, zudem war der Abstand auf die vorderen Plätze, relativ gesehen, deutlich geringer. So fehlten mir über 10 km auf den 10. Platz der bayerischen Bestenliste exakt 3:29 Minuten, in der Halbmarathon-Bestenliste fehlten mir auf den 10. Platz genau 2:59 Minuten. Bei genauerer Betrachtung dieser Zahlen kann man nun natürlich überlegen, wie diese Entwicklung auf den längeren Distanzen aussehen würde. Ich weiß es natürlich nicht. Trotzdem stimmten mich diese Zahlen sehr optimistisch, dass ich über die Marathondistanz deutlich konkurrenzfähiger wäre als über die Halbmarathondistanz. Dies sollte natürlich erst recht für Ultradistanzen gelten. Mit diesen Gedanken beendete ich mein Dehntraining nach meinem gemeinsamen Dauerlauf mit Max und startete in den Heilig-Drei-König-Tag.