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Golfplätze und Fitness-Tracker - Konkurrenz aus dem eigenen Verein

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Zehn Tage bis zu den bayerischen Crosslaufmeisterschaften. Jetzt war noch einmal die Möglichkeit, etwas für meine Form zu tun. Wie immer trafen wir uns am Mittwochabend in Umkleide Nummer 4 in der alten Turnhalle am hiesigen Schwimmbad. Normalerweise war Dienstag Tempolauftag. Da die oberbayerischen Crosslaufmeisterschaften allerdings erst am Sonntag stattgefunden hatten, hatten wir beschlossen, die intensive Einheit auf Mittwoch zu verschieben. Was wir genau machen würden, wollten wir abhängig vom Wetter und dem Zustand unserer Beine entscheiden. Da Lucas und Nick bereits wieder so gut wie erholt waren – beide waren ja schließlich nur 3,5 Kilometer gelaufen – wollte ihre Trainerin Melanie, dass beide einen Tempodauerlauf über sechs Kilometer absolvieren sollten. Daraufhin entgegnete Nick postwendend, dass er bei den deutschen Crosslaufmeisterschaften am 11. März ebenfalls sechs Kilometer laufen müsse. Da würde es mehr Sinn machen, mindestens sieben Kilometer zurückzulegen. Melanie stimmte ihrem Sohn zu. Ich stand nur daneben und war am Ende derselben Meinung, wobei es mir eigentlich prinzipiell egal war, was wir machten. Hauptsache es war anstrengend, aber nicht zu hart. Meine Beine waren nach wie vor etwas müde, deshalb war es mir ganz recht, dass wir jetzt sieben Kilometer in einem angepeilten Kilometerschnitt von 3:40 Minuten laufen sollten. Ich persönlich würde natürlich schneller laufen, dachte ich mir insgeheim, 3:40 Minuten pro Kilometer hörten sich nicht allzu schnell an, also genau die richtige, angenehm harte Belastung. Ich wusste zwar, dass Nick deutlich schneller laufen kann, schließlich hatten wir zuletzt im Dezember, gemeinsam mit Max, einen 6-km-Tempodauerlauf in 3:26 Minuten pro Kilometer gemacht, wobei Nick hier keinerlei Anzeichen von Schwäche gezeigt hatte. Aber mit Lucas war ich bislang nie schneller als 3:40 Minuten pro Kilometer bei einem Tempodauerlauf gelaufen, allerdings hatte er mich bereits vergangenen Sommer bei dem ein oder anderen Intervalltraining abhängen können. Wie vor jedem harten Training vereinbarten wir, nicht zu schnell zu beginnen und am Ende des Tempodauerlaufs nicht „auf Teufel komm‘ raus“ das Tempo nach oben zu drehen. Zunächst schien es auch so, als ob wir uns alle an die Vereinbarung halten würden. Nach drei Kilometern lockerem Einlaufen ging es sofort nahtlos in den Tempodauerlauf über, und tatsächlich, der erste Kilometer war mit 3:42 Minuten nicht zu schnell. Das Problem daran war nur, dass der erste Kilometer den steilsten Anstieg der ganzen Tempodauerlaufstrecke enthielt, 20 Höhenmeter auf 150 Metern! Zwar ging es danach erst einmal 500 Meter nur bergab, doch das bedeutete nichts anderes, als dass wir bereits deutlich schneller als mit 16,3 km/h unterwegs waren, also eindeutig unter 3:40 Minuten pro Kilometer.

Dabei waren wir nicht einmal richtig warm, denn bei -3 °C Außentemperatur waren unsere Beine noch etwas steif und unser Herzkreislaufsystem war nicht auf Betriebstemperatur. Nach ungefähr eineinhalb Kilometern kamen wir langsam ins Rollen, wurden dann aber jäh aufgehalten. Wir mussten in der Dunkelheit die Autobahnauffahrt der A95 queren. Von der Ausfahrt aus Richtung München kam ein Auto herab gefahren, das links in Richtung Penzberg abbiegen wollte. Obwohl wir alle reflektierende Jacken anhatten, übersah uns das Auto. Wir blieben exakt einen halben Meter vor dem Auto stehen, auch das Auto kam nun mit quietschenden Reifen zum Stillstand. Wir blickten in die Fahrgastzelle das Fahrzeugs, konnten aber den Fahrer oder die Fahrerin nicht erkennen, so dunkel war es an dieser unbeleuchteten Straßenkreuzung zwischen Penzberg und Iffeldorf. Trotz des Schreckens liefen wir sofort weiter, das Auto ließ uns vorbei. Jetzt waren wir urplötzlich auf Betriebstemperatur, was sehr wahrscheinlich am Adrenalin in unseren Körpern lag. Das Tempo wurde nun deutlich höher. Obwohl der zweite Kilometer fast nur bergauf ging, zeigten unsere GPS-Uhren einen Schnitt von 3:38 Minuten. Mittlerweile befanden wir uns auf einer kleinen unbeleuchteten Straße, die am hiesigen Golfplatz vorbeilief. Wir bogen auf einen Feldweg ab, der am Vereinsheim des Golfplatzes vorbei in Richtung Penzberger Norden führte. Obwohl Schnee und Eis diesen Feldweg teilweise bedeckten und wir den Boden nur erahnen konnten, vibrierte meine Uhr am linken Handgelenk nach weiteren 3:31 Minuten. Kilometer 3 war geschafft. Als wir die ersten Häuser Penzbergs erreicht hatten und wir wieder den von Straßenlaternen erleuchteten Kiesweg sehen konnten, fragte Nick, wie viele Kilometer wir denn bereits hätten. Genau Halbzeit, lautete meine kurze, aber für meine Atemfrequenz doch recht deutlich ausgesprochene Antwort. Ich war überrascht, wie leicht mir die Worte über die Lippen kamen. Obwohl ich das Tempo alles andere als locker empfand, war ich anscheinend bei Weitem nicht am Limit. Aus diesem Grund drückte ich beim nächsten Anstieg etwas auf das sprichwörtliche Gaspedal und erhöhte das Tempo. Es dauerte nicht lange bis Nick und Lucas rechts bzw. links von mir erschienen. Beide konnten die Tempoverschärfung nicht einfach so hinnehmen und demonstrierten damit ihre Stärke. Der Nicht-Angriffs-Pakt, den wir vor dem Lauf geschlossen hatten, war aufgekündigt. Ab jetzt hieß es Mann gegen Mann, Läufer gegen Läufer, Jung gegen Alt, das Rennen um den Titel „Schnellster Mittwoch-Abends-Läufer“ war ab sofort eröffnet. Von hier verlief die Strecke ausschließlich auf Asphalt, das Streckenprofil wurde zusehends einfacher. Die Abschnittszeiten sanken weiterhin: Kilometer 4 in 3:29, Kilometer 5 in 3:23, Kilometer 6 in 3:19. Der letzte Kilometer hatte begonnen, der Weg führte nun entlang des Leichtathletikstadions leicht bergauf und Lucas übernahm die Führung. Jetzt nur nicht abreißen lassen, du hast noch nie gegen Lucas oder Nick bei einem Tempodauerlauf den Kürzeren gezogen. Die beiden sind erst 19 bzw. 17 Jahre alt, so einfach lässt du die Jungs nicht davonziehen. Obwohl es nur ein Trainingslauf war, befand ich mich schon lange im Wettkampfmodus. Glücklicherweise wurde Lucas etwas langsamer. Zudem war der Anstieg zu Ende und wir bogen auf den Rad- und Fußweg in Richtung der Turnhalle ab, der leicht bergab führte. Ich blickte auf meine Uhr und konnte zu meiner Freude den Jungs mitteilen, dass es nur noch 200 Meter zu laufen seien. „Wir laufen bis zur Brücke“, war meine kurze, aber prägnante Botschaft an meine Trainingskameraden. Beflügelt von der Nachricht von dem baldigen Ende des Tempodauerlaufs beschleunigten die beiden deutlich und flogen der Brücke entgegen. Aufgrund dieses kleinen Schlussspurts liefen wir den letzten Kilometer in 3:20 Minuten, obwohl wir am Stadion mehr als 300 Meter bergauf gelaufen waren. Der Gesamtschnitt für die sieben Kilometer betrug 3:28 Minuten. Das war deutlich schneller als die vorher anvisierten 3:40 Minuten pro Kilometer. Bereits beim lockeren Auslaufen versuchten wir die Leistung von gerade eben richtig einzuordnen. So kamen wir relativ schnell darauf, dass das gerade gelaufene Tempo für Lucas eine herausragende Leistung war. Schließlich liegt seine 10-km-Bestzeit bei gerade einmal 35:10 Minuten. Das entspricht einem Kilometerschnitt von 3:31 Minuten, gelaufen auf einer deutlich flacheren Strecke als bei unserem Tempodauerlauf. Für Nick und mich war der Tempodauerlauf ebenfalls eine überragende Trainingsleistung, wobei wir nicht zum ersten Mal so eine Performance im Training abgeliefert hatten.

Diese Leistungssteigerung bei Lucas hatte sich bereits drei Tage vorher bei den oberbayerischen Crosslaufmeisterschaften angedeutet, als er Sieger bei den Männern über die Mittelstrecke von 3,4 Kilometern geworden war. Er musste sich dabei zwar Nick geschlagen geben, der als souveräner Sieger der Jugendklasse U20 vor ihm das Ziel erreicht hatte, doch der Rückstand von 14 Sekunden hatte sich sehr in Grenzen gehalten. Dass er aber am Mittwoch beim Tempodauerlauf mit uns beiden mithalten konnte, war durchaus etwas überraschend. Drei Tage später stand bereits das nächste harte Training auf dem Programm, aber leider war Nick von Freitag bis Sonntag beim Kaderlehrgang des bayerischen Leichtathletik-Verbandes an der Sporthochschule Oberhaching (im Münchner Süden). Also mussten Lucas und ich alleine trainieren. 10 x 90 Sekunden schnell mit jeweils 90 Sekunden Trabpause, so lautete das Programm. Da das Stadion in Penzberg am Wochenende meistens geschlossen ist, es sei denn, die Fußballer haben ein Spiel oder haben ein Training angesetzt, mussten wir uns einen alternative Trainingsort suchen. Wir wussten bereits, dass die Strecken bei den bayerischen und deutschen Crosslaufmeisterschaften relativ flach sein würden. Folglich wollten wir uns ein Gelände suchen, welches nur leichte Steigungen aufwies und vom Charakter her den Wiesenparcours in Kemmern und Löningen ähneln würde. Nach kurzer Zeit kam Lucas die großartige Idee, die Trainingseinheit auf dem Golfplatz zu absolvieren. Dort ginge es schließlich immer leicht bergauf und bergab, außerdem wäre der Golfrasen der perfekte Untergrund zur Vorbereitung auf die Crossläufe. Für alle nicht crossaffinen Läufer: Crossläufe, vor allem bayerische und deutsche Meisterschaften, finden fast ausschließlich auf Wiesenflächen statt, eventuell garniert mit Sand, Matsch oder anderen weichen Untergründen. Der Ort für die Trainingseinheit war gefunden, jetzt musste die Uhrzeit ausdiskutiert werden. Lucas schlug 10 Uhr vor, ich wollte bereits um 9 Uhr starten. Nach kurzer Diskussion hatte ich ihn auf 9 Uhr heruntergehandelt, auch wenn er lieber etwas länger ausgeschlafen hätte. Ich wollte die Trainingseinheit möglichst schnell hinter mich bringen, um dann das Wochenende genießen zu können.

Am Samstagmorgen trafen wir uns bei -4 °C am Stadion und liefen mit der Sonne im Rücken in Richtung Golfplatz. Auf dem Weg dahin mussten wir durch den Wald laufen, wobei wir einige Male auf den völlig vereisten Waldpfaden hin und her rutschten. Am Golfplatz angekommen, stellten wir erstaunt fest, dass dieser mehr Anstiege enthielt als wir angenommen hatten. Außerdem lag auf einigen Fairways noch Schnee. Nach den drei obligatorischen Steigerungsläufen vereinbarten wir folgendes Procedere für die Tempoläufe. Bei jedem ungeraden Tempolauf (Lauf 1, 3, 5, 7 und 9) würde ich das Tempo und den Weg vorgeben. Bei den geraden Tempoläufen wäre Lucas für Geschwindigkeit und Laufrichtung zuständig. Obwohl ich den ersten Lauf wirklich langsam begann, war er erstaunlich anstrengend. Das lag einerseits an der doch recht frühen Uhrzeit, zum anderen an der Kälte, vor allem aber am von mir ausgesuchten Streckenprofil. Die zweite Hälfte der 90 Sekunden führte nur bergauf. Wir liefen über den gefroren Fairway in Richtung Abschlag. Dieser lag gut und gerne zehn Meter oberhalb des niedrigsten Punktes. Ich blickte auf meine Uhr und stellte erschrocken fest, dass wir immer noch 20 Sekunden laufen mussten. Wir würden genau an der höchsten Stelle dieses Lochs mit unserer Belastung aufhören. Als die 90 Sekunden vorbei waren, rangen wir beide zunächst nach Atem, trabten aber im geschätzten 8:30 Minuten-Schnitt über den Golfplatz. Lucas war jetzt an der Reihe, ich hoffte inständig, er würde eine leichtere Route als ich wählen. Als die Trabpause vorbei war, stürmte er sogleich vorneweg, ich hinterher. Er lief exakt in die entgegengesetzte Richtung im Vergleich zu unserem ersten Lauf, wir liefen also leicht bergab. Trotz des Gefälles kämpfte ich um den Anschluss und war mehr als froh, als auch die zweite Belastung vorbei war. Dieses Spielchen wiederholte sich bei den nächsten sechs Läufen, wobei wir uns nichts schenkten und alle Ecken des Golfplatzes erkundeten. Wir beide waren erst einmal zuvor auf dem Golfplatz gewesen, kannten uns dementsprechend nur bedingt aus. Zu Beginn der Tempoläufe hatten wir beschlossen, dass wir nach dem zehnten und letzten Intervall auf der entgegengesetzten Seite des Golfplatzes sein wollten, um von dort durch die Stadt zum Stadion auslaufen zu können. Das Problem war nur, dass dieser Teil des Golfplatzes deutlich höher lag als der Rest der Grünanlage, wir also beim letzten Lauf erneut die Steigungen hinauflaufen mussten. Zu allem Überfluss lief Lucas sogar durch einen Sandbunker, sodass ich kurzzeitig den Anschluss verlor. Ich kämpfte mich aber wieder heran, sodass wir gemeinsam die letzten 90 Sekunden am Parkplatz des clubeigenen Restaurants beenden konnten. Wir stützten uns beide mit den Händen auf unseren Knien ab und rangen 30 Sekunden nach Luft. Die Anstrengung war uns beiden deutlich anzusehen. Als wir uns etwas erholt hatten, klatschten wir uns ab und schimpften über den Golfplatz. Wer ist denn so blöd und läuft freiwillig auf diesem schwierigen Gelände. Wir waren so blöd und wir beschwerten uns weiter. Die Wiese saugt dir bei jedem Schritt die Kraft aus den Beinen. Lucas pflichtete mir bei und ergänzte zu Recht, dass die vereinzelten Schneefelder das Ganze erschwert hätten. In einem gemütlichen Kilometerschnitt von 4:25 Minuten joggten wir entlang der Hauptstraße. Penzberg erwachte langsam und die Sonne wärmte endlich meine immer noch kalten Hände. Stopp, werden jetzt einige von Ihnen denken, hat der da wirklich gerade etwas von einem gemütlichen 4:25er-Schnitt geschrieben? Nicht nur, dass dieses Tempo von vielen Läuferinnen und Läufern nicht einmal im Wettkampf erreicht werden kann, nein, nach einem harten Tempolauftraining muss sich doch so ein Tempo alles andere als locker anfühlen? Wer von Ihnen des Öfteren schon Tempoläufe gemacht hat, und sie gut überstanden hat, kennt vielleicht dieses Gefühl. Eigentlich sind die Beine schwer und müde, die Lunge brennt, man fühlt sich erschöpft. Zu Beginn des Auslaufens kommt man kaum vorwärts, doch mit zunehmender Dauer wird man automatisch schneller und schneller. Erst der Blick auf die GPS-Uhr lässt einen erkennen, dass man gerade relativ schnell ist, obwohl man sich sehr, sehr langsam fühlt. Diese getrübte Wahrnehmung liegt daran, dass einerseits das Tempo der Intervallläufe sehr hoch war, man das Auslauftempo als sehr langsam empfindet. Zum anderen ist man zu Beginn des Auslaufens erschöpft, doch verfliegt diese Erschöpfung mit zunehmender Dauer deutlich, vorausgesetzt natürlich, man verfügt über eine gute Grundlagenausdauer. Nach insgesamt drei Kilometern in etwas über 13 Minuten hatten wir wieder das Auto erreicht und verabredeten uns für den nächsten Tag um 10 Uhr für einen lockeren Dauerlauf über 15 Kilometer. Ich hatte den Angriff der Jugend, dieses Mal auf dem Golfplatz, erneut abwenden können.

Zum verabredeten Dauerlauf am Sonntagvormittag kam es nicht, da Lucas aufgrund von aufkommenden Halsschmerzen lieber einen Ruhetag einlegte. Also startete ich alleine zu einer lockeren 15-km-Runde, die ich nach 61 Minuten beendet hatte. Ab jetzt war Erholung angesagt, im Fachjargon auch „Tapering“ genannt. Da kam es mir gerade recht, dass ich am Sonntagnachmittag mit meinem Bruder ins Gespräch kam. Bei der Geburtstagsfeier unserer gemeinsamen kleinen Nichte zeigte er mir seine neue Smartwatch, die neue Fitbit Blaze. Zehn Tage vorher, als er seinen Geburtstag bei sich zuhause gefeiert hatte, hatte er die Uhr von seiner Freundin geschenkt bekommen, aufgrund einer Empfehlung von mir. Auf jeden Fall fragte ich ihn, ob er mit der Uhr zufrieden sei und ob er sie schon beim Laufen ausprobiert hatte. Er verneinte dies, bis jetzt hatte er die Fitbit Blaze nicht auf Herz und Nieren überprüfen können. Was lag da also näher, uns für den morgigen Montag zu einem Dauerlauf zu verabreden. Mein Bruder ermahnte mich sogleich, ja nicht zu schnell zu laufen, denn er lief meistens einen Kilometerschnitt zwischen 5:00 – 5:10 Minuten pro Kilometer. Zum Verständnis für Sie, mein Bruder ist zwölf Jahre jünger als ich und wir hatten seit fast zehn Jahren nicht mehr miteinander trainiert. Vor zehn Jahren, als er noch zur Schule ging, war ich sein Trainer und hatte ihn zu einem ganz ordentlichen 400-Meter-Läufer ausgebildet. Doch mit Beginn der Ausbildung hatte er, wie so viele andere Jugendliche auch, keine Lust mehr am Leistungssport und beendete seine sportliche Karriere. Erst in den vergangenen Jahren hatte er wieder zurück zum Laufsport gefunden und hielt sich mit Dauerläufen fit. Da er mit 15 Jahren die 1.000 m deutlich unter drei Minuten laufen konnte, entwickelte er relativ schnell eine beachtliche Fitness. Kein Wunder also, dass er ohne große Probleme zehn Kilometer in 50 Minuten bei einem lockeren Dauerlauf schaffte. Ich fragte Conny, ob sie uns begleiten wolle, also starteten wir am Montagabend gemeinsam zu einem lockeren 50-minütigen Dauerlauf.

Wir starteten langsam und liefen gemeinsam in die einsetzende Dunkelheit. Man konnte gerade soeben die Silhouette des Herzogstandes, der Benediktenwand, des Jochbergs und des Heimgartens erkennen. In der Ferne leuchteten die Rohre des Walchenseekraftwerks sowie die Lichter der beiden Dörfer am Fuße der Benediktenwand, Benediktbeuern und Bichl. Wir pendelten uns bei einem Kilometerschnitt von 5:30 Minuten ein und unterhielten uns über die Ereignisse des Tages. Keiner von uns kam auf das Tempo zu sprechen. Mit zunehmender Dauer wurden wir etwas schneller, das Tempo sank aber zu keinem Zeitpunkt unter die 5-Minuten-Marke. Gegen Ende des Dauerlaufs musste ich mich teilweise wirklich zurückhalten, um nicht in meinen gewohnten Laufschritt zu verfallen. Zeitweise hatte ich sogar das Gefühl, gleich gehen zu müssen, derart ungewohnt war das Tempo für mich. So langsam war ich, zumindest über eine solch lange Strecke, seit Jahren nicht mehr gelaufen. Da es wieder ziemlich kalt war, in etwa um den Gefrierpunkt herum, wurde ich zudem nicht wirklich warm, meine Muskeln und Gelenke blieben steif. Das Laufen fühlte sich extrem ungelenk an, als ob ich zum ersten Mal diese Bewegungsart ausführen würde. Diese „Art“ von Laufen fühlte sich irgendwie nicht wie Laufen an, sondern eher wie „Gehen mit Flugphase“. So mussten sich Ultraläufer fühlen, dachte ich mir sofort. Stundenlang in einem sehr, sehr langsamen Tempo zu laufen, das war doch Ultralaufen. Ich rechnete kurz nach. 24 Stunden in diesem Tempo wären ca. 260 Kilometer, ein sehr, sehr guter Wert für Ultraläufer. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie man solch ein Tempo so lange durchhalten könnte. Meine Oberschenkel waren bereits nach 45 Minuten erstaunlich müde, mein Herzkreislaufsystem war natürlich in keiner Weise ausgelastet. Am Ende unseres Dauerlaufs war es dann Conny, die ein wenig das Tempo erhöhte, sodass ich aus meinem Schlappschritt ausbrechen konnte. Nach dem Lauf begründete sie ihre leichte Tempoverschärfung mit den gleichen Gedanken wie ich sie hatte. Auch für sie war das Tempo ungewohnt langsam, ihre Muskulatur war nicht richtig warm geworden, das Laufen fühlte sich nicht „richtig“ an. Bei Conny führte dieses ungewohnte Tempo sogar zu einem leichten Muskelkater, meine Beine waren am nächsten Tag toperholt. Das mussten sie auch sein, denn der letzte Härtetest vor den bayerischen Crosslaufmeisterschaften stand auf dem Plan, gemeinsam mit Lucas und Nick.

Dienstagabend, 18:35 Uhr. Penzberg, Stadion an der Karl-Wald-Straße. 1 °C. „Vor. Zurück. Ab!“ Wir starten zu unserem letzten Tempolauftraining vor den bayerischen Meisterschaften: 1.000 m, 500 m, 500 m, 1.000 m, 500 m, 500 m. Pausendauer: zwei Minuten. Lucas, Nick und ich laufen los, die beiden Jungspunde vornweg, ich hinterher. Lucas ist wieder fit, Nick von seinem Kaderlehrgang wieder erholt, ich selbst fühle mich großartig, meine Beine sind leicht wie eine Feder. Kein Wunder also, dass wir viel zu schnell unterwegs sind. Wir müssen uns einbremsen, um es nicht zu übertreiben. Die ersten drei Läufe sind mit 3:12, 1:26 und 1:30 Minuten einigermaßen im Rahmen, bei den letzten drei können wir uns kaum zurückhalten. Die Muskeln strotzen vor Kraft, wir steigern uns in das Training hinein. 3:03 Minuten zeigt die Uhr beim zweiten 1.000er, 1:25 Minuten beim vorletzten 500er. Mittlerweile ist auch Stephan im Stadion, der Vater von Nick und ehemalige deutsche Spitzenläufer. Als wir nach dem zweiten 1.000-Meter-Lauf stehen bleiben, kommt er zu uns und fragt seinen Sohn, ob denn zwei Minuten Pause zwischen den 500-Meter-Intervallen nicht zu lang seien. Eine Minute sei schließlich völlig ausreichend. Ich stimme Stephan zu, der sogleich hinzufügt, dass zwei Minuten Pause nach einem 1.000er in Ordnung seien, aber doch nicht nach einem 500er. Also beschließen wir kurzerhand, uns vor dem letzten 500-Meter-Intervall nur eine Minute Pause zu gönnen. Wer jetzt meint, die verkürzte Pause hätte dazu geführt, dass wir den letzten Lauf langsamer machen würden, hatte die Rechnung ohne Nick und Lucas gemacht. Kaum waren die 60 Sekunden Stillstand vorüber, preschten die beiden auch schon in einem irrsinnigen Tempo los. Ich lief hinter den beiden her und rief ihnen zu, sie sollten es nicht übertreiben. Die beiden bremsten sich etwas ein, doch auf den letzten 200 Metern nahmen sie wieder an Fahrt auf. Kontrolliert, aber zügig, beendeten wir das letzte Intervall nach 1:22 Minuten, einer vor allem für mich herausragenden Zeit. Seit mehr als zwei Jahren war ich nicht mehr so schnell gewesen, wobei sich meine Beine immer noch frisch und fit anfühlten. Auch die beiden anderen bekundeten beim Auslaufen mir gegenüber, dass diese Einheit erstaunlich locker war. Die bayerischen Crosslaufmeisterschaften konnten also kommen.

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