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g) Polizeiliche Rechtshilfe nach der Schwedischen Initiative

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Die sog. Schwedische Initiative geht auf einen Vorschlag des Königreichs Schweden zurück, in dem in einem zusammenwachsenden Europa, das die Kontrollen an den Binnengrenzen weitestgehend abgeschafft hatte, die polizeiliche Zusammenarbeit und der Informationsaustausch über Staatengrenzen hinweg von förmlichen Verfahren, Verwaltungsstrukturen und rechtlichen Hindernissen entlastet werden sollten.

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Rechtsgrundlage ist der Rahmenbeschluss 2006/960/JI des EU-Rates vom 18.12.2006[63] (abgekürzt in Deutschland als RbDatA), der 30.12.2006 in Kraft getreten ist (Art. 13). Das deutsche Umsetzungsgesetz trat erst am 26.7.2012 in Kraft,[64] schuf die neuen §§ 117a und 117b AO und änderte umfangreich die entsprechenden Passagen des IRG.[65] Je nach Art des Auskunftsaustausches sind die Rechtsgrundlagen der AO oder dem IRG zu entnehmen:

Rechtsgrundlagen Schwedische Initiative
Ausgehende ErsuchenEingehende Ersuchen
Repressiver BereichPräventiverBereichRepressiver BereichPräventiverBereich
§ 163 StPO i.V.m.Rahmenbeschluss§ 93 AO i.V.m.Rahmenbeschluss§ 92 IRG, § 92a IRG§ 117a AO ff

Hinweis:

Die neuen §§ 117a und 117b AO sind keine Untervorschriften zu § 117 AO: Stellung und Nummerierung im Gesetz sind lediglich der Gesetzessystematik geschuldet, die keinen Raum für eine eigenständige andere Nummerierung zuließ. Das bedeutet, dass die Regelungen aus § 117 AO wie etwa die Anhörungserfordernis aus § 117 Abs. 4 AO nicht auch für § 117a AO und § 117b AO gelten.

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Gegenstand der schwedischen Initiative ist ausschließlich der transnationale Informationsaustausch zwischen den EU-Polizeibehörden, der bislang seine Rechtsgrundlage in Art. 39 SDÜ hatte. Die Steuerfahndung ist Polizei im Sinne der schwedischen Initiative. Sie gilt ausschließlich für das (repressive) Strafverfahren sowie das (präventive) polizeiliche Erkenntnisgewinnungsverfahren. Letzterer ist im Bereich der Steuerfahndung am besten als Vorfeldermittlungen nach § 208 Abs. 1 Nr. 3 AO zu umschreiben. Sie findet im OWi-Verfahren keine Anwendung. Die Staatsanwaltschaften und die Bußgeld- und Strafsachenstellen der Finanzverwaltung haben nach der schwedischen Initiative keine unmittelbaren Auskunftsrechte.

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Wesentliche Kernaussagen der schwedischen Initiative sind der …

a) Inlandsstandard: Für die Zurverfügungstellung von Informationen und Erkenntnissen an die zuständigen Strafverfolgungsbehörden anderer Mitgliedstaaten dürfen keine strengeren Anforderungen gestellt werden als auf nationaler Ebene üblich, Art. 3 Abs. 3 RbDatA. Es ist daher eine Parallelwertung anzustellen, ob die ersuchte Behörde die erbetenen Informationen unter sonst gleichen Bedingungen einer anderen inländischen Behörde für deren Verfahren zur Verfügung stellen würde. Hierdurch wird das hohe Datenschutzniveau des deutschen Steuergeheimnisses in § 30 AO auch für den EU-weiten Datenaustausch festgelegt.
b) Amts- und Rechtshilfe: Der Informationsaustausch umfasst gleichermaßen strafrechtliche Ermittlungsverfahren wie polizeiliche Erkenntnisgewinnungsverfahren (Art. 3 und 5 RbDatA).
c) Keine Zwangsmaßnahmen: Der Informationsaustausch nach dem Rahmenbeschluss bezieht sich nur auf vorhandene Informationen (Art. 1 Nr. 3) und verpflichtet die Mitgliedsstaaten nicht, angefragte Informationen durch Zwangsmaßnahmen zu erlangen (Art. 1 Nr. 5 RbDatA). Soweit es das nationale Recht zulässt, können auch durch Zwangsmaßnahmen erlangte Informationen zur Verfügung gestellt werden (Art. 1 Nr. 6 RbDatA)
d) Enge Zeitvorgaben: Dringende Ersuchen sind innerhalb von 8 Stunden zu beantworten, andere (z.B. bei Steuerhinterziehung) maximal innerhalb von 14 Tagen. Eine Rückmeldung ist verpflichtend, wenn die Frist nicht eingehalten werden kann.
e) Weitere Regelungen: – Keine Verpflichtung zur Bereitstellung von Informationen, die als Beweismittel vor einer Justizbehörde verwendet werden sollen. Die Justizverwertbarkeit kann aber vom übermittelnden Staat erklärt werden (Art. 1 Nr. 4 RbDatA). – Der Rahmenbeschluss umfasst sowohl den Informationsaustausch aufgrund von Ersuchen wie auch Spontanauskünfte (Art. 7 RbDatA). – Bisher bestehende bilaterale und multilaterale Vereinbarungen bleiben vom Rahmenbeschluss unberührt (Art. 1 Nr. 2 RbDatA).

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Der Umfang der zu übermittelnden Informationen richtet sich nach dem, was im angefragten Staat an Information vorhanden ist, da Zwangsmaßnahmen ausgeschlossen sind. Damit ist Zielrichtung der im anderen Staat vorhandene Akteninhalt und was in den nationalen Datenbanken des ersuchten Staates gespeichert ist. Allenfalls kann die ersuchte Behörde noch bestimmte Ermittlungen (z.B. Ortsbesichtigungen) freiwillig durchführen; verpflichtet ist sie dazu indes nicht. Die Möglichkeiten nach der schwedischen Initiative machen die justizielle Rechtshilfe daher nicht entbehrlich.

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Denkbare Fallgestaltungen für Ersuchen nach der schwedischen Initiative sind:

Übermittlung einer Zustellanschrift von Personen (insbesondere Beschuldigten), um diesen anschließend Schriftstücke unmittelbar gem. Art. 5 EU-RhÜbk. zustellen zu können;
Auskünfte aus Registern jeder Art;
Auskünfte von den Steuerbehörden, ob bestimmte Personen oder Firmen tatsächlich existieren und was sie ggf. steuerlich erklärt haben;
Überprüfung der Existenz und ggf. Gewinnung weiterer Informationen (z.B. zum Alter oder zu Verwandtschaftsverhältnissen) angeblicher ausländischer „Darlehnsgeber“ bei vermuteten fingierten Darlehn;
Überprüfung/Vorbesichtigung ausländischer Firmen- oder Privatadressen, um dort geplante im Wege eines Rechtshilfeersuchens durchzuführende Durchsuchungsmaßnahmen vorzubereiten.

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Der Weg der Ersuchen nach der schwedischen Initiative soll nach dem Prinzip des Inlandsstandards frei von bürokratischen Hürden sein und grundsätzlich direkt von anfragender zu Auskunft gebender Stelle gehen. Da letztere häufig nicht bekannt sind, haben die Staaten nationale Zentralstellen geschaffen für die Steuerung der Weiterleitung. In Deutschland sind das das Zollkriminalamt in Köln und das Bundeskriminalamt in Wiesbaden. Allerdings haben sich in einzelnen Bundesländern die üblichen Hierarchien vernachlässigt gefühlt und zum Teil noch landeseigene Zentralstellen dazwischen geschaltet. Das war so von der schwedischen Initiative nicht gewollt und widerspricht deren Sinn und Zweck.

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Die Verwertbarkeit der Informationen nach der schwedischen Initiative regelt Art. 1 Abs. 4 RbDatA, der bestimmt, dass eine unmittelbare Verwertung der Information als Beweismittel in eben diesem Verfahren zulässig ist, in dem angefragt wurde, wenn dies sogleich mit der Übermittlung erklärt wird. Das geschieht in der Regel durch ein entsprechendes Kreuzchen im Antwortvordruck „A“ („Informationen dürfen für die angefragten Zwecke verwendet werden“), bei formlosen Antworten wird sie mit Erteilung der Auskunft zum konkret angefragten Zweck als konkludent erteilt unterstellt.

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Diese Verwendungsbeschränkung ist – sozusagen als Selbstbindung – auch entsprechend im nationalen Recht festgeschrieben worden: Für den repressiven Bereich in § 92b IRG, für den präventiven Bereich – u.a. – in § 117b AO.

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Der Schwedischen Initiative haben sich die EU – Mitgliedsstaaten, die Schweiz, Island, Norwegen und Liechtenstein angeschlossen, so dass sie innerhalb der EU und in den EWR-Staaten Anwendung findet.

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Der Rahmenbeschluss kann und soll die klassische justizielle Rechtshilfe nicht ersetzen. Er kann aber gerade in Steuerstrafverfahren in einzelnen Bereichen eine schnelle und mit wenig Aufwand verbundene Informationsbeschaffung ermöglichen.

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