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ОглавлениеMilton stand vorne im Hörsaal am Pult und verstaute seine Unterlagen. Was für Kretins, dachte er. Inzwischen kann wirklich jeder Vollidiot an einer Universität studieren.
Er schüttelte in Gedanken an die Unfähigkeit seiner Studenten den Kopf. Daran, dass er selbst erst vor wenigen Semestern noch auf einem der harten Holzstühle im Audimax gesessen hatte, verschwendete er keinen Gedanken.
Ohne Zweifel war es ihm mit seiner überdurchschnittlichen Intelligenz gelungen, den komplizierten Stoff schneller zu durchschauen und zu begreifen als jeder andere Student in seinen Kursen. Nach sechs Semestern schon hatte er seinen Abschluss in der Tasche, was den Rekord in der Chemie-Fakultät der University of Central New England bedeutete. Obwohl es keinen Zweifel daran gab, dass Milton mit außerordentlichem Talent und Fleiß gesegnet war, fand er zunächst keinen Doktorvater, der seine Dissertation begleiten wollte. Für Milton war der Fall klar. Er bewertete die Zurückhaltung der Professoren als Eingeständnis, ihm nicht das Wasser reichen zu können. Letztlich entschied der Dekan und überredete einen Kollegen druckvoll, die Arbeit zu übernehmen. Der Auserwählte hatte die Ergebnisse seiner jüngsten Forschung - gegen Zahlung eines nicht unerheblichen Betrages - etwas zu sehr im Sinne eines Pharmakonzerns interpretiert, und der Dekan hatte Wind davon bekommen. Sollte diese kleine Geschichte an die Öffentlichkeit kommen, wäre die Karriere des Wissenschaftlers nachhaltig beschädigt. Dennoch dachte er zunächst ernsthaft darüber nach, die Universität zu verlassen.
Schließlich redete er sich die lästige Pflicht als Herausforderung ein. Miltons Werk stand unter der Überschrift: »Design von Lewis-Supersäuren und davon abgeleiteten nicht-koordinierenden Anionen für Anwendungen in der katalytischen Polymerisation von Olefinen und Oxacyclen«. Fachlich gab es nichts zu beanstanden. Im Gegenteil. Miltons Thesen und seine wissenschaftliche Beweisführung waren brillant. Trotzdem wartete sein Betreuer sehnsüchtig auf den Abschluss von Miltons Doktorarbeit. Jeden Morgen fragte er sich, wie er diesen überheblichen Typen noch länger ertragen sollte.
Als wissenschaftlicher Mitarbeiter seines Doktorvaters musste Milton die neuen Studenten an die Chemie heranführen. Er hasste es, vor den Studenten zu stehen, und die Studenten hassten ihn. Er nahm keinerlei Rücksicht auf die Bedürfnisse der unsicheren Erstsemester. Manche von ihnen hatten sich über ihn beschwert, doch ihre Klagen blieben wirkungslos. Miltons Doktorvater hatte keine Zeit und keine Lust, den Anfängerkurs zu leiten. Er richtete ein paar mahnende, wirkungslose Worte an seinen Schützling, und damit war für ihn das Thema erledigt.
Milton selbst konnte darüber nur den Kopf schütteln. Für ihn war klar, dass das zwischenmenschliche Problem nicht an seinen mangelnden didaktischen Fähigkeiten lag, sondern an der Dummheit der Studenten. Außerdem interessierten sie ihn nicht. Es gab nur wenig Menschen, die ihm etwas bedeuteten. Wenn er darüber nachdachte, fielen ihm nur Lionel und Harold ein. Nein, schränkte er in Gedanken ein: Sie sind die einzigen, die ich ertragen kann, wenn mir die Einsamkeit des Genies zu unerträglich wird.
Daran dachte Milton nun mit einem Teil seines Gehirns, während er einen anderen Teil dazu nutzte, um ausdruckslos wie mit der Stimme eines Navigationssystems über
gesättigte Kohlenwasserstoffe als Energieträger zu referieren. Als ein Gong die Vorlesung beendete, brach er mitten im Satz ab und schloss seine Tasche. Zum Beispiel jetzt könnte ich sie ertragen, dachte er mit dem Teil seines Gehirns, der sich mit Lionel und Harold beschäftigt hatte. Er schaute auf seine Armbanduhr. Es war Mittag. In der Kantine gab es Käsemakkaroni. »Wahrscheinlich reine Chemie.« Milton lächelte. »Traumhaft!«