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Später, als seine Freunde gegangen waren, nicht ohne vorher ständig an Dr. Who herumzunörgeln, nur um ihn zu ärgern, kippte Milton die Essensreste des italienischen Abends in den Mülleimer und packte die schmutzigen Teller in die Spülmaschine.

»Ach Oma, niemand kann Spaghetti kochen wie du«, sagte er und betrachtete ein Foto auf dem Regal über der Spüle. Es zeigte den sechsjährigen Milton mit einer Schultüte auf dem Arm. Neben ihm stand seine Oma; sie füllte drei Viertel des Fotos aus. Milton nahm den Fotorahmen in die Hand und wischte mit dem Unterarm über das Glas, um die dünne Staubschicht zu entfernen. »Der Beginn meiner akademischen Karriere«, sagte er. »Und nach dem ersten Schultag gab es Spaghetti Bolognese. Da kann ich mich noch genau dran erinnern.«

Was Milton nicht ahnte - Oma hatte vor dem Fototermin wochenlang schlaflose Nächte, weil sie Milton nicht mehr 24 Stunden am Tag beaufsichtigen konnte. Der Junge wäre gerne in den Kindergarten gegangen, aber das kam für Oma überhaupt nicht in Frage. Doch der Kindergarten war keine Pflichtveranstaltung wie die Schule. Oma hatte sogar daran gedacht, Milton privat zu Hause zu unterrichten. Selbst ihr war jedoch klar, dass die Schulbehörde dabei nicht mitspielen würde.

Miltons ersten Schultag würden beide nicht vergessen. Oma hatte sich keinen Meter vom Schultor wegbewegt und nervös an ihren Nägeln gekaut, bis die Pausenglocke die Kinder nach Hause entließ. Wie bei einem Feueralarm waren die Kinder aus dem Gebäude gestürmt und zu ihren ebenfalls wartenden Müttern und Vätern gerannt. »Mama, Mama! Einer musste schon in der Ecke stehen! Der da, Milton heißt er!«

Mit roten Ohren schlich Milton zu seiner Oma. »Was war los, mein Junge?«, fragte sie.

»Die Lehrerin hat eine Geschichte über einen Dackel vorgelesen und gefragt, war er für Ohren hat. Da habe ich Schlappohren gesagt.«

»Ja und, das stimmt doch.«

»Ich wusste aber nicht, dass man in der Schule aufzeigen und warten muss, bis die Lehrerin einen dran nimmt.«

»Und?«

»Die Lehrerin hat mich in die Ecke geschickt, weil ich die Antwort einfach so gegeben habe.«

»Soso, in die Ecke geschickt. Warte hier auf mich. Ich komme gleich wieder.«

Ihr Körper bebte, als sie mit ihren säulenartigen Beinen die Stufen zum Haupteingang hinaufstapfte. Die letzten Erstklässler verließen den Klassenraum, also wusste Oma, wohin sie sich wenden musste, um Dampf abzulassen.

Miltons Lehrerin war gerade dabei, ihre Unterlagen in eine Ledertasche zu packen, als das Donnerwetter über sie niederging.

Ohne einen Gruß und ohne sich vorzustellen, legte Oma los: »Was fällt Ihnen ein, meinen Milton in die Ecke zu stellen? Und das schon am ersten Tag. Ich habe doch gewusst, warum ich ihn nicht in die Schule lassen wollte. Die Lehrer heutzutage sind ja schon am ersten Schultag überfordert.«

Miltons Lehrerin war eine erfahrene Pädagogin und an einiges gewohnt, aber diese Schimpftirade erwischte sie unvorbereitet.

Während sie sich sammelte, schimpfte Oma weiter. Dass sie sich nicht nur beim Rektor beschweren würde, sondern außerdem beim Schulamt und beim Bürgermeister.

»Jetzt beruhigen sie sich doch erst einmal«, versuchte Miltons Lehrerin den Redeschwall zu unterbrechen. Keine Chance.

Oma zeterte weiter.

Mitten in ihrer Schimpf-Orgie hörte sie plötzlich auf, den Mund weiterhin geöffnet, beide Hände zu Fäusten geballt. Die Lehrerin beobachtete, wie der dicken Frau ein Speichelfaden aus dem Mundwinkel tropfte. Es sah aus wie in Zeitlupe, weil Miltons Oma nun völlig regungslos vor ihr stand.

Dann klappte sie den Mund zu, drehte sich um und stampfte aus dem Klassenzimmer.

»Puh«, machte die Lehrerin. Was für ein Auftritt, dachte sie. Habe ich das geträumt? Sie rümpfte die Nase. Ein leichter Schweißgeruch wie von gedünsteten Zwiebeln und der auf den Boden getropfte Speichelfaden erinnerten sie daran, dass die seltsame, dicke Frau Realität gewesen war.

Nach Omas Auftritt war Milton Lehrerin auf einiges gefasst. Ihr war klar, dass sich solche Auftritte wiederholen konnten. Dass sich der Junge als hyperintelligent entpuppte, machte ihren Job nicht einfacher. Er kapierte doppelt so schnell wie seine Klassenkameraden und langweilte sich die meiste Zeit. Immerhin störte er nicht. Nach wenigen Wochen konnte er lesen und blätterte unter dem Schulpult in seinen Büchern. Zunächst dachte seine Lehrerin, er würde Micky Maus oder ähnliche Comics lesen. Als sie registrierte, was ihr Schüler heimlich verschlang, fehlten ihr die Worte. Milton las Bücher von Stephen Hawkings und Linus Pauling, einem der größten Chemiker aller Zeiten und Miltons akademisches Vorbild schon in der ersten Klasse.

Seine Noten waren ausgezeichnet. Mit einer Ausnahme: Sein Sozialverhalten blieb auffällig, und das schrieb seine Lehrerin in sein erstes Zeugnis.

»Milton ist nicht in der Lage, eigene Fehler anzuerkennen. Er sucht die Schuld stets bei anderen. Für Gruppenarbeiten ist er ungeeignet. Im gesamten Jahr ist es ihm nicht ein einziges Mal gelungen, mit anderen Schülern zu kooperieren. Ich halte es für angebracht, dass wir uns einmal persönlich darüber unterhalten.«

Oma nickte wohlwollend, als sie die guten Noten in Miltons Zeugnis sah. Den Kommentar seiner Lehrerin registrierte sie zwar, kümmerte sich aber nicht weiter darum. Als die Pädagogin einige Tage später anrief, um mit Oma über Miltons Defizite zu sprechen, legte sie den Hörer auf und zog den Stecker des Telefons aus der Buchse in der Wand, um nicht weiter belästigt zu werden.

»Alles gut, mein lieber Junge. Oma ist stolz auf dich. Bleib so wie du bist.« Mit ihrer speckigen Hand streichelte sie Milton übers Haar. Der Junge wäre nie auf die Idee gekommen, seine Oma zu enttäuschen.

So meisterte Milton die Schulzeit mit guten Leistungen. Natürlich überstand er sie nicht ohne die eine oder andere Schlägerei. Mit seinem hochnäsigen Verhalten forderte er eine Tracht Prügel geradezu heraus. Seine Mitschüler stopften ihn in den Papierkorb und verpassten ihm eine Haarwäsche in der Toilettenschüssel. Einen Freund fand er während seiner gesamten Schulzeit nicht, weder in der Grundschule noch später auf der High School. Es fehlte ihm aber auch niemand.

Nach dem bestandenen Collegeabschluss entschied er sich, Chemie zu studieren. Eins zu null für Linus Pauling, nicht böse sein, Stephen Hawking. Ein Fach, bei dem es klare Antworten auf alle Fragen gibt. Milton hasste es, zu diskutieren, Meinungen zu vertreten. Wasser bestand aus den Elementen Wasserstoff und Sauerstoff. Ende der Diskussion!

Er verwandt keine Energie darauf, andere Studenten kennenzulernen, von Studentinnen ganz zu schweigen, und verzichtete auf die gesamte Palette der Freuden des freien Lebens an der Universität: Keine Partys, keine Besäufnisse, keine Kopfschmerzen, keine Zeitverschwendung. Er benötigte bis zum Abschluss vier Semester weniger als die Regelzeit vorsah und machte sich anschließend daran, seine Doktorarbeit zu schreiben. Alles wäre super, wenn nur die nervigen Erstsemester nicht wären...

Milton setzte sich an seinen Laptop und rief den Blog seines Kurses auf: »Was haben wir denn an neuen Kommentaren«, murmelte er.

»Chemiekurs bei Milton Taylor. Der einzige Ort der Welt, an dem die Zeit rückwärts läuft«, las er unter dem Pseudonym. »SheHatesMilton«. Was weißt du schon darüber, du dummes Huhn?, dachte er. Er selbst hatte natürlich alle Studien der Physik-Kollegen dazu gelesen. Wie sonst sollte er sonst ernsthaft darüber nachdenken, jemals eine Zeitmaschine fertig zu stellen?

»Milton Taylor, der Roboter unter den Dozenten!«, las er weiter.

»Roboter«, sagte er. »Heißt das jetzt was Positives oder was Negatives?«

Milton dachte nach. Er konnte sich besser vorstellen, mit Robotern zu kommunizieren als mit Menschen. Miltons Mundwinkel zogen sich in die Höhe. »Cool«, sagte er. »Mein erster Lob.«

Auch wenn es ihm eigentlich egal war.

Punished

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