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Über die Lügen in der Wahrheit
ОглавлениеBis zum Abend verblieb ich im Keller. So verpasste ich zwar die ersten Kunden, die aufgrund der Sortimentserweiterung den Weg in den Laden fanden – aber vielleicht war das auch besser so. Zeitgenössische Literatur im Einklang mit Klassikern, das fiel mir schwerer, als ich erwartet hatte. Vielleicht lag es daran, dass jede Generation ihren Schund erst mal aussortieren musste, bevor sich die wahren Schätze hervortaten. Zu viel Müll verbarg so manche Perle. Und die Leser verhielten sich bei Neuerscheinungen meistens wie eine große, dumme Herde. Sie fraßen alles, was ihnen neu vorgesetzt wurde, in sich hinein. Ein aktueller Bestseller muss nicht zwingend auch ein gutes Machwerk sein. Das Gegenteil war mir oft genug bewiesen worden.
Inzwischen kam es mir vor, als würde in Zeiten von Multimedia und Datenautobahn die Flut der neuen Texte so verheerend wachsen, dass sie alles mitriss und verschlag. Das Schreiben war zu leicht geworden. Die Textcursor der Programme schienen Worte aus den Fingern zu saugen, noch bevor über sie nachgedacht wurde. Wie war es davor gewesen, als man noch die Feder zunächst zum Tintenfass schicken musste?
Atemlos erreichte ich gerade die oberste Stufe der Kellertreppe, als Bea mir entgegeneilte. Ihr Gesicht war noch immer blass vom Schrecken des Vormittags, doch ihre Mimik verriet mir eine unbestimmte Erregung. „Da vorne steht ein Kunde, der sich lieber von Ihnen bedienen lassen möchte. Er sagt, er wäre ein alter Freund.“
„Das scheint ja ein außergewöhnlicher Gast zu sein. Sie blicken ja drein, als hätten Sie einen Geist gesehen.“
Ich eilte, so schnell es mir möglich war, in den Verkaufsraum. Im Zwielicht des Abends stand dort ein auffällig gekleideter Mann. Ein altmodischer Anzug, ein blass gelbes Halstuch und ein Gehstock – ähnlich dem meinen –, so stand er vor mir. In seinem Gesicht funkelten mich Augen, überdacht von kräftigen Augenbrauen und unterkellert von gräulichen Tränensäcken, voller Ironie an.
„Hello Eddie“, sagte ich hocherfreut, „was darf es denn heute sein? Krimi oder was von der anderen Seite?“ Dabei reichte ich ihm meine Hand. Er ergriff sie, zog mich an sich heran und machte aus unserer Begrüßung eine herzliche Umarmung.
„Die andere Seite, bitte“, sagte er. Der starke amerikanische Akzent ließ keinen Zweifel an seiner Herkunft aufkommen.
Ich sah kurz zu Bea. Sie stand im Türrahmen und … Sie zitterte am ganzen Leibe wie Espenlaub. Hoffentlich würde sie mir nicht ohnmächtig.
„Also gut“, sagte ich eilig, griff in ein Regal mit den nicht ganz so alten Büchern und nahm mir zielstrebig einen Band mit Kurzgeschichten heraus. „Das ist was von King. Zeitgenössisches Populärzeugs, wenn du so willst. Ich denke, dass dir trotzdem einiges davon gefallen wird.“
„Wenn du es mir empfiehlst …“ Eddie war zwar skeptisch, doch er legte mir ein paar Münzen in die Hand. Bea schwankte leicht.
„Sorry, dass ich gerade nicht mehr Zeit für dich habe.“ Ich drückte ihn sanft zum Ausgang. „Vielleicht kommst du in den nächsten Tagen nochmal auf einen Kaffee vorbei? Wir könnten über alte Zeiten reden.“
„Ich kenne diesen Kunden“, sagte Beatrice, als der Mann außer Sicht war. „Ich habe Bilder von ihm gesehen …“
„Beatrice, ich denke, dass Sie sich setzen sollten.“
Sie hörte mich nicht. „… aber er ist tot.“
„Auf mich wirkte er sehr lebendig.“
„Er ist seit … keine Ahnung …“ Bea schien im Geiste zu rechnen. „Seit über 150 Jahren, oder so, tot.“
„Über wen reden wir denn?“, fragte ich unschuldig.
„Das wissen Sie ganz genau!“ Ihre Stimme überschlug sich. „Edgar Allan Poe! Wie ist das möglich? Da ist gerade ein toter Schriftsteller durch unseren Laden gelaufen und hat sich ‚Nachtschicht‘ gekauft.“
Das ging wohl alles etwas zu schnell. Ich musste unbedingt das Tempo drosseln, sonst würde Beas Verstand die Notbremse ziehen. Was sie jetzt brauchte, war ein geistiger Rettungsring.
„Schon mal darüber nachgedacht, dass Mr. Poe vielleicht noch lebende Fans haben könnte?“
Beatrice schnappte nach Luft. Protest lag ihr auf der Zunge. Sie schluckte ihn herunter. Ihre Gedanken rasten im Strom der Ereignisse. Dann erreichte sie wieder den festen Boden der Rationalität. Mit meiner Erklärung konnte sie für den Augenblick leben. Sicher gab es Fans, die ihr Outfit dem eines Schriftstellers anpassen würden.
„Ein Fan?“
Ich sparte mir eine Antwort.
Doch Beatrice hatte sich anscheinend wieder unter Kontrolle. Sie hakte nach. „Ist das möglich? Ein Fan?“ Sie schien diese Möglichkeit regelrecht abzuschmecken. War es ein Hauch offenen Misstrauens, der mir da entgegenschlug? „Ist das wahr?“
Eine sehr konkrete Fragestellung, die ich ehrlich beantworten konnte. Außerdem konnte ich so von den Tatsachen ablenken.
„Meine Liebe! Die Wahrheit liegt im Auge des Betrachters. Nehmen Sie einen beliebigen Roman: Alles, was der Erzähler in Worte fasst, ist aus der Sicht seiner Protagonisten ohne Frage wahr. Es ist deren Realität. Sie können sie fühlen, riechen, schmecken, sehen und hören. Die Personen, die Landschaften, das ganze erdachte Universum drum herum mag dem Leser dieses Romans ebenso bekannt erscheinen wie den Protagonisten, weil die Welt des Lesers den gleichen allgemeinen Regeln folgt. Doch schlussendlich hat allein der Erzähler die Macht und wenn es für die Geschichte, die er erzählen möchte, wichtig ist, dann könnte er Raben sprechen oder Raumschiffe kämpfen lassen. Es könnte sogar Frösche regnen, wenn der Autor es nur will.“
Draußen donnerte es.
„Die Wahrheit in einem Buch ist formbar wie ein Teig. Wir stehen hier in meinem Antiquariat und haben wenig Einfluss darauf, was um uns herum passiert. Selbst so profane Dinge wie das Wetter draußen können wir nur passiv geschehen lassen.“
Ich öffnete die Ladentür. Der angenehme Geruch eines Gewitters wehte sanft in meine Nase. Vor meinen Füßen nahm ich keineswegs überrascht eine Bewegung wahr: Ein kleiner, grüner Frosch sprang über die Türschwelle. Vorsichtig hob ich ihn auf. Dann griff ich nach Beatrice’ Hand und legte ihr den Frosch hinein.
„Sie sehen ihn“, sagte ich, „Sie fühlen ihn. So unwahrscheinlich es auch zu sein scheint, für Sie ist dieser Frosch real. Er ist ein Teil Ihrer Wahrheit.“
Ich griff in einem Regal neben mir nach einer Übersetzung von Descartes. „Ich denke. Also bin ich!“, zitierte ich. „Welch ein grandioser Satz! In diesem Buch hier ist dieser revolutionäre Gedanke eingefroren auf Papier, konserviert für die Ewigkeit. Deshalb lebt Descartes immer noch, oder? Seine Gedanken und somit sein Ich sind immer noch unter uns, als hätte er sie eben erst ausgesprochen. Wir müssen nur die richtige Seite aufblättern und hören in unserem Geist seine Stimme.“
Ich ließ Beatrice einen Augenblick. Doch bevor sie etwas erwidern konnte, sagte ich: „Stellen Sie sich vor, Descartes wäre nur eine fiktive Figur: Es war einmal René Descartes, ein junger Denker, der in einer dunklen Kaschemme im Jahre 1619 anno Domini ein Gewitter abwartete. Und er fragte sich, wenn er alles um sich herum in Frage stellen und die Realität als Trugbild seiner Sinne entlarven würde, was bliebe von ihm übrig? Die einzige, letzte Wahrheit?
Der Autor, der diese Geschichte über Descartes erfindet, sitzt vielleicht an seinem Schreibtisch und legt seinem Protagonisten die richtigen Worte in den Kopf; lässt ihn eine Unterhaltung mit dem eigenen Geist führen: ‚Ich denke. Also bin ich.‘ Dabei lächelt der Autor, denn er weiß, dass dies eine Lüge ist.“ Auch ich lächelte nun. „Wahrheit. Beatrice, wie viel Wahrheit bleibt Ihnen, wenn Sie Ihre Realität in Frage stellen? Denken Sie? Oder erweckt ein Leser gerade in diesem Moment Ihre Person zu einem kurzen Leben, das zwischen den Zeilen darauf wartet, erweckt zu werden?“ Ich nahm ihr den Frosch wieder aus der Hand und brachte ihn zurück nach draußen. Der Himmel klarte bereits wieder auf. Das Unwetter war vorbeigezogen.
Zurück im Laden hüstelte ich, um dann den Faden erneut aufzunehmen. Doch ich musste feststellen, dass ich eigentlich schon zu viel gesagt hatte. Wenn ich mein Mundwerk nicht beherrschen konnte, würde ich mir noch den ganzen Spaß verderben.
„Aber das sind nur philosophische Taschenspieler-Tricks“, schloss ich deshalb – ein wenig selbstgefällig – meinen Vortrag.
„Stimmt“, sagte Beatrice überraschend, „denn selbst Ihr Leser wurde nur erdacht. Es gibt ihn genauso wenig wie den Autoren. Beide sind nur Phantasie-Gespinste.“
„Ja.“ Ich rieb mir nervös die schmerzenden Finger. Schon befand ich mich in einer Defensive, die ich mir vermutlich selbst eingebrockt hatte. „Phantasie-Gespinste … Natürlich. Wie wahr. Wie wahr.“
Es war Zeit, Feierabend zu machen. Ich drückte Beatrice meinen Zweitschlüssel in die Hand und bat sie darum, dass sie, wenn sie ginge, hinter sich abschließen solle. Dann schleppte ich mich die hölzernen Stufen hinauf in meine Wohnung.
Als das trübe Licht der Wohnzimmerlampe den Raum erhellte, begann sofort das Wispern. Es war wie das Rascheln von zerknittertem Papier, durch das eine leichte Brise wehte. Unzählige tonlose Stimmen umgaben mich „Schhht!“, machte ich. „Habt Geduld mit ihr.“
Auf den ersten Blick sah mein Wohnzimmer für einen unbedarften Betrachter ganz gewöhnlich aus. Auch wenn ich hier oben bislang noch keinen Besuch empfangen hatte, wahrte ich auch in den eigenen vier Wänden gerne den Schein. Da waren der Tisch, dahinter das breite Sofa, ein Teewagen und ein großer Apothekerschrank, den ich als Sideboard verwendete. Auf dem Boden lag ein schwerer Perserteppich. Die Decke war in Stuck gekleidet.
Bei genauerem Hinsehen konnte man feststellen, dass mit den Wänden etwas nicht stimmte. Die Tapete war unregelmäßig und bunt. Und eigentlich war es keine Tapete. Es waren Bücher, die wie Mauerwerk waagerecht gestapelt, die eigentlichen Wände verdeckten.
„Lassen wir ihr etwas Zeit“, sagte ich. „Immerhin hat sie bewiesen, dass sie die Dinge zu durchschauen vermag.“ Ich dachte an die Geschehnisse im Keller. „Jede Geschichte ist es wert, erzählt zu werden. Es muss nur auf die richtige Weise geschehen. Ich verspreche euch, dass auch sie ihre Worte auf das Papier bringen wird. Aber es wäre der Sache dienlich, wenn ihr sie nicht zu etwas drängen würdet. Sie ist noch nicht so weit. Es bringt nichts, wenn ihr sie ängstigt.“ Den Kopf schief gelegt, lauschte ich. „Nein! Nein! Nein! Angst ist der falsche Weg.“
Und so vergingen die nächsten Tage recht ereignislos. Mit jedem neuen Kunden, der den Weg in unseren Laden fand, erlangte Beatrice ein winziges Stückchen Selbstbewusstsein zurück. Während sie anfänglich noch sehr zurückhaltend bediente, tat sie es inzwischen mit regelrechter Begeisterung. Neben ihren aktuellen Buchtiteln verkaufte sie auch einige ältere Bücher und es erfüllte mich mit Freude und Zufriedenheit, dass die betagten Werke tatsächlich als Lektüre gedacht waren.
„Ich denke“, sagte ich schließlich, „dass es Zeit wird neues Material aus dem Keller zu holen.“
Schuldbewusst ließ Beatrice die Schultern hängen. „Oh, daran habe ich gar nicht mehr gedacht. Da unten muss ich ja noch aufräumen. Die ganzen Regale müssen wieder aufgerichtet werden. Allein den Bestand wieder zu sortieren, dürfte eine Ewigkeit dauern.“
„Ist alles schon erledigt“, versicherte ich vergnügt. „Da unten ist bestimmt alles wieder an seinem Platz.“
Beatrice schaute mich ungläubig an. „Was …? Wer …?“
„Kommen Sie“, sagte ich, hakte mich in ihren Arm ein und führte sie die Treppe hinunter. Die Stufen waren heute keine Schwierigkeit für mich. Im Gegenteil, ich fühlte mich so gut, dass ich am liebsten die letzten Stufen übersprungen hätte.
„Wie kann das sein?“ Beatrice machte sich von mir los und trat noch einige Schritte in das Kellergewölbe. „Es steht ja alles wieder an seinem Platz.“ Sie drehte sich zu mir um. „Wie haben Sie das angestellt?“
„Ich hatte genug Helfer.“
„Aber ich habe niemanden gesehen.“
Ich ging beinahe beiläufig zu dem Bücherwagen, der ganz in der Nähe stand. Ein Haufen Bücher, fein säuberlich aneinandergereiht, wartete darauf, wieder einen Leser zu finden.
„Es ist nicht mehr da“, stellte Bea fest.
„Was?“
„Mein Buch.“ Bea deutete auf den Wagen. „Alles ist so wie neulich. Es ist sogar genauso sortiert. Aber oben drauf hat mein Buch gelegen. Es ist weg.“
„Das beruhigt mich“, sagte ich.
„Warum?“
„Ich fände es sehr verstörend, wenn hier ungeschriebene Bücher herumliegen würden.“
„Ja, glauben Sie denn, ich habe mir das nur ausgedacht?“ Sie stemmte die Hände in die Hüften. Ihre Augen blitzten wütend.
Vorsicht! Nicht so aggressiv, meine Liebe, dachte ich bei mir. Ich bin immer noch dein Chef! Ich deutete auf die Regale. „Die Menge der Bücher hier unten kann für unbedarfte Besucher manchmal ziemlich erschlagend sein.“ Nur die ersten zehn Meter jedes Ganges zwischen den Regalen waren von nackten Glühbirnen beleuchtet. Dahinter verlor sich alles in Dunkelheit. Man konnte nur erahnen, wie weit sich die Gänge vielleicht noch erstreckten. „Vielleicht haben Ihnen Ihre Sinne einen Streich gespielt.“
Sie blickte zu Boden. Ihre Stimme schien alle Kraft verloren zu haben, als sie wieder sprach: „Kann ich mich denn so geirrt haben?“
Sanft tätschelte ich ihre Schulter. „Was halten Sie davon, wenn ich Ihnen hier unten eine kleine Führung spendiere? Eine kleine Ablenkung, eine Zerstreuung, ist genau das, was Sie jetzt brauchen. Immerhin sind wir hier im Allerheiligsten meines kleinen Bücherladens. Wenn Sie die Arbeit in meinem Hause richtig ausführen möchten, sollten Sie mit dem Keller und seinen besonderen Regeln bestens vertraut sein.“
„Der Faden?“
Sie schien sich tatsächlich noch genau an meine Worte zu erinnern. Bemerkenswert.
„Ja, nehmen wir den Faden wieder auf.“ Ein Wortspiel ist ein guter Anfang hier unten.
Ich schritt zu einem Blechspind, der an der Wand stand und öffnete ihn. Einige Hausmeisterutensilien fielen mir entgegen: Besen, Wischmop, einige Tücher. Ich stopfte sie zurück an ihren Platz. Auf dem oberen Brett standen zwei Kisten. Eine mit Ersatzbirnen. Eine mit etwa zwanzig Rollen Kordel. Ich nahm mir einige und legte sie in eine Umhängetasche, die an einem Haken darüber hing.
„Könnten Sie bitte die Tasche tragen?“
Und so machten wir uns auf den Weg. Ich führte sie geradewegs durch den Mittelgang. „Das hier ist eine Auswahl der Westernliteratur. Sie ist recht willkürlich zusammengestellt und nicht mal alphabetisch sortiert.“ Ich spürte ein leichtes Ziehen in den Beinen, während ich sprach. „Ein Großteil davon sind Trivialliteratur und Groschenhefte. – Au – Aber es verbergen sich auch einige kostbare Perlen darunter.
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Die Übersetzungen sind links daneben. Die jüngste Ausgabe davon ist tatsächlich vietnamesisch!“
Eine Windbö fegte durch den Gang und trieb einen ausgetrockneten rollenden Busch vor sich her.
„Was ist denn das?“ Bea rechnete hier noch lange nicht mit allem.
„Ein ‚Salsola tragus‘. Wird auch Steppenläufer genannt. Stimmungsvolles Klischee, nicht wahr?“ Ich zog sie weiter.
„Wir haben hier auch eine überaus ansehnliche Sammlung von …“
„Wie viel Bücher gibt es hier unten?“, unterbrach mich Beatrice. Dabei wanderten ihre Blicke langsam nach oben. Die Decke war an dieser Stelle kaum noch auszumachen. Bis ganz nach oben waren unzählige Regalbretter angeordnet.
Ich nahm mir etwas Zeit, sog tief Luft ein, bevor ich antwortete. „Nun … Die ganz alten, also die antiken Werke, fallen hier unten kaum ins Gewicht. Im 15. Jahrhundert wurde dann allerdings der Buchdruck erfunden. In dieser Zeit gab es jährlich an die hundert Neuerscheinungen.“
„Einige hundert Bücher?“, fragte Beatrice.
„Ja. Im 15. Jahrhundert. Nicht der Rede wert.“ Ich betrachtete unschuldig meine Fingerspitzen. „Diese übersichtliche Auswahl finden Sie ganz links im Keller. Da gibt es ein paar schöne Bibeln, die zwar gedruckt sind, aber nachträglich mit recht hohem Aufwand illuminiert wurden.“
„Aber …“, begann Bea. Die Informationen sickerten nur langsam in sie ein. „Aber wie viele Bücher …?“
„Zur Jahrtausendwende“, deutete ich an, „erschienen weltweit genau 967.959 neue Bücher.“
„Hier gibt es knapp eine Millionen Bücher?“
„Bea! Ich bitte Sie.“ Meine Ermahnung ließ sie zunächst zusammenzucken. Doch irgendwie schien es sie auch zu beruhigen, dass ich diese Aussage rügte. „Überlegen Sie doch: Die Zahl bezog sich nur auf das Jahr 2000. Die Jahre danach dürfen Sie nicht vergessen. Und alles was davor erschien, werfe ich doch auch nicht weg. Und dann noch die ganzen Sondereditionen, Reprints und …“ Ich hielt inne. Beatrice war sämtliche Farbe aus dem Gesicht gefallen. Langsam begriff sie, was ich sagen wollte. Sie schluckte.
„Wie groß ist dieser Keller?“, fragte sie mich schließlich.
Ich drückte ihr eine der Garnrollen in die Hand. „Man könnte sich hier unter Umständen ein wenig verlaufen.“