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Bücherwürmer und Leseratten

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Schweigend gingen wir zurück. Während sie auf der Unterlippe kauend über meine Worte von vorhin nachdachte, konzentrierte ich mich ganz auf den Schmerz, der mir langsam wieder die Beine hochkroch. Auch mein Rücken krümmte sich leicht unter einer unsichtbaren Last.

Ich befürchtete, dass ich Beatrice zu viel offenbart hatte. Schlimm, dass ich damit die Büchse der Pandora geöffnet hatte, denn es war nur eine Frage der Zeit, bis sie mehr erfahren wollte.

Das Summen hinter uns schwoll langsam an. Leises Tippeln echote durch die Gänge. Ich blieb stehen, drehte mich um und flüsterte: „Angst ist der falsche Weg.“ Der Klang meiner Stimme wurde von der Luft nicht getragen. Das Papier schien ihn aufzusaugen. Der Schall folgte hier unten seinen ganz eigenen Gesetzen. Aber eigentlich war es wie in der Welt dort draußen: Es bekommen nur die Dinge ein offenes Ohr, die auch gehört werden wollen.

Trotzdem versuchte ich es nochmals: „Haltet ein!“

Beatrice nahm nichts um sich herum wahr. Sie hatte beinahe den Ausgangspunkt unserer Reise erreicht und ich mühte mich, wieder zu ihr aufzuschließen.

Schon standen wir am Treppenaufgang. Wir hätten nur noch die Stufen emporsteigen müssen. Es wäre so einfach gewesen.

Doch Beatrice blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Ihr Blick war auf den Bücherwagen gefallen.

Ich stöhnte innerlich. Noch bevor ich das Bild, das sich mir bot, richtig erfasste, wusste ich, dass das Buch wieder dort war. Es lag auf den anderen. Anklagend. Wissend. Drohend.

Beatrice entfuhr ein Keuchen. „Nein.“

„Wir müssen hier raus“, drängte ich sie. Ich spürte tausende Blicke auf uns ruhen. Und die plötzliche Stille, die sich über uns gelegt hatte, verriet mir, dass selbst der letzte Buchstabe innehielt.

Bea tat einen Schritt. Dann noch einen. Und noch einen. Sie streckte die Arme aus, nahm das Buch in ihre Hände.

Rot leuchtete der Einband, metallene Schonerköpfe zierten den Deckel. Eine Schließe, reich verziert, hielt es geschlossen. Der Titel war mit vergoldeten Lettern eingeprägt, doch auf die Distanz konnte ich ihn nicht lesen.

„Wie kommt das hier her?“, fragte Bea. Sie hielt den Kopf gesenkt. Ihre Stimme klang ungewohnt tonlos. „Das ist mein Buch. Es trägt meinen Namen. Und es trägt meine Überschrift … ich habe mir diese Überschrift ausgedacht. Aber ich habe sie nie jemandem verraten. Ich … Ich hab sie noch nicht mal irgendwo aufgeschrieben.“ Sie rang um die nächsten Worte. Die Verblüffung in ihren Zügen wich Zorn. „Und ich werde – verdammt nochmal – dieses Buch auch nicht schreiben!“

Sie hatte kaum zu Ende gesprochen, da brach schon das Chaos um uns herum aus.

Das Buch entglitt ihr, schlug hart auf dem Boden auf, der Rücken brach durch und hunderte von Seiten stoben auseinander. Das Papier schien vor unseren Augen zu verfaulen, während unzählige kleine Würmer zwischen den Seiten hervorquollen. Ihre Säfte und ihr Schleim durchtränkten jedes Blatt und die schwarze Tinte darunter verlief. Das Summen aus den Gängen hinter uns setzte wieder ein. Winzige Krallen kratzten nun deutlich vernehmbar über den Zementboden. Kleine rote Augen stachen aus der Dunkelheit hervor, näherten sich rasch. Schon strömten mehrere Dutzend graue Ratten herbei, stürzten sich auf die Reste des Buches und rissen und zerrten daran.

Bis schließlich …

.… nichts …

… mehr davon übrig blieb.

Am Abend grübelte ich in meinem Wohnzimmer. Mein Gesicht hatte ich tief in meinen Händen vergraben. So saß ich schon seit Stunden auf dem Sofa, wagte es kaum, mich zu regen, da der Schmerz bis auf die Knochen brannte.

„Was habt ihr damit erreichen wollen?“ Ich bekam keine Antwort. Der Raum war so still, wie er es seit Jahren nicht mehr gewesen war.

„Beatrice ist fort“, klagte ich.

Ja, Bea war fort. Der Anblick des Ungeziefers hatte sie in Panik versetzt, sie in die Flucht geschlagen. Ich hatte keine Chance gehabt, sie einzuholen. Als ich die Treppe hinter mich gebracht hatte, sah ich nur noch, wie sich die Ladentür hinter ihr scheppernd schloss. Nicht mal ihren Mantel hatte sie mitgenommen. Er hing noch immer im Laden am Haken hinter der Kasse.

„Heißt es nicht, dass Papier geduldig ist?“

Es war an der Zeit, das Heft wieder in die Hand zu nehmen. Hatte ich nicht beschlossen, das Spiel nach meinen Regeln zu spielen?

„Ihr werdet euch künftig zurückhalten. Würdet ihr mir nicht andauernd in mein Handwerk pfuschen, könnten wir auf unserem Weg zum Ziel eine ganze Menge Spaß haben. Ihr wisst selbst, dass man eine gute Geschichte niemals erzwingen kann.“

Das Flüstern setzte wieder ein. Ich lauschte.

„Ich weiß nicht, wie viel Schaden dort unten im Keller angerichtet wurde. Beatrice ist fort. Es ist denkbar, dass sie vielleicht nie wieder …

Ja, natürlich werde ich mit ihr reden. Zwar wird es mir nicht leichtfallen, doch morgen, in der Früh, werde ich mich auf den Weg machen. Auch wenn es eine gefährliche Sache ist. Ich werde halt aufpassen müssen, wohin mich meine Füße tragen.“

Die Müdigkeit fraß meine Gedanken. Also sank ich zurück in das Polster der Rückenlehne, schloss die Augen und legte mich gleich hier, an Ort und Stelle, in Morpheus Arme.

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