Читать книгу Einführung in das Zivilrecht - Martin Löhnig - Страница 104

1. Zum Problem

Оглавление

241

Die subjektiven Rechte sind nicht schrankenlos; sie haben immanente Grenzen. Art. 14 GG drückt diesen Gedanken für das verfassungsrechtliche Eigentum in zweifacher Weise aus.

(a) Nach Art. 14 I 2 GG werden Inhalt und Schranken des Eigentums durch die Gesetze bestimmt. In diesem Satz spiegelt sich die Erkenntnis wieder, dass das Eigentum keine vorstaatliche Herrschaftsordnung darstellt. Es ist vielmehr gesellschaftliche Schöpfung, mit deren Hilfe die Freiheit verwirklicht werden soll. Da die Freiheit des Einzelnen nie absolut verwirklicht werden kann, weil sie der Freiheit aller anderen gegenübersteht, muss die Rechtsordnung den Zuweisungsgehalt des Eigentums gestalten. Das Eigentum besteht und berechtigt nach Maßgabe der Rechtsordnung. Dieser ist zu entnehmen, gegen welche Beeinträchtigungen und bis zu welcher Grenze es geschützt sein soll.

242

Demzufolge ist die Frage nach den Schranken des subjektiven Rechts im Verhältnis der Privatpersonen untereinander ganz wesentlich eine Frage seines Inhalts. Die im Deliktsrecht entwickelte Theorie vom Schutzbereich der Norm (Schadensersatz nur, wenn die schädigende Handlung gerade im Hinblick auf diese Art von Schaden und auf diese Art von Schädigung missbilligt ist) bietet auch für die Deutung der subjektiven Rechte den richtigen Ansatz. Inhalt und Schranken der subjektiven Rechte werden durch die Rechtsordnung nach ihrem konkreten Sinn und Zweck näher bestimmt. Darüber hinaus lassen sich einige allgemeine Gesichtspunkte entwickeln. So endet die Reichweite eines subjektiven Rechts an den subjektiven Rechten anderer. Überschneiden sich die Reichweiten, so hat die Rechtsordnung Kollisionsnormen zu entwickeln, wie zum Beispiel in §§ 906 ff für das Verhältnis der Eigentümer benachbarter Grundstücke. Ferner weichen die subjektiven Rechte vor fundamentalen, vorrangig geschützten Lebensbedürfnissen anderer zurück, wie die Garantie des Existenzminimums im Pfändungsschutz zeigt (Rn 235).

243

(b) Art. 14 II GG spricht den Gedanken aus, dass das Eigentum verpflichtet und zugleich dem Gemeinwohl dienen soll (Sozialpflichtigkeit, Sozialbindung des Eigentums). Diese Vorschrift versucht, den möglichen Konflikt zwischen Eigentumsfreiheit und öffentlichen Interessen dadurch zu lösen, dass sie dem Eigentümer eine Pflichtensituation zu Gunsten des Gemeinwohls aufbürdet. Die Pflichtigkeit ist allerdings durch die Gesetzgebung zu konkretisieren. Denn freies Eigentum und Gemeinwohl bilden an sich keine Gegensätze. Doch ist die Vorstellung, der Einklang von individuellem Gewinnstreben und sozialem Optimum stelle sich von selbst ein, eine längst begrabene Illusion. Deshalb versuchen die Gesetze, durch direkte Maßnahmen (Genehmigungsvorbehalte, Verbote, Einengung von Befugnissen) wie durch indirekte (Überbürdung von Risiken und Kosten) den Gebrauch der subjektiven Rechte im Einklang mit den gesellschaftspolitischen Zielen zu halten. Die Konkretisierung der Sozialpflichtigkeit des Eigentums durch die Gesetze wirkt dann auf den Eigentumsbegriff selbst zurück.

244

Aus dem Gesagten ergibt sich: Die Schranken der subjektiven Rechte im Verhältnis unter den Privatpersonen ergeben sich in erster Linie aus ihrem von der Rechtsordnung festgelegten Inhalt. Vorrangig ist die Gesetzgebung aufgerufen, den Inhalt der subjektiven Rechte möglichst genau zu fixieren. Daher kann man gegenüber subjektiven Privatrechten mit dem Gedanken der Sozialpflichtigkeit nicht beliebig argumentieren. Hat man festgestellt, dass jemand von seinem Recht den Gebrauch macht, der dem Rechtsinhalt entspricht und der innerhalb der gesetzlich konkretisierten Sozialbindung bleibt, so handelt er grundsätzlich dem Recht gemäß. Gegen diese Rechtsausübung kann dann nicht einfach mit „überwiegenden Interessen anderer“ oder „überwiegenden öffentlichen Interessen“ operiert werden.

Beispiel:

Jemand ist Eigentümer eines Automobils, das er nur zu Vergnügungsfahrten benutzt. Sein Nachbar aber fährt jeden Tag bei Wind und Wetter 10 km weit mit dem Fahrrad zu seiner Arbeitsstätte, weil er sich kein Auto leisten kann. Man kann ohne Schwierigkeiten zu dem Ergebnis kommen, dass der Nachbar die dringlicheren Nutzungsinteressen am Automobil hat. Gleichwohl weist die Rechtsordnung demjenigen, der das Eigentum rechtmäßig erworben hat, das exklusive Nutzungsrecht zu, welches erst in extremen Sonderfällen wie § 904 durchbrochen wird.

245

Besonders wichtig ist diese Position im Hinblick auf öffentliche Interessen. Hat jemand auf seinem Grundstück ein großes Schwimmbad errichtet, in dem er einmal wöchentlich badet, während in der Gemeinde kein öffentliches Bad zur Verfügung steht, so kann man die Auffassung vertreten, die Benutzungsinteressen der vielen Einwohner der Gemeinde seien höher zu veranschlagen als das Interesse des Eigentümers an exklusiver Nutzung. Gleichwohl bleibt es bei dessen ausschließlicher Berechtigung, die er im Einklang mit dem Zuweisungsgehalt des Eigentums und mit den gesetzlich konkretisierten Gemeinwohlbindungen ausübt.

Literatur:

Zur Sozialpflichtigkeit vgl F. Kübler, Eigentum und Verantwortung, 1968 und AcP 159, 236; W. Leisner, Sozialbindung des Eigentums, 1972; U. Hösch, Eigentum und Freiheit, 2000.

Einführung in das Zivilrecht

Подняться наверх