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Michaela

Erinnerst du dich, damals, hinten in Rotebühl, deine Sozialwohnung direkt an der S-Bahn-Haltestelle, man konnte nicht schlafen, was egal war oder sogar praktisch, denn wir waren halbwegs verliebt. Du trankst Cola aus Eineinhalbliterflaschen und rauchtest filterlose Zigaretten. Du schliefst nie. Ich nickte ab und zu ein, nur um an einer deiner Brüste wieder aufzuwachen. Sie waren so groß, dass man den Kopf auf einer davon wie auf einem Kissen betten konnte. Du hieltst mir die Zigarette an den Mund, ließt mich tief ziehen, dann küsstest du mich mit deinen Colalippen, wir hatten Sex, und ich nickte wieder ein. Es war das Paradies auf Erden. Du warst die zweittollste Frau, mit der ich je fast zusammen war. Du solltest das wissen, Claudia, dass Michaela und ich was miteinander hatten. Ich weiß, dass ihr befreundet seid und das jetzt eher so ein Downer ist, aber Hollywoodschinken und Traumschifffolgen lehren mich, dass das jetzt ein besserer Zeitpunkt ist als ihn verpasst zu haben.

Wir trafen uns schon früher immer in dem kleinen Waldstück hinter Mühldorf, auf der Straße zwischen Polling und Tüssling am Bahnhof links rein, über den Feldweg einmal um die Biegung an den Waldrand bis ganz hinter zu dem Holzstapel, hinter dem man die beiden Autos verstecken kann. Im Winter, oder wenn es regnete, klappten wir hinten die Sitze von Michaelas Toyota um, ich machte den Kassettenrekorder an, während sie sich schon auszog, wir legten uns auf die Decke und liebten uns mit routinierten Handgriffen. Wenn es warm war, ging der erste, der ankam, schon vor, einige Minuten tief zwischen die Kiefern hinein zu der kleinen Lichtung, auf der unser Stamm wartete, der flach abgesägte Baumstumpf eines einstigen Riesen, der multifunktional einsetzbar war. Als Tisch für zwei kleine Fläschchen Prosecco und eine Schale Erdbeeren, als Nachtkästchen für Bücher und Autoschlüssel und Tempos, wenn wir auf der Decke einschliefen, als Stuhl, unbequem für mich, aber genau in der richtigen Höhe für Michaela, wenn sie sich auf mich setzte und sich die Muskeln ihrer vom Tennis gestählten Oberarme bei jedem Auf und Ab unter meinen Fingern anspannten.

Unser Stamm scheint mir immer noch anders als die umliegenden, ich erkenne ihn sofort, wenn ich, früher zwei, dreimal im Jahr, jetzt nur alle paar Jahre einmal, in der alten Heimat vorbeikomme und aus alter Gewohnheit, eingewöhnter Sehnsucht und der völlig irrwitzigen Hoffnung, eines Tages würde ich eben doch um die Kurve fahren und Michaela wäre da, eine Stunde der ohnehin knapp bemessenen Aufenthalte opfere, mich von den anderen abseile, über die Innbrücke fahre und dann links nach Tüssling abbiege.

Aber natürlich war sie da nie. Und dann bin ich zu euch gefahren. Axel und du wart immer da.

An einem sonnigen Samstagnachmittag fuhr ich mal mit Michaela raus und zeigte ihr meinen Lieblingsbaum im Garten des Klosters vom Glasperlenspiel. Auf dem Rückweg fuhren wir wegen einer Baustellenumleitung in Stammheim am Gefängnis vorbei und weil sie mich am nächsten Morgen in die Wilhelma schleppte, um mir ihr Lieblingstier zu zeigen, die Sumatra-Tiger, wie sie, eine echt Rothaarige, vom Aussterben bedroht, stellten wir beide fest, dass Menschen und Tiere in derselben Stahlgitter- und Betonarchitektur gefangen gehalten wurden.

„Das ist so traurig“, Michaela litt mit den eingesperrten Elefanten, „warum tun Menschen das immer noch?“

„Weil Leute wie du und ich dafür Eintritt zahlen?“

Michaela sah sich um. All die Familien aus der Umgebung mit ihren Kinderwägen. Erst unter der Woche übernahmen dann die Rentner und Schulklassen. „Wir sind doch anders.“

Ich versuchte, ihr eine Brücke zu bauen: „Wir sind hier aus demselben Grund, warum wir in Maulbronn waren. Wir zeigen uns, was uns wichtig ist. Was wir schön finden, und was uns bedrückt.“

„Dann könnten wir auch den ganzen Tag im Bett bleiben.“

Ich wollte nur einen Witz machen: „Und was an meinem Schwanz bedrückt dich?“ Wirklich, es war vor der Zeit, als so ein Satz in der Öffentlichkeit ein Problem war. Vor der Zeit, als er in vertraulichen Gesprächen zu zweit ein Problem war. Vor der Zeit, als er allein als geistreiche Option vor sich hin gedacht ein Problem war. Es war eine witzige Bemerkung. Und doch zerbrach in dieser Sekunde etwas zwischen uns. In mir. Es war eine Epiphanie.

Die Episode in Schwaben war der Höhepunkt unserer Affäre. Michaela war mit mir in einen Film der Dean & Jerry Retrospektive in einem Stuttgarter Kino gekommen, 50er Jahre Komödien, die kaum mehr gezeigt wurden und auch auf DVD oder im Netz nicht verfügbar waren. Zu altbacken, zu kitschig, zu billig, zu amerikanisch. Sie war als Kind in Jerry Lewis verliebt gewesen, ich identifizierte mich mit Dean Martin. Ich hatte mir noch lange nicht eingestanden, was ich erst viel später erkannte: Sie suchte einen tollpatschigen Jungen zum Betüdeln. Sie würde nie verstehen, dass Dean der schwache war, der sensible, der romantische, der stille, der verletzliche, während Jerry der laute war, der dominante, die Dynamik, der Brutale, der alles zerschlug und den auch tausend Schläge nicht umwarfen. That’s amore, davon träumte ich, eine erwachsene Partnerin auf Augenhöhe, während Michaela sich einen Sohn als Spielgefährten erhoffte, mit dem sie Streiche aushecken konnte.

Wir trennten uns wenige Wochen später, aber das ist nicht der Punkt. Ich sah die Elefanten in ihrem Käfig, und Michaela mit ihrer Zigarette, und mir dämmerte damals, dass Männer nicht mehr die Hauptfiguren in Büchern sein können, nicht mehr die Helden in der Geschichte. Alle Männer sind immer nur noch vierzig, vorher sind sie Kinder, älter werden sie nicht mehr, alle ewig potent. Erfahren, smart angezogen, ein Bart. Ihre Suche nach einem Lebenssinn. Einer Frau. Die Karriere. Die Vater-Sohn-Geschichte. Die Männerfreundschaft. Das war alles so altbacken geworden. Wie Philharmoniekonzerte, Herr Dirigent. Autorennen, die Piloten. Computer, du Nerd. Bar-B-Q, ihr Männer mit Bäuchen und Bieren. Das war alles vorbei. Hatte vorbei zu sein. Das Jahrhundert der bewundernswerten jungen Frauen war angebrochen. Margeriten in den Haaren. Angerauchte Kippen zwischen violetten Lippen. Zumindest war das unsere einzige Chance auf Frieden, Freude, Kulturwandel. Sprachwandel. Gestaltwandler. Metamorphe. Verhärmte, verbitterte, zerklüftete Gesichter, die sich in die feinen Züge einer jungen Schülerin vom Inn zurück verwandelten. Deshalb probierte ich mich damals an einer Geschichte, die dem Flussfurzer Siddhartha eine toughe Frau vor die Nase setzte: Ruha.

Siddhartha auf Tour

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