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Ruha 5

Während Ruha erzählte, behielt Siddhartha die Gruppe interessiert im Auge. Ruha war immer tiefer in sich versunken, verloren in ihren Erinnerungen, oft verdunkelte sich ihr Blick, von dem verführerischen Lächeln, das er an seiner Haustür kurz kennenlernen durfte, war heute nichts zu sehen. Lilli schien ihm erst nicht recht bei der Sache, zuhören war nicht so ihr Ding. Später war sie durchaus gefesselt und von echtem Mitleid erfasst. Adas Augen blitzten kurz auf bei dem lesbischen Intermezzo, ihre verschränkten Arme deuteten aber eher auf eine leichte Feindseligkeit hin, vielleicht Unverständnis, vielleicht auch Neid. Die Geschichte war ihm in dem Zusammenhang so nicht klar gewesen, auch wenn sich Bruchstücke daraus aus den spärlichen Unterhaltungen mit seiner jungen Begleiterin bereits zu einem Puzzle geformt hatten. Eine tiefe Trauer hatte von ihr Besitz ergriffen, so viel war klar. Sie hatte den Tod gesehen, sie hatte den Tod in den Armen gehalten, seinen stechenden Geruch in der Nase, sein Prasseln und Schreien in den Ohren. Sie hatte, was ihm nie vergönnt gewesen war, ihm, dem Unsterblichen.

Ruha stand auf und verschwand für längere Zeit in der Toilette. Auf dem Weg zurück zu ihrem Stuhl zwängte sie sich wieder zwischen einem Bücherregal und Siddhartha durch. Er rückte ein Stück nach vorne, sie zog den Bauch ein, eine Enge, die sich sofort wieder auflösen würde, da blieb sie einfach stehen, legte beide Hände auf seine Schultern, atmete lange aus, wieder ein, wieder aus, und Siddharthas Oberkörper richtete sich unter ihr auf, streckte sich in ihren behütenden Druck, er beugte seinen Kopf nach links und ließ sein Kinn, seine Wange, seine Stirn über ihre Hand streicheln, die Augen geschlossen, gab er sich ihr hin. Einen Atemzug später war alles wieder wie immer, Ruha saß auf ihrem Stuhl und wunderte sich, was geschehen war. Siddharthas Gesicht war ihr zugewandt, aber sie erreichte ihn nicht mit ihren Augen, sein Blick war nach innen gerichtet, als würde er in einem Meer schlafen. Die anderen hatten nichts bemerkt.

In dieser Nacht legte sich Ruha das erste Mal zu Siddhartha ins Bett. Vom vielen sauren Bergwein und wilden Träumen war sie aufgewacht und in der Dunkelheit über den Gang zum Pinkeln geschlichen. Mit einem heftigen Entschluss schloss sie nun die Badezimmertür hinter sich und ging zu seinem statt zu ihrem Zimmer zurück. Sie öffnete, ohne zu klopfen, machte sich schnell ein Bild, solange noch das wenige Licht aus dem Gang in den Raum fiel, zwei schnelle Schritte, und schon lag sie unter seiner Decke, an seinen warmen Körper geschmiegt, der sich an ihr aufrichtete, sie umfing und aufnahm. Sie waren beide voneinander überrascht, von den Möglichkeiten, die sie sich zu bieten hatten.

Am Morgen fühlte sie sich wie abgewetztes Schmirgelpapier. Siddhartha saß nackt auf dem blanken Zimmerboden und meditierte. Sie beobachtete seine Muskeln, seine Haare, die gleichmäßige Bräune seiner Haut. Die Berührungen der Nacht legten sich wie Salbe auf die offenen Wunden in ihren Gedanken. Noch nie war sie so geliebt worden, so, ihr fiel kein anderes Wort ein, spirituell, so ganz, noch nie war sie in Anwesenheit eines anderen in ihr so bei sich gewesen. Ruha schloss die Augen und sah sich selbst lächeln, aus der Perspektive Siddharthas, aus der des Fensters, der Deckenlampe, des Weckers, alle Perspektiven verschmolzen zu einer und sie sah sich nicht mehr, warum werden Blicke eigentlich immer wie Laserstrahlen dargestellt, sie waren einfach, immersiv, heißt das jetzt nicht so, Siddhartha öffnete die Augen und wunderte sich wie so oft, wie das uralt Bekannte immer neu erfunden werden konnte, mit neuen Namen, Ruha, Kamela, Hermine, Teresina, Ylajali, Gerty.

In den großen Bühnen mit Techniker spielen wir an der Stelle immer einen vorbeirasenden Sanka ein. Feueralarm. Sirene. Warnsignal. Das ganz große Tatütata. Nina blinkt. Auf allen Smartphones springt KatWarn an. Kurze Aufregung, Auflösung, und weiter geht’s.

Siddhartha auf Tour

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