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Ruha 2

Eine Woche später klopfte es vorsichtig bei Siddhartha. Er hatte seine Abendmeditation beendet und war dabei, sich die Zähne zu putzen. Mit der Bürste zwischen den Fingern öffnete er, verwundert, dass man nicht geklingelt, sondern ganz altmodisch mit der Hand gegen die Tür geschlagen hatte.

Ruha strahlte ihn an. „Wusste nicht, ob du vielleicht schon schläfst.“

Am Tag ihres Kennenlernens hatte Siddhartha die junge Frau mit in seine Wohnung eingeladen. Sie hatte geduscht, ausführlich geschlafen und das Abendessen, das er ihr zubereitete, hungrig aufgegessen. Erzählt hatte sie nichts, die freien Minuten verbrachte sie hinter einem Notizbuch, in das sie mit winziger Handschrift lange Einträge machte. Siddhartha drang nicht weiter in sie. Und sie ließ ihn in Ruhe, als er seinen Yogaübungen nachging. Die Konversation beschränkte sich darauf, die Dinge des Alltags zu regeln, Handtuch, Salz, später dann konnte er Ruha nicht überzeugen, im Schlafzimmer zu übernachten, sie wollte auf dem Diwan bleiben. Am nächsten Morgen war sie verschwunden, und mit ihr zwei Äpfel, einige weitere Lebensmittel und Govindas Ring, den er seit all den Ewigkeiten in einer Schatulle aufbewahrte, in der auch die Streichhölzer, ein kleiner Wachsschaber und bunte Zierbänder für seine Kerzen lagen. Der Schock warf ihn fast um, die Teetasse klirrte auf ihrem Unterteller, so sehr zitterte er, das Streichholz schwankte Zentimeter um den Docht. Er blieb für zwölf Stunden ununterbrochen auf der Matte, doch sein Muladhara Chakra wollte sich nicht beruhigen. Selbst ihm, einem alten Meister, der doch alles gesehen hatte, wog dieser Verlust schwer. Sein Geist raste und ließ sich nicht bändigen.

Govinda war sein Freund gewesen. Govinda hatte ihn geliebt. Liebe, Sex und Freundschaft waren noch nicht so autoritär zwischen Männern und Frauen aufgeteilt wie in den späteren Gesellschaften. In Indien war es damals üblich gewesen, Hand in Hand zu wandern. Heute sah man das im Westen nur noch nachts in den Schwulenvierteln von Großstädten. Im Schein tausender Lampen des Diwalifestes hatte ihm der Mönch bei einem ihrer vieler Abschiede seinen Lieblingsring anvertraut. Damit wir uns wiedersehen. Sie hatten sich, länger getrennt als sonst auf ihren Wanderungen, wiedergesehen, doch der Ring blieb in Siddharthas Besitz. Govindas Liebe war nicht frei von erotischer Sehnsucht gewesen, auch wenn Siddharthas Leidenschaft immer Kamala gegolten hatte, seiner Lehrmeisterin in allen weltlichen Künsten, Kochen, Tanzen, Liebkosen, Wirtschaften. Das meiste hatte er seitdem wieder vergessen, in die jeweils aktuelle Mode eingeübt hatte er sich ohnehin nie, die Griechen, die Römer, die Araber, das Rokoko, die 68er, irgendwann war selbst mit der größten Neugier Schluss und alles wirkte wieder irgendwie vedisch. Govinda, wie er das Hier und Heute wohl bewerten würde, er, der ewig Suchende, dessen mangelndes Selbstbewusstsein stets nach einem Führer verlangte, zu dem er aufschauen konnte. Wie würde er sich zurechtfinden im Anything goes der Postmoderne, das bei den Alten dieser Generation immer noch die Religion des Alltags war. Govinda als Selbstoptimierer, Govinda als seine eigene Marke, Govinda als Übermensch. Gestern beim Baristakurs, heute bei einer Demo, morgen ein Netflixabend, die Augen auf dem Smartphone, Tinder, Twitter. Immer auf der Suche. Ja, sein Freund Govinda würde vielleicht ganz gut in diese Zeit passen. Siddhartha lächelte.

Ruha nahm dem verdutzten Mann die Zahnbürste aus der rechten Hand, öffnete ihre geschlossenen Faust und ließ das Schmuckstück auf seine Handfläche fallen.

„Tut mir leid.“

In seinen Augen fand sie wieder diese Mischung, die sie schon auf der Parkbank fasziniert hatte. Eine erstaunte Neugier für die Situation lag darin ebenso wie weise Souveränität, respektvoller Abstand zu ihrer Person verband sich mit überlegener Güte. In der Sekunde spürte sie, wie sich etwas in ihm veränderte, eine große Kraft in ihm wuchs, ein von ihm ausgehendes warmes Energiefeld legte sich über sie beide, wuchs auch aus ihr heraus, ein Moment der Unendlichkeit umfing sie beide, in dem er mit seiner Linken ihre linke Hand nahm, ihre Handfläche nach oben zog und den Ring wieder in ihre Hand fallen ließ.

„Ich erzähle dir seine Geschichte. Behalt ihn. Damit wir uns wiedersehen. Das ist jetzt unsere Bestimmung.“

Dann nahm er ihr seine Zahnbürste ab, und der Zauber war gebrochen.

Ruha blieb wieder über Nacht auf dem Diwan und diesmal war sie auch am nächsten Morgen noch da. Endlich erzählte sie. Siddhartha war ein guter Zuhörer. Lange dachte er nach. Dann machte er ihr ein Angebot.

Siddhartha auf Tour

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