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Claudia ruft an

Ich stand im Volkspark, einen Becher Cappuccino mit Hafermilch in der Hand. Dass Claudia so früh anrief, war ungewöhnlich. WhatsApp ja. Die gingen auch mal schnell nebenbei, in den unaufmerksamen Sekunden unserer Partner. Am öftesten schrieben wir uns aber wohl vom Klo. Das war die unwürdige Facette unserer Liebe. Die große, unerfüllte Liebe, die auf Toilettenbrillen in Smartphones getippt wurde. Anrufe dagegen ließen sich in der Regel nur geplant realisieren. Unser Medium war das Schreiben. Ganz früher, noch in der Schule, Briefe, handgeschrieben auf bunten Zetteln, im Studium schon maschinengeschriebene Ergüsse auf Schreibmaschinenpapier, sogar Ausdrucke, sorgfältig in Word editiert. Später dann E-Mails, tausende E-Mails. Seit einigen Jahren nun Messages. Ich mag das sehr. Kussmünder, pulsierende Herzchen, das verwandelt die verschwommenen Erinnerungen an unsere wenigen schönen Nächte und die verstohlenen Träume von einer Wiederholung in der Zukunft in eine glühend rote, erfüllte Gegenwart. Mit den Selfies waren wir uns wieder sehr viel nähergekommen, präsenter. Nur anfangs versuchte ich noch, die Zeichen des Alters zu verbergen, die ausgedünnten Haare, das manchmal etwas aufgedunsen wirkende Gesicht, den leichten Bauchansatz. Sie dagegen war in jeder Einstellung wunderschön, so wie sie jetzt dasitzt, schlank, mit immer neuen Frisur- und Haarfarbenexperimenten, ein Lachen, eine Grimasse, ein sehnsüchtiger Blick in die Ferne, ein Handstand, aufgenommen von einem Dritten, sicher von Axel. Immer noch war sie launisch. An guten Tagen sah ich sie vor einer sonnigen Bergkulisse strahlen, an schlechten Tagen schickte sie ihr Miesepetergesicht, oft genug mit dem Spülkasten ihres alten Bads im Hintergrund. Frau mit Klopapier. Wenn du nicht zusammenlebst, ist das ein seltenes Bild.

So frühmorgens von ihr angerufen zu werden war jedenfalls sehr ungewöhnlich. Ich meldete mich mit einem dummen Scherz, den sie einfach überhörte, sofort brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus. Axel hatte sie mitten in der Nacht mit einem Schreikrampf aufgeweckt, fürchterliche Kopfschmerzen warfen ihn unansprechbar hin und her und schließlich sogar aus dem Bett. Panisch hatte sie den Rettungsdienst angerufen, er war ins Krankenhaus gebracht worden. Sie hatte die Nacht vor der Intensivstation verbracht und lief jetzt offensichtlich auf dem Parkplatz der Klinik auf und ab. So war das mit uns. In guten wie in schlechten Tagen.

Siddhartha auf Tour

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