Читать книгу Handbuch Ius Publicum Europaeum - Martin Loughlin - Страница 67

b) Vorrang und Vorbehalt des Gesetzes

Оглавление

121

Mit der Bindung der Verwaltung an das Gesetz markiert Art. 20 Abs. 3 GG gewissermaßen den harten historischen Kern des Rechtsstaatsprinzips.[408] Der hier etablierte Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zerfällt dabei in zwei Unterprinzipien, den Vorrang und den Vorbehalt des Gesetzes.[409]

122

Der Vorrang des Gesetzes resultiert letztlich aus dem Stufenbau der Rechtsordnung und besagt, dass es den anderen Rechtsquellen (die Verfassung ausgenommen) vorgeht. Die Verwaltung muss also die Gesetze beachten, darf nicht von ihnen abweichen (Abweichungsverbot) oder sie ignorieren (Anwendungsgebot). Es gilt der Satz: keine Maßnahme gegen das Gesetz.

123

Vom weitergehenden „Vorbehalt“ des Gesetzes spricht man, weil die Verwaltungstätigkeit hier unter dem Vorbehalt einer gesetzlichen Ermächtigung steht. Es gilt der Satz: keine Maßnahme ohne das Gesetz. Schon gemäß der staatsrechtlichen Doktrin des 19. Jahrhunderts waren demgemäß Eingriffe in Freiheit und Eigentum des Bürgers nur durch Gesetz (oder aufgrund eines Gesetzes) zulässig, das wiederum der Zustimmung des Parlaments bedurfte. Dieses wichtigste Erbstück der konstitutionellen Epoche hat in der jüngeren verfassungsrechtlichen Entwicklung insofern eine Erweiterung erfahren, als nun auch die Regelung „wesentlicher“ Fragen jenseits eines Eingriffssachverhaltes darunter fällt. Die vom Bundesverfassungsgericht kreierte und gleichermaßen im Demokratieprinzip zu verankernde so genannte „Wesentlichkeitslehre“ (zuweilen auch „Wesentlichkeitstheorie“ oder „Wesentlichkeitsdoktrin“) hat eine nicht immer leicht zu überschauende Kasuistik hervorgebracht.[410] Eindeutig überwunden ist allerdings die Ansicht, wonach der Vorbehalt in den so genannten „besonderen Gewaltverhältnissen“ (also etwa in Gefängnissen oder Schulen) nicht zum Tragen komme.[411] Der weitreichende und eigentlich nur die Subventionsverwaltung sowie bestimmte Organisationsfragen ausklammernde Vorbehalt schließt autonome exekutive Handlungsermächtigungen aus, wie sie beispielsweise in Frankreich[412] üblich sind.

124

Im Unterschied zum Vorrang des Gesetzes ist der Vorbehalt des Gesetzes nicht explizit in Art. 20 GG geregelt. Doch setzt diese Bestimmung den überkommenen „klassischen“ Gesetzesvorbehalt voraus und bietet so ein weiteres Beispiel dafür, dass der Normgeber das für selbstverständlich Gehaltene oft nicht thematisiert. Zudem ist neben diesem Traditionsaspekt noch auf die grundrechtlichen Gesetzesvorbehalte sowie das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts zu verweisen. Im Ergebnis ist die Geltung des Vorbehalts des Gesetzes als Teil des Rechtsstaatsprinzips unstreitig.[413]

Handbuch Ius Publicum Europaeum

Подняться наверх