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c) Pluralisierung

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Der wichtigste und in seinen Konkretisierungen sicher noch nicht abgeschlossene Änderungsprozess betrifft den Wandel der Grundrechtsfunktionen oder -dimensionen, der als bedeutsamste Form eines Verfassungswandels (dazu oben, Rn. 47) unter dem Grundgesetz gelten darf und gar als „spektakulärste Neuerung des deutschen Staatsrechts nach 1945“[466] bewertet worden ist. Diese neuen Dimensionen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sowohl über den Staatsbezug als auch über die Abwehrstoßrichtung hinausgehen. Man kann darunter all jene Fallkonstellationen fassen, in denen Grundrechte nicht als liberale Abwehrrechte des Einzelnen gegen die Staatsgewalt mobilisiert werden, sondern sich auf andere Art und Weise realisieren: in Dritt- und Ausstrahlungswirkung, als Organisations- und Verfahrensgarantien, als Leistungs- und Teilhabegehalte, als Schutzpflichten und Einrichtungsgarantien.[467] So hat man etwa, um ein Beispiel zu nennen, Grundrechte bei der Gestaltung eines staatlichen Zwangsversteigerungsverfahrens dahingehend zur Geltung gebracht, dass der Rechtspfleger den Eigentümer auf ein Missverhältnis zwischen Gebot und Wert des Grundstücks eigens hinzuweisen habe.[468] Es treten also im Sinne eines „funktionalen Pluralismus“[469] zu der zentralen Funktion der Grundrechte als negative Abwehrrechte des Einzelnen gegen den Staat andere und weitere „Bedeutungsschichten“[470] hinzu. Sie werden, nachdem das Bundesverfassungsgericht lange Zeit die missverständliche Formel von der Wertordnung bemüht hatte, heute zumeist als „objektiv-rechtliche Grundrechtsgehalte“ gebündelt.[471] Zwei Aspekte aus diesem vielschichtigen Erscheinungsbild verdienen besondere Hervorhebung: die Ausstrahlungswirkung der Grundrechte (dazu aa) und die Konzeption grundrechtlicher Schutzpflichten (bb).

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