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6. Kapitel Kolumbien, Cartagena

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Nach ei­ner er­hol­sa­men Nacht, mit viel nach­ge­hol­tem Schlaf, be­trat Ane­li­sa Cor­tez wie­der ihr Bü­ro. Sie star­te­te ih­ren Com­pu­ter, nahm ih­re Kaf­fee­tas­se und ging in den klei­nen Kü­chen­raum. Der Kaf­fee im Re­vier war nicht der bes­te, aber im lauf der Jah­re hat­te sie sich be­reits dar­an ge­wöhnt. Aus der Schub­la­de mit dem Be­steck zog sie einen Kaf­fee­löf­fel und ließ ihn in ih­re Tas­se fal­len. Im vor­bei­ge­hen griff sie sich zwei Wür­fel­zu­cker, aus der halb ver­brauch­ten Pa­ckung, und ver­senk­te sie in dem leicht damp­fen­den Ge­tränk. Leicht rüh­rend kehr­te sie in ihr Bü­ro zu­rück und ließ sich in ih­ren Schreib­tisch­stuhl fal­len. Der Com­pu­ter for­der­te sie auf ih­re Zu­gangs­da­ten ein­zu­ge­ben. Ane­li­sa trank einen Schluck aus ih­rer Tas­se be­vor sie sich am Sys­tem an­mel­de­te. Der Be­richt der Spu­ren­si­che­rung war si­cher noch nicht hin­ter­legt, den er­war­te­te sie frü­he­s­tens zum Mit­tag.

Mo­rei­ra stapf­te mit ei­nem fröh­li­chen »Gu­ten Mor­gen« in das Bü­ro der bei­den und pflanz­te sich auf sei­nen be­reits ab­ge­nutz­ten Dreh­stuhl. Wäh­rend er dar­auf war­te­te, das sein Com­pu­ter ge­st­ar­tet war, blick­te er über den Schreib­tisch zu sei­ner Part­ne­rin.

»Du siehst heu­te so er­holt aus Li­sa«, ver­such­te er ihr ein Lä­cheln zu ent­lo­cken.

»Ich se­he im­mer so aus Fe­li­pe. Nur war­te ich auf den Be­richt der Spu­ren­si­che­rung, oh­ne den wir nicht wei­ter­kom­men.«

Gera­de als er ihr bei­brin­gen woll­te, dass es nicht mehr so lan­ge dau­ern konn­te, häm­mer­te ei­ne Faust an die Tür hin­ter ihm. Der gan­ze Raum schi­en zu vi­brie­ren. Er­schro­cken sah Ane­li­sa auf und rief ein kur­z­es »He­rein«, als auch schon die Tür auf­flog und ei­ne gan­ze Hor­de Men­schen in ihr Bü­ro dräng­te.

Mi­cha­el Korn blieb di­rekt vor dem Schreib­tisch, der bei­den ste­hen. In Se­kun­den hat­te er die Si­tua­ti­on er­fasst und warf einen kur­z­en Blick auf den Mann, der völ­lig kons­ter­niert auf die Grup­pe Men­schen schau­te.

»Sie sind al­so die 2 Dol­lar Nut­te mit der großen Fres­se am Te­le­fon«, stell­te er fest, als er Cor­tez ins Vi­sier ge­nom­men hat­te.

Ane­li­sa Cor­tez war zum ers­ten Mal in ih­rer Kar­rie­re sprach­los. Da stand ein Bär von ei­nem Mann in ih­rem Bü­ro, der sie ein­fach wüst be­schimpf­te. Dann er­in­ner­te sie sich wie­der, als sie auf der schwar­zen Wes­te den In­ter­pol­schrift­zug sah. Sie er­lang­te wie­der ein biss­chen Sou­ve­rä­ni­tät, als sie sei­nem durch­drin­gen­den Blick stand­hielt.

»Sieh an, die gan­ze Cock­tail­par­ty von den Ba­ha­mas! Und der Lauf­bur­sche ist der ers­te, der sein Maul auf­rei­ßt!«, gif­te­te Cor­tez zu­rück.

Korn woll­te schon ih­ren Schreib­tisch auf sie wer­fen, als ei­ne schma­le klei­ne Hand auf sei­ner Schul­ter er­schi­en und ihn so­fort stopp­te. Leo­nie flüs­ter­te ihm zu »Micha, erst auf die Sanf­te!«

Liz dräng­te Mi­cha­el ein biss­chen auf die Sei­te. Was sie vor dem Schreib­tisch sit­zen sah, war al­so die­se Cor­tez. Ei­ne hoch­ge­wach­se­ne Frau mit klei­ner Ha­ken­na­se und den Au­gen ei­nes Maul­wurfs. Die pech­schwar­zen schul­ter­lan­gen Haa­re, die ihr ins son­nen­ge­bräun­te Ge­sicht fie­len, wirk­ten, als wä­ren sie noch nass. Sie er­kann­te aber an den zu­sam­men­hän­gen­den Sträh­nen das die Er­mitt­le­rin sie in Haar­spray er­tränkt hat­te.

»Mein Na­me ist Croll. Sie wa­ren al­so so frei uns her­aus­zu­for­dern Miss Cor­tez. Hier sind wir!«, be­gann sie in lo­cke­rem Plau­der­ton.

»Le­gen sie ih­ren klei­nen Ter­ri­er an die Lei­ne be­vor er noch mein Bü­ro voll­sab­bert«, er­wi­der­te sie mit ei­ner klei­nen Spit­ze auf Korn, »Ich hät­te nicht da­mit ge­rech­net das sie hal­be Por­ti­on hier auf­schla­gen.«

Mo­rei­ra war die gan­ze Si­tua­ti­on sicht­lich un­an­ge­nehm. Sei­ne Part­ne­rin und Vor­ge­setz­te ma­nö­vrier­te sich hier in ei­ne La­ge, die nicht mehr zu kon­trol­lie­ren war. Er ver­such­te sich, sein Un­be­ha­gen nicht an­mer­ken zu las­sen. Müh­sam tipp­te er auf der Ta­sta­tur vor ihm her­um.

»Miss Cor­tez, ich emp­feh­le ih­nen, sich zu be­ru­hi­gen. Wir kön­nen auch ganz an­ders und das wird we­der ih­nen noch ih­rem La­kai­en ge­fal­len, der ge­ra­de ver­sucht, einen Brief in die An­mel­de­mas­ke sei­nes Com­pu­ters zu tip­pen. Ich über­las­se ih­nen die Wahl, wie sie das Spiel spie­len wol­len! Ent­we­der sie wol­len un­se­re Hil­fe, oder nicht«, gab ihr die Che­fin des In­ter­pol­teams vor.

»Oh, der lau­fen­de Me­ter, der hier vor mir steht, lässt mir die Wahl«, ver­such­te sie mit Mo­rei­ra zu scher­zen, »Flie­gen sie wie­der nach Hau­se, le­gen sich im Bi­ki­ni an den Strand und las­sen sich von ih­rem dre­cki­gen Kö­ter ein paar Drinks brin­gen. Ich lö­se den Fall in den nächs­ten Stun­den al­lei­ne, da­zu brau­che ich kei­ne Klam­meräff­chen die von den Pal­men win­ken.«

»Wie sie wol­len. Wir wer­den un­se­re ei­ge­nen Er­mitt­lun­gen auf­neh­men. Die Er­geb­nis­se le­sen sie dann in der Zei­tung, falls sie über­haupt le­sen kön­nen«, fauch­te Liz sie an, ehe sie hin­zu­füg­te »Mi­cha­el, du darfst.«

Korn ließ sich nicht lan­ge bit­ten und zog Cor­tez wie einen to­ten Aal aus ih­rem Stuhl in die Senk­rech­te. Dann brach­te er sein Ge­sicht, auf dem kei­ner­lei Re­gung zu se­hen war, ganz nah an ihr Ohr. Cor­tez woll­te sich weh­ren, aber er hielt sie mit ei­ser­nem Griff fest. An­statt zu flüs­tern, brüll­te er ins Ohr »Mäu­schen, ich wer­de dei­nen kno­chi­gen Arsch so weit auf­rei­ßen, bis ein Lkw die Ori­en­tie­rung dar­in ver­liert, und ihn dann mit Meer­was­ser flu­ten, dass dir dein Fres­sen aus dem Hun­de­n­apf, die nächs­ten Jah­re ver­sal­zen vor­kommt!«

Wäh­rend er sich um­dreh­te, warf er die Er­mitt­le­rin in ih­ren Stuhl zu­rück, dass sie da­mit zur Sei­te kipp­te und auf dem Bo­den lan­de­te. Das gan­ze Te­am konn­te sich vor La­chen kaum noch hal­ten, als sie das Bü­ro ver­lie­ßen. Liz raun­te ihm zu »Der war gut Micha«.

Vor dem Re­vier stan­den sie zu­sam­men und hiel­ten ei­ne kur­ze Be­spre­chung ab. Korn und Leo­nie so­gen genüss­lich an ih­ren Zi­ga­ret­ten, als Liz die Ein­tei­lung vor­nahm. »Okay, Ka­rya­ni, Micha und ich se­hen uns das Mu­se­um ge­nau­er an. Mi­ke und Leo­nie, ihr be­sorgt uns ei­ne Ein­satz­zen­tra­le und ver­schafft euch Zu­gang zum Sys­tem des Re­viers. Wenn die ih­ren Be­richt ha­ben will ich wis­sen, was da drin­steht, was wir noch nicht selbst ge­fun­den ha­ben. Wäh­rend­des­sen küm­mert sich Leo­nie um die Ver­tei­di­gung un­se­rer Ein­satz­zen­tra­le. Wenn Cor­tez oder ihr Hünd­chen auf­tau­chen wer­den sie ihr blau­es Wun­der er­le­ben.«

Leo­nie und Mi­ke ga­ben ih­ren Liebs­ten noch einen Ab­schieds­kuss und mach­ten sich an ih­re Auf­ga­be. Liz und die an­de­ren bei­den be­stie­gen ein Au­to und fuh­ren zum Mu­seo del Oro Ze­nu.

Das Mu­se­um war noch im­mer für den Pub­li­kums­ver­kehr ge­sperrt als Korn und die bei­den Frau­en dort ein­tra­fen. Das wei­ße Ge­bäu­de strahl­te in der hei­ßen Mor­gen­son­ne wie ein Stern am Fir­ma­ment. Be­vor sie hin­ein­ge­hen konn­ten, blieb Korn da­vor ste­hen und be­trach­te­te das Mu­se­um von au­ßen. Sein Blick wan­der­te über die Mau­ern und die klei­ne Stra­ße da­vor. Mehr­fach schüt­tel­te er leicht den Kopf. Liz und Ka­rya­ni schau­ten ihm ver­wun­dert da­bei zu. Er wand­te sich an Ka­ry und frag­te »Wird das Mu­se­um nachts be­leuch­tet?«

»Auf den Bil­dern, die ich ge­se­hen ha­be, wur­de es mit vie­len Strah­lern be­leuch­tet«, ant­wor­te­te sie ver­un­si­chert.

Mi­cha­el nick­te nur leicht aber Liz er­kann­te, dass er schon voll bei der Sa­che war. Auch sie nahm das Ge­bäu­de et­was ge­nau­er un­ter die Lu­pe. Ge­mäch­lich schrit­ten sie auf den Ein­gang zu. Die Po­li­zei, die noch im­mer den Tat­ort un­ter­such­te, ver­sperr­te ih­nen nur kurz den Weg. Nach­dem Ka­ry ih­nen den In­ter­po­l­aus­weis ge­zeigt hat­te, konn­ten sie un­ge­hin­dert pas­sie­ren. Sie wa­ren von den ih­nen sich bie­ten­den An­blick über­wäl­tigt. Über­all stan­den Vi­tri­nen mit wun­der­schön ge­fer­tig­ten Schmuck­stücken aus Gold. Ne­ben­ein­an­der stie­gen sie die Trep­pen bis zum vier­ten Stock­werk nach oben. Dort an­ge­langt wand­ten sie nach links in den an­gren­zen­den Aus­s­tel­lungs­raum. Wie­der blieb Mi­cha­el kurz zu­rück und ließ sei­ne Pu­pil­len durch den Raum wan­dern.

Über sei­nen Funk­sen­der kon­tak­tier­te er Mi­ke »Hast du einen Plan vom Ge­bäu­de für uns?«

»Na­tür­lich Mi­cha­el. Schick ich dir auf dein Han­dy«, ant­wor­te­te er kurz an­ge­bun­den.

In­ner­halb ei­ni­ger Se­kun­den konn­te Mi­cha­el den Plan auf sei­nem Smart­pho­ne auf­ru­fen. Ge­dan­ken­ver­lo­ren blieb er auf der Stel­le ste­hen und sah sich die Zeich­nung an. Liz und Ka­ry lie­fen in dem großen Raum her­um, der ver­ein­zelt noch von Po­li­zei­kräf­ten und dem auf­ge­spann­ten Flat­ter­band be­völ­kert war. Die ge­öff­ne­te Vi­tri­ne, mit dem kreis­run­den Loch, be­fand sich ziem­lich in der Mit­te der Aus­s­tel­lung. Mi­cha­el rieb sich sein Kinn, nahm aber sei­ne Au­gen nicht von dem Dis­play sei­nes Te­le­fons.

»Ka­ry«, rief er, »Das Be­di­en­feld für die La­ser­über­wa­chung ist da an der Wand, da­ne­ben steht ei­ne klei­ne Sitz­grup­pe. Kannst du kurz che­cken, ob da je­mand dran war?«

»Klar, aber ich ver­ste­he nicht ganz!«, gab sie zu­rück.

»Ich er­klä­re es gleich, will aber si­cher­ge­hen, ob mei­ne Ver­mu­tung rich­tig ist«, mur­mel­te er sei­nem Dis­play zu.

Liz trat an sei­ne Sei­te her­an und wag­te auch einen Blick auf die Kar­te, wäh­rend sich Ka­ry das Be­di­en­feld, was Mi­cha­el er­wähnt hat­te, von al­len Sei­ten ge­nau an­sah.

»Liz, Micha, kommt her, hier war ga­ran­tiert je­mand dran!«, rief sie auf­ge­regt.

Die Che­fin mach­te ei­ni­ge Schrit­te zu ihr, doch Mi­cha­el blieb stur ste­hen. Ka­ry zeig­te mit ei­nem Ku­gel­schrei­ber, den sie aus der Ta­sche ge­zo­gen hat­te auf ei­ne klei­ne Ver­tie­fung un­ter­halb der Kon­so­le. Sie er­kann­ten dar­an Kratz­spu­ren.

»Ich glau­be ich weiß, wie er hier rein­ge­kom­men ist«, ließ Mi­cha­el sie wis­sen.

Bei­de war­fen die Köp­fe zu ihm her­um und rie­fen fast gleich­zei­tig »Wie?«

»Un­ser Dieb muss ein Klet­teräff­chen sein, und da­zu noch ziem­lich schlank! Er kam durch den Lüf­tungs­schacht hier rein«, gab er an.

Ka­ry und Liz stell­ten sich ne­ben ihn, bis Liz frag­te »Wie kommst du dar­auf?«

»Im gan­zen Ge­bäu­de, an den Tü­ren und Fens­tern und be­son­ders am Haup­tein­gang wird al­les mit dem La­ser­sys­tem hier über­wacht. Die Kon­so­le da­von ist auf der un­te­ren Ebe­ne hin­ter ei­ner Säu­le an­ge­bracht. Es ist al­so un­mög­lich, so ein­zu­stei­gen, oh­ne die La­ser au­ßer Be­trieb zu neh­men, noch da­zu, wenn ein Wach­mann hier sei­ne Run­den dreht. Trotz­dem ist er un­ge­se­hen hier her­ge­langt. Die ein­zi­ge Mög­lich­keit, die ich se­he, ist über den Lüf­tungs­schacht, der vor­ne ne­ben der Trep­pe senk­recht nach un­ten führt. Er muss, mei­ner Mei­nung nach da durch ge­krab­belt sein. Über der Sitz­grup­pe ist ein Git­ter an dem Schacht um den Teil mit Fri­schluft zu ver­sor­gen. Wenn er da raus­ge­kom­men ist, hät­te er einen wun­der­ba­ren Platz auf der Sitz­grup­pe, die zu­min­dest auf der Sitz­flä­che nicht mit den La­sern über­wacht wer­den. Die Kon­so­le liegt in Reich­wei­te da­von. Du hast mir eben be­stä­tigt, das da je­mand dran war Ka­ry. Wä­re es tech­nisch mög­lich, die An­schlüs­se dar­in so um­zu­ste­cken, oh­ne den Alarm aus­zu­lö­sen?«, be­rich­te­te er.

»Ich ha­be sie zwar nicht ge­se­hen, aber tech­nisch ist das so­gar ziem­lich ein­fach zu ma­chen«, be­stä­tig­te Ka­ry mit großen Au­gen.

»Er wird das wohl so ge­macht ha­ben. Heißt, er konn­te sich in die­sem Teil frei be­we­gen, oh­ne ent­deckt zu wer­den. Das kreis­run­de Loch dort in der Vi­tri­ne stammt mit Si­cher­heit von ei­nem Glas­schnei­der, den er mit ei­nem Saug­napf fest­ge­klemmt hat. Zu hö­ren wä­re nur ein leich­tes Krat­zen ge­we­sen, al­so un­hör­bar für den Wach­mann in ei­nem an­de­ren Stock­werk. Auf dem glei­chen Weg ist er wohl auch wie­der ver­schwun­den, nach­dem er die Alarm­an­la­ge wie­der in Be­trieb ge­setzt hat«, er­klär­te Korn.

Liz sah ihn stau­nend an und frag­te »Wie zum Teu­fel bist du dar­auf ge­kom­men?«

»Ich be­schäf­ti­ge mich schon seit fast 20 Jah­ren mit der Si­cher­heit von Per­so­nen und Ob­jek­ten. Al­so stel­le ich mir ein­fach vor wie ich als ein Dieb, un­ent­deckt zu mei­nem be­gehr­ten Stück ge­lan­gen kann. Das ist die of­fen­sicht­lichs­te Mög­lich­keit, wenn man nicht ge­ra­de wie ich Über­grö­ße hat und in der Röh­re ste­cken bleibt!«, mur­mel­te er.

»Aber wie ist er in die Lüf­tung ge­langt?«, ver­lang­te Liz zu wis­sen.

»Da­ran ar­bei­te ich noch Liz«, gab er zu, »Der Lüf­tungs­schacht ver­läuft senk­recht vom Kel­ler bis hin­auf zum Dach. Auf je­der Eta­ge gibt es Ab­zwei­gun­gen. So kom­me ich al­so bis hier­her. Die Fra­ge ist jetzt nur noch, ob er über den Kel­ler ein­ge­drun­gen ist, was ich mir al­ler­dings kaum vor­stel­len kann. Da­zu hät­te er gan­ze sechs Stock­wer­ke in der Lüf­tung hin­auf klet­tern müs­sen, und so, wie ich das se­he, konn­te er das Vi­deo­si­gnal von dort un­ten auch nicht ma­ni­pu­lie­ren, weil dort gar kei­nes ist. Be­deu­tet, un­ser Dieb muss von oben ge­kom­men sein. Wenn es al­so kein Vo­gel war, und die­se Tie­re ha­ben kei­nen Glas­schnei­der auf dem Rücken, kann er nur vom Dach ge­kom­men sein. Wir müs­sen jetzt noch wis­sen wie er da rauf kam und wie er wie­der von dort ver­schwun­den ist.«

»Dann lasst uns mal da oben nach­se­hen«, be­merk­te Liz.

»Ich wür­de vor­her noch gern die An­schlüs­se kon­trol­lie­ren«, bat Ka­ry, »Dann wis­sen wir auch, ob er da­zu spe­zi­el­les Werk­zeug ge­braucht hat.«

»Ein­ver­stan­den, Ka­ry. Dann bleibst du hier und checkst das durch. So lan­ge wer­den wir uns mal auf dem Dach um­se­hen«, gab Liz vor.

Ka­ry nick­te und mach­te sich dann auch gleich an der Ab­de­ckung der An­la­ge zu schaf­fen. Mi­cha­el und Liz gin­gen zu­rück zu den Trep­pen­stu­fen und setz­ten ih­ren Weg nach oben fort. Oben an­ge­kom­men öff­ne­ten sie die Tür zum Dach. Mi­cha­el ver­keil­te sie mit ei­nem Stein, weil sie nur von in­nen zu öff­nen war.

Liz hat­te in der Zeit be­reits den weg zum Luft­schacht zu­rück­ge­legt und sah sich dort um. Dann rief sie »Ich ha­be es ge­fun­den!«

Er kam zu ihr her­um und bell­te »Nicht an­fas­sen, viel­leicht fin­den wir Fin­ger­ab­drücke!«

Das obe­re Lüf­tungs­git­ter war her­aus­ge­nom­men wor­den und die Kan­te zum In­ne­ren des Ge­bäu­des war ein­ge­drückt. Dort lag, ver­steckt un­ter ei­nem Rohr ein klei­ner schwar­zer Kas­ten, nicht grö­ßer als ei­ne Di­gi­tal­ka­me­ra, von dem zwei dün­ne Dräh­te durch den ein­ge­drück­ten Spalt nach un­ten führ­ten.

»Hier ist er al­so rein«, sag­te Korn nach­denk­lich.

»Sieht so aus Mi­cha­el«, grins­te Liz, »Jetzt müs­sen wir nur noch sein Seil fin­den, es sei denn, er könn­te die 20 m ein­fach her­un­ter­sprin­gen, oh­ne sich zu ver­let­zen.«

»Du darfst gern da­nach su­chen, aber ich den­ke, du wirst keins fin­den«, be­merk­te Korn tro­cken, »Er ist hier ein­ge­drun­gen, aber hat das Ge­bäu­de auf an­de­rem We­ge ver­las­sen!«

»Du siehst wie­der mehr als ich, oder?«, frag­te sie.

»Nein, Liz. Genau das ist näm­lich das Pro­blem!«

»Was meinst du?«

»Wenn er wie­der durch die Lüf­tung hier her­auf­ge­kom­men wä­re«, er­klär­te er, »müss­ten wir et­was se­hen, wor­an er sein Klet­ter­seil be­fes­tigt hat. Die­ses bil­li­ge Plas­ti­k­rohr hät­te ihn nicht ge­tra­gen, und das Alu­mi­ni­um­git­ter ist nicht ver­bo­gen. Da­ran konn­te er es al­so nicht be­fes­tigt ha­ben, weil wir dann we­nigs­tens ei­ni­ge Fa­sern se­hen müss­ten. Hier ist aber nichts, ab­ge­se­hen von sei­nem Spiel­zeug, dass er, be­vor er ver­schwun­den wä­re, wie­der mit­ge­nom­men hät­te.«

»Ist das ei­gent­lich zwang­haft?«, frag­te sie.

»Was meinst du?«, ant­wor­te­te er mit ei­nem kur­z­en Blick zu ihr.

»Das du im­mer recht ha­ben musst!«, lach­te sie.

»Ich ha­be nicht im­mer recht, Liz. Manch­mal ge­hört mir auch mal recht ei­ne ver­passt sagt Leo­nie«, lach­te er, »Es ist nur so das die Spu­ren, die ich se­he ei­ne lo­gi­sche Ge­schich­te er­zäh­len müss­ten. Das, was ich hier aber se­he, passt da ein­fach nicht rein. Selbst, wenn sich mei­ne Liebs­te, an ei­nem Seil wie­der hier her­aus­zie­hen wür­de, könn­ten wir da­für Spu­ren se­hen. Alu­mi­ni­um ist so hart, dass du mit dei­nem Fin­ger­na­gel dar­auf Krat­zer hin­ter­las­sen kannst. Wenn du ei­ne Per­son, mit mehr als 15 kg Ge­wicht, an ei­nem Seil da dran hängst, ver­biegt sich das wie Plas­tik. Es ist aber nicht ver­bo­gen, und dein Spiel­zeug hät­test du auch wie­der ein­ge­packt, an­statt es hier lie­gen­zu­las­sen. Heißt, es kann nicht so ge­we­sen sein!«, er­ör­ter­te er, als Ka­ry von un­ten hin­zu­kam.

»Du hat­test recht mit der An­la­ge«, be­rich­te­te Ka­ry, »Das Sys­tem könn­te ich mit ei­ner Haar­klam­mer über­lis­ten. Un­ser Dieb hat ein­fach nur das aus­ge­hen­de Si­gnal der La­ser mit dem An­kom­men­den ver­bun­den. Be­deu­tet, die An­la­ge dach­te, al­les ist Ok, ob­wohl ei­ne gan­ze Büf­fel­her­de durch­lau­fen konn­te. Ein ein­fa­cher Draht hat ihm aus­ge­reicht, weil ich die Kratz­spu­ren da­von ge­se­hen ha­be!«

»Hier ist dei­ne nächs­te Spur, Ka­ry«, sag­te Liz und deu­te­te auf die klei­ne Box auf dem Bo­den.

Sie sank vor­sich­tig auf die Knie und be­trach­te­te es von al­len Sei­ten oh­ne et­was zu be­rüh­ren. »Sieht aus wie ein di­gi­ta­ler Vi­deo­re­kord­er«, mur­mel­te sie, »Die Ka­bel hier ha­ben wohl das Si­gnal auf­ge­fan­gen. Dann hat er ei­ne Schlei­fe dar­aus ge­macht und lau­fen las­sen.«

Sie kram­te in ih­rem Werk­zeug­kof­fer, zog ei­ne dün­ne Plas­ti­k­röh­re her­aus, de­ren En­de wie ein wei­ßer Knopf aus­sah und da­zu einen klei­nen Bild­schirm. Dann steck­te sie die Röh­re ein und der Bild­schirm be­gann zu fla­ckern.

»Das ist ein op­ti­sches Te­le­skop«, er­klär­te sie stolz, »Da vor­ne ist ei­ne klei­ne Ka­me­ra mit Licht, die uns ge­nau zeigt, wo die Dräh­te hier hin­ge­hen«, als sie die schma­le Röh­re ne­ben den Ka­beln nach un­ten schob. Auf dem Bild­schirm sah man al­les ganz ge­nau.

»Voll­tref­fer!«, rief sie und deu­te­te auf den Bild­schirm in ih­rer Hand.

Die drei Agen­ten sa­hen, die Drah­ten­den in ei­nem wei­ßen Ka­bel ver­schwin­den, das da­hin­ter ab­ge­schnit­ten war. Ka­ry er­klär­te ih­nen »Er hat das Koaxi­al­ka­bel von den Ka­me­ras erst an­ge­zapft und auf­ge­nom­men, ei­ne Vi­deoschlei­fe oder ein Bild dar­aus er­stellt und dann wie­der dar­an ge­sen­det. Dann muss­te er nur noch das ei­gent­li­che Ka­bel der Ka­me­ra un­ter­bre­chen. So was könn­te ein Drei­jäh­ri­ger im Kin­der­gar­ten bas­teln!«

»Hier la­gert so viel Gold wie in der Vor­kam­mer von Fort Kn­ox und der Alarm stammt aus der Zeit von Karl des Gro­ßen«, schimpf­te Liz, als sie ge­gen das Git­ter der Lüf­tung trat.

»Sieh es po­si­tiv. Wir müs­sen jetzt nur noch her­aus­fin­den wie El­vis das Ge­bäu­de ver­las­sen hat«, ent­geg­ne­te Korn und leg­te ihr sanft die Hand auf die Schul­ter.

»Scot­ty hat ihn auf die En­ter­pri­se ge­be­amt!«, wü­te­te Liz.

»Ru­hig blei­ben. Du bist doch sonst nicht so leicht auf­zu­re­gen. Gibt es da et­was, was das Fuß­volk nicht von der Queen weiß?«, frag­te Mi­cha­el.

Liz schüt­tel­te hef­tig den Kopf. Ka­rya­ni sah kurz zu ihr und be­stä­tig­te dann »Es gibt drei Mög­lich­kei­ten. Ent­we­der hat Liz ge­ra­de Erd­beer­wo­che, ist schwan­ger oder die­se Cor­tez war zu viel heu­te Mor­gen!«

Mi­cha­el lach­te, als er sag­te »Mög­lich­keit eins und zwei kön­nen wir aus­schlie­ßen Ka­ry. Erd­beer­wo­che hat­te Liz erst letz­te Wo­che, was gleich­zei­tig be­deu­tet, sie kann kaum schwan­ger sein. Bleibt al­so nur noch die­ses mie­se Frücht­chen Cor­tez!«

»Wo­her weißt du, wann Liz ih­re Ta­ge hat?«, staun­te Ka­ry mit of­fe­nem Mund.

»Mei­ne lie­be Ka­rya­ni, dei­ne be­gin­nen nächs­te Wo­che. Liz be­täubt ih­re Krämp­fe mit Ta­blet­ten, die sie letz­te Wo­che des Öf­te­ren ge­schluckt hat, au­ßer­dem schleppt sie in ih­rem großen Rei­se­kof­fer, den sie im­mer da­bei hat, un­zäh­li­ge klei­ne Wat­te­stäb­chen mit sich her­um. In­ter­essan­ter­wei­se wech­selt sie die­se auch mehr­mals am Tag, wenn sie auf die Toi­let­te ver­schwin­det, so cir­ca al­le zwei Stun­den in der Re­gel. Wir sind jetzt be­reits seit sechs Stun­den un­ter­wegs und sie war noch nicht ein­mal ver­schwun­den. Soll ich wei­ter ma­chen?«, lach­te er.

»Nein, schon OK«, bat Ka­rya­ni, ehe Liz sich ei­ne Be­mer­kung nicht ver­knei­fen konn­te »Oh, dann hat Mi­ke nächs­te Wo­che Ru­he­pau­se!«

»Ru­he­pau­se? Ein gu­ter Pi­rat sticht auch ins Ro­te Meer!«, grins­te sie und Liz muss­te laut la­chen. Mi­cha­el aber mur­mel­te nur lei­se vor sich hin und wie­der­hol­te »Meer«. Plötz­lich rief er »Das ist es!«

So­fort woll­te er von Mi­ke wis­sen »Mi­ke, auf dem Plan konn­te ich im Kel­ler ver­schie­de­ne Stel­len fin­den, die mit Was­ser ge­kenn­zeich­net sind. Was ist da?«

»Das sind Höh­len die schon ewig un­ter Was­ser lie­gen, warum?«, frag­te er über den Funk­sen­der.

»Gibt es da bei ei­nem oder meh­re­ren ei­ne Ver­bin­dung zum Meer?«, kam so­fort als Ge­gen­fra­ge.

»Gib mir ei­ne Se­kun­de«, bat Mi­ke.

Wäh­rend­des­sen er­klär­te Mi­cha­el »Wenn die­se Höh­len einen Zu­gang zum Meer ha­ben, ist er dar­über ver­schwun­den. Ent­we­der hat er ein klei­nes Atem­ge­rät mit­ge­nom­men oder vor­her ei­ne Tau­cher­aus­rüs­tung dort ver­steckt!«

Dann rief auch schon Mi­ke »Bin­go! Es gibt wirk­lich zwei Zu­gän­ge durch die Höh­len ins Meer. Al­ler­dings sind die Stre­cken re­la­tiv weit.«

»Dann müs­sen wir nur noch her­aus­fin­den wie er auf das Dach ge­kom­men ist, mei­ne Kö­ni­gin«, lä­chel­te Mi­cha­el und schiel­te zu Liz.

»Dei­ne Kö­ni­gin«, lach­te Liz ihn an, »sitzt ge­ra­de bei Mi­ke mein Lie­ber, aber du hast, wie im­mer na­tür­lich Recht!«

Zu­sam­men lie­ßen sie das Dach hin­ter sich und folg­ten den Trep­pen bis ins Foy­er. Oh­ne wei­te­ren Um­weg gin­gen sie nach drau­ßen vor das Mu­se­um. Liz ent­schied das Ge­bäu­de zu um­run­den und auf Spu­ren zu hof­fen. Die klei­nen Stra­ßen rund um das Mu­se­um wa­ren mitt­ler­wei­le über­lau­fen von Schau­lus­ti­gen und den An­woh­nern die an ih­ren Stän­den an die­sen Ta­gen einen bes­se­ren Um­satz mach­ten als sonst in ei­nem Mo­nat. Wie aus dem nichts rief Ka­ry »Da!«, und zeig­te mit ih­rem Arm auf die weiß ge­tünch­te Back­stein­wand. Sie hat­ten ih­re Spur ge­fun­den. Die Far­be war in ei­nem klei­nen Be­reich im hin­te­ren Teil des Mu­se­ums an den Kan­ten der Stei­ne weg ge­platzt. Die­se klei­nen rost­brau­nen Stel­len bil­de­ten fast ei­ne senk­rech­te Li­nie hin­auf.

»Wir ha­ben ge­nug ge­se­hen!«, ent­schied Liz, »Hier ist er hoch­ge­klet­tert und dann rein.«

Mi­cha­el nick­te und sprach »Mi­ke, durch­such die Da­ten­ban­ken nach Kun­sträu­bern. Un­ser Tä­ter ist sehr schlank, kann aus­ge­zeich­net klet­tern, ist tech­nisch be­gabt und hat mög­li­cher­wei­se Er­fah­rung im Ap­noe­tau­chen!«

Das Ikarus Puzzle

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