Читать книгу Das Ikarus Puzzle - Matthias Boden - Страница 18
12. Kapitel Vereinigte Staaten, Los Angeles (CA)
ОглавлениеDer Tag an der Westküste der USA begann mit leichtem Nieselregen, der den Ozongeruch in der Luft verteilte. Die letzte Phase von Fireflys Plan stand an. Leicht Nervös zog er seine Bahnen durch den Pool der Hotelanlage. Sein tägliches Training war seit Jahren feste Routine und die körperliche Fitness war für seine Aufgabe wichtig. Kurz vor der Mittagszeit nahm er eine entspannende Dusche in seinem Zimmer. Danach überprüfte er seine Tasche ein weiteres Mal. Bereits am Vorabend hatte er sie vorbereitet, um Einsatzbereit zu sein. Während seines Trainings war er in Gedanken den genauen Ablauf öfter durchgegangen. Fehler waren keine Option, denn die würden Bedeuten, dass er entweder im Gefängnis landete, oder noch schlimmer in der Gerichtsmedizin mit einem Zettel am großen Zeh.
Nach einem kurzen Mittagessen zog er sich für einen längeren Spaziergang in ein nahe gelegenes Erholungsgebiet zurück. Am späten Nachmittag kehrte er in sein Hotelzimmer ein und legte sich in das frisch bezogene Bett. Vor morgen Abend würde er nicht mehr zu einer Ruhepause kommen. Wenige Minuten nach 22 Uhr stand er für seinen längeren Arbeitstag auf. Fast automatisch führte ihn sein Weg zu seiner Tasche, die er ein letztes Mal checkte. Alles war vorbereitet und seine Anspannung stieg von Minute zu Minute weiter an, als er ein kleines Abendbrot einnahm.
Nach Mitternacht stieg er in der Tiefgarage in seinen Mietwagen, den er unter falschem Namen angemietet hatte, und fuhr in die Außenbezirke der Metropole. Dort lebte der eigentliche Mitarbeiter des Unternehmens der den Transport von "Big Blue" begleiten sollte in einer unscheinbaren kleinen Behausung. In dieser Gegend wohnte man nicht freiwillig, wenn man es vermeiden konnte. Die Kriminalitätsrate in diesem Viertel lag weit höher als in den hintersten Straßen von Los Angeles, in die sich nicht einmal mehr die Polizei traute. Seit Jahren tobten Bandenkriege in diesen Straßen und die häufigste Todesursache war Mord. Insgesamt kämpften fünf rivalisierende Drogenbanden um die Vormachtstellung.
Der hohe Drahtzaun um das Grundstück bestand fast nur noch aus Lücken. Das kleine Holzhaus war nahe am restlosen Verfall. Firefly wartete nach seiner Ankunft weit nach unten gerutscht in seinem Sitz und beobachtete die nähere Umgebung. Nur wenige Menschen waren noch auf der Straße zu sehen, die in aller Ruhe ihren Drogenbestand bei den jugendlichen Dealern auffüllten, um dann wieder in der nächtlichen Schwärze zu verschwinden. Er passte einen ruhigen Moment ab, als gerade niemand in der Nähe zu sehen war, schulterte seine Tasche und schlich zum hinteren Fenster des schäbigen Hauses. Einige Fensterscheiben waren bereits eingeschlagen und mit farbigen Graffitis beschmiert.
In das Gebäude einzudringen würde selbst eine kränkliche alte Frau in ihrem Rollstuhl schaffen, ohne sich zu überanstrengen. Durch ein großes Loch in der Scheibe entriegelte er das Fenster zur vergilbten Küche. Die Türen der meisten Schränke schlossen schon seit Ewigkeiten nicht mehr richtig, während andere schräg in den Raum ragten oder bereits gänzlich fehlten. Leise zog er sich am schlecht sitzenden Rahmen des Fensters nach oben und stieg in den modrig riechenden Raum. Einige Augenblicke verharrte er regungslos in der Dunkelheit, bis sich seine Augen an das wenige Licht gewöhnen konnten und hörte in die Umgebung. Alles war völlig still bis auf ein leises Schnarchen, das vom Schlafzimmer her an sein Ohr drang. Vorsichtig schlich er auf Zehenspitzen zu der abgewetzten Tür am Ende des Ganges. Sie war nicht einmal verschlossen, sondern nur bis auf einen kleinen Spalt zugeschoben. Besser hätte er es sich gar nicht wünschen können.
Firefly schob die Tür nach innen einige Zentimeter auf und spähte in den dunklen Raum. Direkt links der Tür erstreckte sich das Bett bis zur Wand und vor ihm stand ein klobiger Schrank, dessen finsteren Umrisse bedrohlich wirkten. Der süßliche Geruch von Cannabis vermischte sich mit einem schweren Hauch von Alkohol in der feuchten Luft. Sein Opfer Matthew Branshaw lag noch halb angezogen auf dem Bett. Zugedröhnt mit Drogen und Alkohol war er in einen tiefen Schlaf gesunken. Die rote LED Anzeige seines Weckers verkündete die Uhrzeit. Es war 20 Minuten nach 3 am Morgen, als Firefly mit der kleinen Gaskartusche aus seinem Rucksack neben das Kopfende des Bettes trat. Der kleine Gummischlauch endete in einer Atemmaske aus Plastik, die er Matthew mit einigen Zentimetern Abstand vor das Gesicht hielt. Er öffnete den Hahn und ließ das Kohlenmonoxid ausströmen. Einige Sekunden später glitt der schlafende Wachmann in eine tiefe Bewusstlosigkeit. Firefly presste dann die Atemmaske direkt auf dessen Gesicht und wartete geduldig, bis das Gas aufgebraucht war. Matthew Branshaw war im Schlaf erstickt.
Firefly steckte die Gaskartusche mit der Atemmaske wieder in seinen Rucksack und verließ das Gebäude auf dem Weg, den er gekommen war. Ungesehen kehrte er zu seinem Mietwagen zurück und fuhr wieder in die Millionenstadt Los Angeles. Für einen Tag würde er jetzt die Rolle von Matthew Branshaw übernehmen, um seinen nächsten Raub durchzuführen. Er stellte seinen Mietwagen einige Straßen entfernt vom Parkplatz der Sicherheitsfirma ab. Wie bei seinem ersten Besuch gelangte er ungesehen zu dem Fahrzeug mit der Nummer 2803, öffnete mit seinem nachgemachten Schlüssel die hintere Tür und schlüpfte hinein. Sein kleiner Einbau im Frachtraum war unbemerkt geblieben, wie er an der unversehrten Klebefläche bemerkte. Er hatte feuchte Hände, als er die kleine rechteckige Kachel aufhebelte um seine Kopie von "Big Blue" und eine kleine Tube mit Kleber darin versteckte. Zusätzlich drückte er ein kleines Pick Set in das weiche Schaumgummi. Danach verschloss er die Öffnung und das Fahrzeug wieder ordnungsgemäß und schlich vom Parkplatz.
Jetzt waren alle vorbereitenden Schritte für seinen großen Coup abgeschlossen. Zufrieden begab er sich in ein nahe gelegenes Diner, trank gemütlich einen lauwarmen Kaffee und biss in ein belegtes Brötchen. Kurz vor Schichtbeginn wechselte er im Zwielicht seines Wagens die Kleidung. Die Uniform, die er in mehreren Einzelteilen besorgt hatte, passte zu ihm. Frisch umgezogen erreichte er das Büro des Sicherheitsdienstes, für den er heute eine Tour übernehmen würde. Die einzige Aufgabe war der Transport des Saphirs "Big Blue" vom Los Angeles County Museum of Art zum Flughafen. Mit seiner Plastikkarte, die das System sofort akzeptierte, wies er sich als Matthew Branshaw aus, dessen Aufgabe die Begleitung des Saphirs im Frachtraum des Transporters vorsah.
Zusammen mit seinen Kollegen, die für den Einsatz ausgewählt waren, betrat er ein weiteres Mal den Parkplatz und steuerte auf den von ihm präparierten Transporter zu. Davor warteten bereits einige Kollegen, die jeden Mitarbeiter gründlich durchsuchten, die an dem Transport beteiligt waren. Als er die Überprüfung hinter sich hatte, wurde er in dem Frachtraum des Transporters eingeschlossen. Nachdem auch die anderen Mitarbeiter durchsucht waren und im Fahrzeug saßen, setzte sich das Fahrzeug langsam in Bewegung. Durch das kleine Fenster auf der gegenüberliegenden Seite seines Plastiksitzes sah er die Straßenzüge von Los Angeles vorbeiziehen. Er lächelte still in sich hinein. Vor dem Los Angeles County Museum of Art blieb der Transporter an einem Rolltor im hinteren Bereich stehen. Die hinteren Türen wurden wieder geöffnet und Matthew Branshaw stieg nach draußen.
Mitarbeiter des Museums trugen einen Holzsockel heraus und luden ihn in den Frachtraum. Sie verzurrten das Gepäck fest auf dem Boden des Fahrzeugs. Dann wurden die Fahrer und er einer weiteren Überprüfung unterzogen. Alles war in Ordnung und wie bereits zuvor wurde Firefly erneut im Frachtraum eingeschlossen. Dieses Mal allerdings mit dem Auftragsobjekt, verpackt in einer kleinen Holzkiste vor sich. Wenig später fuhr der Transporter an, was für ihn das Signal war seine Arbeit zu beginnen.
Firefly kniete sich neben die Holzbox und erkannte ein einfaches Vorhängeschloss, das fest verschlossen seitlich baumelte. Mit seinem Kugelschreiber aus der Brusttasche hebelte er sein eingebautes Versteck auf und zog das Pick Set heraus. Dann widmete er sich dem Schloss. Er hatte einige Mühe, den Schließzylinder zu öffnen. Normalerweise halten die Schlösser auch still, aber dieses schaukeln durch die Fahrt, erschwerte die Arbeit. Irgendwann hatte er es aber doch geschafft und entfernte das Schloss. Vorsichtig zog er die Kiste auf und erstarrte. Der Saphir "Big Blue" wurde zusätzlich durch eine massive Metallkassette vor unbefugten Zugriff geschützt. Er hatte nicht damit gerechnet, noch eine verschlossene Box vorzufinden, die in dicht gepackter Holzwolle gelagert war. Ein kurzer Blick auf seine Armbanduhr zeigte ihm an, dass er nur noch knapp 40 Minuten Zeit haben würde bis sie den Flughafen erreichten. Wieder hantierte er mit seinem Pick Set an dem Verschluss der Kassette. Die Zeit verrann zusehends, als er nach gefühlt endlosen Minuten den Zylinder aufdrehen konnte. Der Schweiß lief ihm in Strömen von der Stirn in seine Augen hinein und hinterließ ein feuriges Brennen. Mit zittrigen Fingern öffnete er die Box und zog "Big Blue" aus einem Samtbeutel heraus. Aus seinem Versteck im Frachtraum nahm er die Kopie und steckte sie in den Beutel. Den Echten presste er in den Schaumstoffmantel seines Hohlraumes. Dann verschloss er die Kassette, presste sie in die Holzwolle der Kiste zurück und legte das Vorhängeschloss wieder an. Sein Herzschlag setzte einige Schläge aus, als der Transporter zum Stillstand kam. Ängstlich warf er einen kurzen Blick aus dem Fenster. Der Transporter musste an einer Ampel halten.
Er atmete tief durch und warf erneut einen Blick auf seine Uhr. Nur noch knapp 10 Minuten würden ihm bleiben.
So schnell er konnte, sammelte er die Fasern der Holzwolle zusammen, die aus der Kiste gefallen waren und versteckte sie in seinem Hohlraum. Er entnahm die darin verborgene Tube und drückte sich den Inhalt auf den Zeigefinger seiner linken Hand. Dann ließ er die leere Plastikhülle wieder in seinem Versteck verschwinden. Vorsichtig und so genau wie möglich legte er die Kachel wieder auf und verstrich den Klebstoff auf seinem Finger um die Ränder. Flink wie ein Wiesel arbeitete er unter diesem Zeitdruck so genau wie möglich, bis die Lücke wieder verschlossen war. Mit der Spitze seines Kugelschreibers formte er in Windeseile die Konturen nach. Ein letzter prüfender Blick musste genügen, bevor er sich den restlichen silbernen Klebstoff an einem Taschentuch abwischte und es wieder in seiner Hose verschwinden ließ. Mit einem zweiten Tuch aus Zellstoff wischte er sich den Schweiß von der Stirn und sank auf seinen Stuhl zurück.
Wenig später erreichte der Transporter das Rollfeld und kam vor einer wartenden Maschine zum Stillstand. Die hintere Tür wurde geöffnet und Firefly stürzte sich ins Freie. Der leichte Wind brachte ihm eine kleine Abkühlung. Im Frachtraum des Fahrzeugs war es extrem stickig gewesen und durch den schwarzen Außenlack heizte sich die Kabine im inneren sehr schnell auf. Keiner seiner Kollegen beneidete ihn um diesen Job, denn sie alle wussten, wie man sich da drin eingesperrt fühlte.
Ein letztes Mal musste er eine Durchsuchung über sich ergehen lassen bevor die Holzbox aus dem Fahrzeug geholt wurde. Zwei Mitarbeiter des Besitzers trugen sie in die wartende Maschine und schlossen dann die Tür. Man reichte ihm eine kleine gekühlte Plastikflasche mit stillem Mineralwasser. Firefly nahm einige tiefe Schlucke und schüttete sich einen kleinen Schwall des kalten Wassers über das Gesicht, um sich zu erfrischen. Das Adrenalin pumpte durch seinen Körper, als er wieder im Frachtraum eingeschlossen wurde und sich das Fahrzeug auf den Rückweg machte. Mit nachlassender Aufregung sah er die Maschine in den Himmel steigen, die seine Fälschung nach New York bringen würde. Bis man den Austausch bemerken würde wäre er bereits über alle Berge und um ein Verhör durchzuführen, müsste man die Leiche von Matthew Branshaw befragen. Auch seinen Mietwagen würde man nur verlassen und teilweise zerlegt in einer Seitenstraße in Los Angeles finden.
Nachdem der Transporter mit der Nummer 2803 wieder ordentlich verschlossen auf dem Parkplatz stand, hatte Firefly eine kurze Ruhepause, die er für ein anständiges Essen und eine heiße Dusche nutzte. Langsam senkte sich die Sonne hinter den Horizont und die Dunkelheit legte sich wie ein leichter Schleier über die Stadt. Firefly nahm seinen Rucksack und fuhr mit seinem Mietwagen wieder an denselben Platz, an dem er vorher bereits geparkt hatte. Versteckt schlich er sich erneut auf den Parkplatz. Mit seinem nachgemachten Schlüssel öffnete er die hintere Tür und kletterte hinein. Ohne Umweg begab er sich neben der Kachel auf die Knie und hebelte sie auf. Sofort fiel ihm "Big Blue" in seiner Hülle eingepackt entgegen. Er hob ihn auf und packte ihn in seinen Rucksack. Das Loch verschloss er wieder notdürftig mit ein bisschen Klebstoff, damit man es nicht sofort sehen konnte. Firefly war von einem Hochgefühl aufgeputscht, als er den Wagen 2803 abschloss und zu seinem Mietwagen zurückkehrte. Er hatte seinen zweiten Job erfolgreich erledigt und war um ganze 3 Millionen reicher.
Den Mietwagen steuerte er zu einem der übelsten Viertel der ganzen Stadt und parkte ihn in einer Seitenstraße. Dort ließ er ihn einfach unverschlossen stehen und stieg in ein Taxi, das ihn zurück in sein Hotel brachte. In seinem Zimmer griff er zum Telefon und bestellte an der Rezeption ein weiteres Taxi, was ihn zu einer Mietwagenfirma bringen sollte. Dort mietete er einen weiteren Wagen unter seinem richtigen Namen und bat darum, es zwei Tage später in San Diego zurückgeben zu dürfen. Die Verleihfirma sah darin nicht das Problem und händigte ihm die Papiere sowie den Schlüssel zu einem Mercedes der M Klasse aus. In der Tiefgarage übernahm er den Wagen und fuhr zurück in sein Hotel. In seinem Zimmer packte er seinen großen Reisekoffer und verließ sein Zimmer. Die Schlüsselkarte legte er auf einen Wagen, der in einer Nische des Hotelflurs stand. Der Roomservice würde sie am Morgen dort finden und da er bis 10 Uhr das Zimmer sowieso räumen musste, war er bereits in der Nacht abgereist. Firefly fuhr mit dem Fahrstuhl zurück zu seinem Mietwagen. Das Gepäck warf er in den Kofferraum des Geländewagens und startete seine Fahrt nach San Diego.