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1. Kapitel Bahamas, Nassau
ОглавлениеDer laue Westwind streichelte den fast weißen Sandstrand, an dem Michael Korn und Leonie Keller ihre Decke ausgebreitet hatten und ein kleines Picknick genossen. Ihr zweistöckiges Haus, das sie gebaut hatten, war endlich bereit, die beiden aufzunehmen. Die neue Küche, die sich Michael ausgesucht hatte, weil er das Kochen übernahm würde in knapp zwei Stunden geliefert werden. Er hatte sie in der Schweiz anfertigen lassen und dann, sauber in einem Container verpackt, mit dem Schiff anliefern lassen. Zusammen hatten sie dafür fast eine halbe Million bezahlt. Schon heute Abend könnten sie ihre erste Mahlzeit in ihrem neuen Heim zu sich nehmen.
Sie hatten sich an das Leben in Nassau gewöhnt, seit sie ihr Büro hier eingerichtet und Liz die Bahamas, als ihre Basis, ausgewählt hatte. Seit ihrem letzten Fall, der intern nur "Projekt Lucien" genannt wurde, waren erst einige Monate vergangen. Das gesamte Team hatte hier in Nassau eine neue Heimat gefunden. Leonie und Michael waren in den letzten Tagen kaum mehr im Büro gesehen worden. Liz, die Anführerin, hatte die beiden nahezu verbannt, um ihr gemeinsames Domizil bezugsfertig zu machen. Inzwischen waren die beiden kaum mehr voneinander zu trennen. Korn hatte sich seit er mit ihr zusammen war, ernsthaft bemüht freundlicher zu werden. Gegenüber dem Team gab es so gut wie keine Klagen mehr. Karyani, die Verlobte von Mike Banks, hatte dafür den Begriff "Leoniefiziert" erfunden. Sie hatte ihn gezähmt, zumindest gegenüber des Teams. Bei Außenstehenden war er immer noch wegen seiner Art gefürchtet. Allerdings wollte das keiner mehr ändern, auch Leonie nicht.
Sie biss gerade herzhaft in ein frisches Brötchen, als sie ihn kauend fragte »Was kochst du uns denn als Erstes heute Abend?«
»Deine heiß geliebten gefüllten Pfannkuchen, mein Herz«, lächelte er sie verliebt an.
»Jaaa«, freute sie sich, »Eine ganze Schüssel nur für mich!«
»Dann muss ich mindestens sieben Schüsseln machen«, grinste er, als er anfügte, »Für jede Person eine!«
Michael hatte seiner geliebten Freundin verschwiegen, dass er das ganze Team eingeladen hatte, um eine kleine Einweihungsfeier zu geben.
»Du hast alle eingeladen?«, fragte sie.
»Das gesamte Team plus Bernand und Jason werden da sein«, bestätigte er.
Sie warf spielerisch die Arme in die Luft und jubelte, wie wenn sie bei einem wichtigen Fußballspiel ein Tor erzielt hätte. Er liebte diese kindliche Freude an ihr und bereitete dafür immer wieder Überraschungen vor. Jeden Tag versuchte er aufs Neue ihr Herz zu erobern, was gar keine schwere Aufgabe war. Es war ihm wichtig, ihr immer wieder zu zeigen, dass er sie nicht als selbstverständlich betrachtete. Tief drin verspürte er noch die Angst, sie zu verlieren, wenn er sich nicht anstrengte. Leonie wusste das natürlich, obwohl sie ihm versuchte diese Furcht zu nehmen.
Im Büro des Interpolteams brüteten die beiden Verlobten Banks und ihre Chefin derweil über ihren Berichten. Der letzte Fall war ein Kinderspiel gewesen. Chi Park, der Nachfolger Bernands, hatte sie auf einen Drogenring angesetzt, der in Italien operierte. Sie benötigten nicht mal eine ganze Woche dafür. Liz war in Hochform und fand nicht nur die Verteiler, sondern noch die gesamten Drogenküchen. Es ärgerte sie, dass nach jeder kleinen Aufgabe dieser Papierkrieg stattfand.
»Park müsste uns eine Sekretärin schicken«, haderte Liz, »für die ganze Schreibarbeit, die wir hier erledigen sollen!«
»Unsere Hauptaufgabe ist es Papier zu verhaften!«, scherzte Karyani und lachte.
»Man kann eben nicht jeden Tag eine Bundeskanzlerin verhaften, Liz. Auch wenn es mal wieder an der Zeit wäre, einen dicken Fisch zu fangen!«, grinste Mike sie an.
Die Verhaftung im Deutschen Bundestag hatte weltweit für Aufsehen gesorgt. Alle Medien berichteten in Einzelheiten darüber, was Liz und ihr Team erledigt hatten. Allerdings mochte sie es nicht, dass man ihr die Lorbeeren dafür anheftete. Das ganze Team hatte hart daran gearbeitet diesen Fall abzuschließen. Deren Beteiligung verschwieg man in der Presse nahezu komplett. Liz fand das nicht fair, denn alleine hätte sie diesen Auftrag nicht erledigen können. Sie schätzte die Arbeit von Michael, Leonie, Mike und Karyani weit höher ein als ihre eigene. Korn war das egal gewesen, als sie mit ihm darüber gesprochen hatte. Seine Antwort war »Ich habe, neben der tollsten Frau der Welt, ein Leben bekommen Liz. Den Ruhm dürft ihr unter euch aufteilen!«
Bei dem Gedanken daran musste sie lachen. Michael hatte großartige Arbeit geleistet und dafür etwas bekommen, das man in seinen Augen mit nichts aufwiegen konnte. Außerdem hatte es dazu geführt, aus diesem Haufen eine Einheit zu machen. Wer hätte gedacht, dass man aus drei Verbrechern, einem verbitterten Bodyguard und einer kleinen Polizistin ein hervorragendes Team machen könnte.
Der Tag neigte sich langsam dem Ende entgegen. Die drei Agenten machten sich auf den Weg nach Hause, um sich für die anstehende Einweihungsparty bei Michael und Leonie fertig zu machen. Deren Küche war inzwischen angeliefert und aufgebaut worden. Michael hatte bereits begonnen das Essen zu bereiten, während Leonie den Tisch eingedeckt hatte und sich danach entspannt auf das Sofa zurückzog, um Sachbücher zu lesen, die sie von Francois Pierlot aus Lyon erhalten hatte. Der Waffenwart von Interpol in Frankreich war begeistert die junge Leonie auszubilden. Immer wieder flog sie zurück nach Lyon, um dort noch besser zu werden als sie ohnehin schon war. Selten wurde sie dabei von Michael begleitet, der in Nassau bleiben musste, während ihr gemeinsames Haus gebaut wurde.
Kurz vor 18 Uhr klingelte es an ihrer Tür. Leonie, die sich inzwischen von ihren Büchern getrennt hatte, öffnete den ersten Besuchern, die eingeladen waren. Liz stand zusammen mit ihrem Verlobten Jason am Eingang. Zur Begrüßung umarmten sie sich und auch Korn verließ die neue Küche, um die Gäste willkommen zu heißen. Er stand mitten im Raum und sah zum Schiessen aus mit seinen, natürlich schwarzen Klamotten, um die er sich eine beige Kochschürze gebunden hatte und Spuren von Mehl im Gesicht trug.
»Typisch, wenn es was zu fressen gibt, taucht als Erstes das britische Königspaar auf!«, lachte er und umarmte die kleine Chefin des Teams. Ihrem Verlobten reichte er die Hand und entschwand dann, mit einer leichten Verbeugung wieder in der Küche. Im ganzen Haus roch es bereits nach leckerem Essen, was die Mägen der anwesenden mit einem kurzen Knurren quittierten. Liz sah sich in dem neu gebauten Haus um und konnte ihr staunen nicht verbergen. Das Paar hatte sich ein schmuckes Heim erbaut. Direkt hinter der Eingangstür erstreckte sich ein offener Wohnraum, der über eine Schiebetür auf eine Terrasse aus hellen Holzbohlen führte. Rechts davon führte eine freischwebende Treppe aus dunkel eloxiertem Stahl in die obere Etage hinauf. Links war die Tür zur Küche, in der Michael an der Kochinsel hantierte, die in der Mitte des Raumes stand. Hinter ihm waren dunkle Schränke, die Kochutensilien verbargen, und weitere Geräte untergebracht, die zwischen der hellgrauen Granitarbeitsplatten einen großartigen Kontrast ergaben. Zum Wohnzimmer hin war die Wand offengelassen worden, auf der eine ebenfalls graue Granitplatte als Theke diente. Rechts stand ein Kaffeevollautomat darauf. Direkt daneben war ein Regal in die Wand integriert, indem sich Tassen und Löffel stapelten. Vor der Theke hatten vier höhere Barhocker aus Mahagoni Platz gefunden.
Das riesige Wohnzimmer bot der Tafel, die Leonie vorbereitet hatte, genügend Platz. Mit genügend Abstand davon fand sich das große weiße Sofa, vor dem ein Beistelltisch stand. Die Stirnwand des Raumes beherbergte den großen Flachbildschirmfernseher des Paares. Links davon, an den Fenstern angrenzend, lag das geräumige Badezimmer. Der gesamte Boden des unteren Bereiches war mit cremefarbenen Platten bedeckt, in der sich die letzten Strahlen der untergehenden Sonne spiegelten. Der Anblick war atemberaubend. Jason und Liz erkundeten zusammen mit Leonie das neue Heim und überhörten fast die Türklingel. Karyani und Mike waren eingetroffen die sich, nach der freudigen Begrüßung, ebenfalls alles anschauten. Als Letzter stand um kurz nach 18 Uhr Bernand Roussel in der Tür, der eine kleine Holzkiste unter dem Arm trug.
»Dürfte ich das britische Königspaar, die goldene orientalische Schönheit mit dem Ami, und den Froschschenkel an den Tisch bitten?«, rief Michael aus der Küche, »Meine bezaubernde Traumfrau freut sich bereits den ganzen Tag auf das Essen, was in diesem Moment serviert werden könnte!«
»Wir sind unterwegs Liebling!«, rief Leonie und ging mit den anderen zurück.
Als sich alle an der Tafel versammelt hatten, servierte Michael das Essen und nahm neben seiner Freundin Platz. Dann wandte er sich den Gästen zu und sagte »Danke für den Überfall ihr Lieben! Lasst es euch schmecken, das Beschwerdebuch lasse ich anschließend herumgehen. Lesen werde ich es natürlich nicht, ich benötige das Papier, um nach dem Dessert das Feuer auf der Terrasse anzuzünden.«
Alle lachten zusammen und genossen das Essen. Michael hatte immer noch die Spuren des Mehls im Gesicht, die Leonie während der Mahlzeit versuchte zu entfernen.
Liz fragte Leonie etwas schüchtern »Was habt ihr denn für das Haus bezahlt?«
»Nicht besonders viel«, wehrte sie ab, »Alles zusammen waren es vier Millionen, der Küchenchef war schon im Preis mit drin!«
»Das merkt man«, lachte Jason, »wahrscheinlich haben sie den aus einer üblen Hafenkneipe rekrutiert!«
Lachend merkte Michael an »Frau Königin, ihre Leibstandarte hat eine nette Art, um eine Tracht Prügel zu bitten!«
»Ich weiß«, bestätigte Liz und bedachte ihren Verlobten mit einem gespielt bösen Blick von der Seite, »Wenn ich nicht wüsste, dass ihr beiden euch gut versteht, hätte ich Angst, das er dir den Kopf einschlägt!«
»Ich mich mit dem verstehen?«, fragte Jason beleidigt, »Soweit kommts noch!«, lachte er und reichte Michael die Hand.
Korn drückte Jasons Hand kurz »Jason trainiert kleine englische Kräuterhexen«, grinste Michael, »Ich halte mich da eher an die zarten Elfen der Abteilung 7,62 mm!«, und küsste seine Leonie.
»Sind die vier nicht süß«, lachte Karyani laut auf.
Bernand Roussel, der das alles, ohne eine Miene zu verziehen erlebte, sagte in die Runde »Hätte vor einem halben Jahr noch jemand zu mir gesagt, ich würde mal mit meinem Team und einem britischen Kneipenbesitzer an einem Tisch sitzen, während Michael Korn Leonie küsst und Scherze macht, wäre er erschossen worden!«
»Bernand, fürs Schießen ist meine Liebste zuständig«, erinnerte ihn Korn, »Du würdest auf 3 m Entfernung nicht mal einen Elefanten treffen!«
Alle waren am Lachen, selbst Bernand konnte seine ernste Miene nicht mehr halten. Es war kein großes Geheimnis, dass sich der ehemalige Interpolchef beim Zielen nicht mit Ruhm bekleckerte. Roussel war eher der Schreibtischtäter, der seine Stärke im Delegieren hatte. Böse Zungen behaupteten sogar, die Waffe, die er bei sich getragen hatte, als er noch im Dienst war, bestand zu 97 % aus Latex, die mit Draht verstärkt war, damit sie nicht wie Wackelpudding zitterte, wenn er sie zog.
Michael brachte die leeren Teller zurück in die Küche und rief »Keiner verlässt den Raum! Das Dessert kommt sofort!«
Die Gäste staunten nicht schlecht, als er mit kleinen Tellern zurückkehrte, auf denen ein größerer hellgelber Muffin lag, der mit Puderzucker bestäubt war. Er verteilte den Nachtisch an die Gäste und erklärte »Das sind Lavacakes die gerade den Ausbruch vorbereiten, also gebt ihnen noch ein bisschen Zeit, bevor ihr sie verschlingt!«
Der Kuchen, der vor Mike auf dem Tisch stand, platze als erster oben auf und ein Strom aus flüssiger dampfender Schokolade ergoss sich über die Hülle. Nacheinander gaben auch die anderen ihren Inhalt frei. Als der Kuchen vor Leonie seinen flüssigen Kern nach oben hin auswarf, wurden ihre Augen immer größer. In ihrem war ein goldener Ring versteckt. Gerade als sie ihn vorsichtig mit der Kuchengabel herausfischen wollte, sank neben ihr Michael Korn auf die Knie, nahm ihre Hand und sprach mit verliebter Stimme »Lea Emanuelle Enis, beziehungsweise Lea Taylor, Laura Klausen oder jetzt Leonie Keller, in den letzten Monaten hast du einen völlig anderen Menschen aus dem Scheusal, was hier vor dir kniet, gemacht und mir so viel Leben geschenkt das ich dich hier und jetzt fragen möchte, ob du meine Frau werden willst!«
Einige Sekunden war es komplett still, sogar die Vögel hatten ihr Gezwitscher kurz eingestellt bis Leonie mit leiser krächzender Stimme ein sanftes »Ja« herausbrachte. Dann fiel sie ihrem Michael um den Hals und küsste ihn. Ihre Gäste spendeten heftigen Applaus. Als die beiden sich voneinander gelöst hatten, wurden sie mit Glückwünschen überhäuft. Liz war die Letzte, die vor Michael stand, um zu gratulieren, als sie ihn mit einem kurzen Blick zu Leonie in den Arm nahm und ihm sogar einen kleinen Kuss aufdrückte. Dann drückte sie Leonie an sich und flüsterte ihr ins Ohr »Lass den Arsch nie wieder los. Der gehört jetzt dir alleine!«
»Glaub mir, den behalte ich mein Leben lang!«, flüsterte sie leise.
Michael hatte den goldenen Ring für sie abgespült. Dann nahm er vorsichtig ihre Hand und sprach »Ein Ring sie zu lieben und zu verehren!«, als er das Schmuckstück auf ihren Finger schob.
Leonie antwortete scherzhaft »Ein Ring ihn zu knechten! Aber wo ist der Ring für dich Schatz?«
»Das habe ich ganz vergessen«, gab er zu, »Vor lauter Aufregung trage ich ihn immer noch in meiner Tasche mit mir herum.«
Er schob seine Hand in die Tasche und zog eine kleine schwarze Box heraus, die an den Rändern mit einem goldenen Band verziert war und reichte sie ihr. Leonie öffnete das Kästchen und nahm den Ring heraus, um ihn Michael an die Hand zu stecken.
Mike, der bis dahin noch nicht wirklich viel gesprochen hatte, wandte sich an Roussel, »Bernand, es wird Zeit, das du dich auch verlobst! Du bist der Einzige hier ohne Ring am Finger!«
»Ich bin mit meiner Arbeit verlobt, und das Letzte, was ich mir anschaffe, ist eine Frau. Mir reicht es, zu sehen, dass meine Leonie ihr Glück gefunden hat!«, reagierte er mit ruhiger Stimme auf die Provokation.
Zusammen feierten sie noch bis in die frühen Morgenstunden, bis sich alle auf den Heimweg machten.