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2. Kapitel Kolumbien, Cartagena
ОглавлениеEs war kurz nach halb drei Uhr am Morgen, als Anelisa Cortez vom lauten Klingeln ihres Handys geweckt wurde. Sie war Kommissarin der kolumbianischen Polizei für schweren Diebstahl. Die hochgewachsene Frau fischte auf dem Nachttisch nach ihrem Handy und nahm den Anruf entgegen. Schlaftrunken hielt sie sich das Gerät an ihr Ohr, ohne die Augen zu öffnen.
»Cortez«, murmelte sie verschlafen.
»Hernandez hier!«, brummte eine dunkle Männerstimme, »Das Auge des Südens wurde aus dem Museo del Oro Zenu gestohlen!«
Halb schlafend antwortete sie »Schreiben sie es auf, ich beschäftige mich später damit.«
»Hören sie mir überhaupt zu!«, schrie er harsch.
»Es ist mitten in der Nacht«, stöhnte sie, »Hat das nicht Zeit bis ich wach bin?«
»Kommen sie sofort her, oder muss ich einen Beamten schicken der ihren fetten Arsch herschleift?«, brüllte er.
Langsam kam Cortez zu sich »Was wollen sie von mir zu dieser Zeit?«
»OK, noch mal!«, brummte er, »Das Auge des Südens wurde entwendet, und sie sind dafür zuständig!«
»Bin ja unterwegs«, ärgerte sie sich und klickte das Gespräch weg.
Sie tastete nach dem Schalter ihrer Lampe und betätigte ihn. Vorsichtig schlug sie die Augen auf und blinzelte heftig, bis sich ihre Augen an das Licht gewöhnt hatten. Ein kurzer Blick auf die Uhr bestätigte ihre Vermutung, dass sie nicht lange schlafen durfte. Gerade mal knapp drei Stunden lag sie in ihrem Bett, bevor sie unsanft geweckt wurde. Anelisa Cortez quälte sich aus ihrem warmen Bett und setzte sich auf. Mit einer Kurzwahltaste rief sie ihren Partner an.
»Moreira!«, meldete er sich.
»Felipe, im Museo del Oro Zenu wurde das Auge des Südens gestohlen«, jammerte sie.
»OK, gib mir 10 Minuten!«, sagte er und unterbrach die Verbindung.
Wie kann dieser Mensch um diese Zeit klingen, als wäre es früher Nachmittag? Egal, zu welcher Zeit sie ihn anrief, war er hellwach. Felipe Moreira war ihr Partner im Dezernat für schweren Raub. Schon seit zwei Jahren arbeiteten sie zusammen, nachdem er frisch von der Polizeischule gekommen war. Sie war zur Hauptkommissarin aufgestiegen, während er noch ein einfacher Kommissar war.
Schnell schlüpfte sie in ihre Klamotten und band die krausen schwarzen Haare zu einem kleinen Zopf zusammen. Dann tapste sie ins Badezimmer und warf sich einen Schwung kaltes Wasser ins Gesicht, um die Müdigkeit zu vertreiben. Ihre Lebensgeister erwachten wieder. Kaltes Wasser half ihr immer beim Aufwachen. Sie knipste das Licht aus, griff sich ihre Schlüssel vom Haken und stieg in ihren silbergrauen SUV. Für die Fahrt zum Museo del Oro Zenu würde sie nur ein paar Minuten brauchen.
Als sie am Ort des Geschehens eingetroffen war, stand Felipe schon da. Immer noch müde stieg sie aus ihrem Wagen aus. Moreira kam mit leichten Schritten auf sie zu und hielt ihr einen Pappbecher mit Kaffee hin. Dankend nahm sie das Getränk entgegen.
»Weißt du schon was Felipe?«, fragte sie ihn.
»Nichts genaues«, gab er zu, »Hernandez hat das Kommando und will nur mit dir sprechen!«
»Warum muss ausgerechnet der an jedem verdammten Tatort zuerst auftauchen?«
»Frag ihn Anelisa!«, hüstelte er.
Das Heißgetränk gab ihr neue Kraft. Gemeinsam liefen sie auf Hernandez zu, der wild fuchtelnd Befehle bellte. Anelisa verdrehte die Augen. Seine Stimme alleine reichte aus, um ihr die Lust an ihrem Job zu nehmen.
»Hernandez!«, rief sie, »Hören sie auf hier herumzuschreien, die Leute wollen schlafen!«
»Na endlich, Cortez. Wurde auch Zeit, dass sie hier aufschlagen!«
»Sie gehen mir ehrlich auf den Geist! Was ist los?«, fragte sie etwas ungehalten.
»Um exakt 01.50 Uhr löste der Wachmann bei seinem Rundgang …«
»Kurzform, Hernandez!«, unterbrach sie ihn.
Erneut setzte er an »01.50 Uhr löste der Wachmann bei seinem Rundgang den Alarm aus.«
»Vergessen sie es, Hernandez! Ich besorg mir die Informationen selbst, und sie sind jetzt entweder leise oder ich lasse sie im Meer ertränken!«, blaffte sie ihn an als sie sich an ihm vorbeidrängte.
Moreira grinste ihn an und folgte Anelisa mit schnellen Schritten. Sie betraten das Museum und fragten nach dem Wachmann, der den Alarm gegeben hatte. Man schickte sie zu einem grauhaarigen Mann, der zusammengesunken auf einer Bank saß. In den letzten Minuten musste er seine Geschichte wahrscheinlich schon oft genug erzählen. Vor ihm stand ein Mann mittleren Alters in einem grauen Anzug und sprach mit Händen und Füßen auf ihn ein. Anelisa hielt auf ihn zu und rief »Wer sind sie und was wollen sie von unserem Zeugen?«
Der Mann im Anzug warf ihr nur einen kurzen Blick über die Schulter zu, während er weiter auf den Wachmann einredete. Sie klopfte ihm mit den Fingern auf die Schulter, aber er ignorierte sie. Noch mal, allerdings fester klopfte sie dem Mann im Anzug auf die Schulter, was er ebenfalls ignorierte. Dann hatte Anelisa genug davon. Sie zog ihre Marke aus der Tasche, stellte sich direkt vor ihn und schrie ihn an »Machen sie ihren Hals zu! Wer sind sie?«
»Ich bin der Direktor des Museums! Verschwinden sie!«, warf er ihr an den Kopf.
»Dann warten sie jetzt, bis sie dran sind Direktor. Ich verhöre den Zeugen!«, fauchte sie.
»Sie sollen verschwinden!«, rief er aufgebracht und setzte sein Gezeter über ihre Schulter fort.
Das war für sie der Auslöser seine Hand auf den Rücken zu drehen und ihn zu Boden zu bringen. Ihr Knie presste sie ihm auf die Wirbelsäule und schrie ihm ins Ohr »Sie gehen mir jetzt aus dem Weg und lassen mich meine Arbeit machen, oder ich sorge dafür, das sie heute Nacht noch standrechtlich erschossen werden! Ist das jetzt klar geworden?«
Wie ein auf dem Rücken liegender Käfer zuckten seine Arme und Beine heraus und tanzten auf den blanken Fliesen. Er wollte sich nicht beruhigen und begann mit lautem Fluchen den Versuch aufzustehen. Felipe griff ein und stellte seinen Fuß auf seinen Unterarm, während er einen Beamten um Handschellen bat. Zusammen legten sie ihm die Eisen an und Felipe zerrte ihn einige Meter weiter weg. Dort gab er drei Uniformierten den Befehl, ihn in Schach zu halten. Notfalls sollten sie ihn mit Gewalt nach draußen schaffen.
Anelisa setzte sich neben dem Zeugen auf die Bank und fragte ihn mit sanfter Stimme »Können sie mir ein paar Fragen beantworten, oder brauchen sie etwas?«
Mühsam erhob er seinen Kopf und krächzte »Was wollen sie Wissen?«
»Sie haben den Diebstahl bei ihrem Rundgang bemerkt. Ist ihnen vorher irgendwas aufgefallen?«, beruhigte sie ihn.
»Nein, alles war normal, bis ich das Loch in der Vitrine sah!«, sagte er leise.
»Ist ihnen an den Kameras etwas aufgefallen? Die haben sie ja vor ihrem Rundgang beobachtet.«
»Nein, da war absolut nichts Ungewöhnliches zu sehen. Alles wie immer!«, behauptete er.
»Was haben sie getan, nachdem sie den Alarm ausgelöst haben? Bitte so genau wie möglich!«, verlangte sie.
Felipe brachte ihm ein Glas Wasser, als er begann »Ich bin zum Bedienfeld der Alarmanlage gerannt. Da war alles in Ordnung. Dann habe ich den Raum abgeschlossen und die Gitter heruntergelassen, wie es in der Dienstanweisung steht. Der Alarm riegelt das Gebäude sofort ab. Also bin ich zurück in mein Büro, habe die Monitore beobachtet, bis die Polizei hier war!«
»Wann waren die Kollegen hier?«
»Ziemlich genau um 02.00 Uhr!«, sagte er und blickte sie an.
»Woher wissen sie das so genau?«
»In meinem Büro hängt eine Uhr, die jede volle Stunde einen Signalton ausgibt. Als ihre Kollegen vor dem Museum vorfuhren, piepste sie«, berichtete er.
Nickend fragte sie »Die Kollegen haben das Gebäude durchsucht. Wo waren sie?«
»In meinem Büro. Nach einem Alarm muss ich die Monitore im Auge behalten und über Funk melden, wenn ich was sehe!«, murmelte er.
»Gut. Nur noch eine Frage. Wie lange arbeiten sie schon hier?«, wollte sie wissen.
»Nächsten Monat sind es 27 Jahre!«
»Danke. Wir sind fertig. Gehen sie nach Hause und ruhen sie sich aus. Bitte halten sie sich zu unserer Verfügung«, riet sie ihm und stand auf. Anelisa warf ihrem Kollegen einen vielsagenden Blick zu, als der Wachmann niedergeschlagen den Raum verließ.
»Der Opa kann uns nichts sagen, was ich nicht schon vermutet hätte. Frag du die Kollegen und den Direktor, ich seh mich mal um«, gab sie Anweisung. Felipe machte sich sofort auf den Weg. Der Tatort war großräumig mir rot-weißem Flatterband abgesperrt, hinter dem die Spurensicherung bereits am Arbeiten war. Sie stellte sich an das Band und wechselte ein paar Worte mit dem Kollegen. Sein Bericht fiel noch ziemlich mager aus. In der kurzen Zeit konnte er noch keine relevanten Spuren finden. Konzentriert schritt sie den Raum ab und suchte mit den Augen nach Ungewöhnlichem. Alles, was sie sehen konnte, war das kreisrunde Loch in der Vitrine, der Rest war unberührt. Dann stutzte sie. In der Vitrine, die geöffnet wurde, war nur ein Platz leer, die anderen Ausstellungsstücke waren alle noch da. Das ergibt keinen Sinn. Warum nimmt ein Täter nur ein Stück mit, wenn direkt daneben Stücke aus echtem Gold ausgestellt sind? Auch in den anderen Vitrinen lagerten Schätze aus Gold, doch sie waren unberührt. Aus einem Informationsständer in der Ecke nahm sie sich ein Infoblatt. Das Auge des Südens war bei Weitem nicht das wertvollste Stück in diesem Raum. Bewertet war es mit lächerlich wirkenden 250.000 US-Dollar. Hier gab es mehrere Stücke, die mit weit über einer Million bewertet waren. Selbst das Stück neben dem Auge brachte es auf einen Schätzwert von 900.000 US-Dollar. Wo liegt der Unterschied zwischen einem Opal in der Größe eines Eis und einer Götzenfigur aus purem Gold? Beide waren fast gleich groß. Die Figur war aufgrund des Materials bedeutend schwerer, aber auch so einfach zu transportieren. Zudem war sie viel wertiger als das gestohlene Mineral.
Das Auge des Südens war ein Opal, der um einen kleinen Rubin entstanden war. Der feuerrote Rubin in der Mitte gab dem Schmuckstück seinen Namen. Die äußere glatte Hülle schimmerte in unterschiedlichen Farben von Weiß, über Blau, bis hin zu zartem Gelb. Ich als Einbrecher mache mir doch nicht die Mühe, in ein Museum einzusteigen und dann nur einen Schmuckstein zu klauen, dachte sie bei sich. Ein Opal war nicht einmal besonders viel Wert. Ein paar Vitrinen weiter war ein Armreif ausgestellt. Dessen Wert war mit 1.250.000 US-Dollar angegeben. Anelisa ging zu dem Ausstellungsstück hin. Ein einfacher Armreif aus purem Gold, nicht besonders schwer und handlich. Perfekt für jeden Dieb. Die Vitrine war auch nicht extra gesichert und es wäre genauso einfach gewesen, dieses Stück mitzunehmen. Da kam Felipe zurück zu ihr.
»Anelisa, die Kollegen haben etwas gefunden! Ein Videosignal eines Bildschirms zeigt in diesem Raum nichts an, obwohl hier die Party steigt. Sie wissen noch nicht, wie es gemacht wurde. Der Direktor wusste nicht das Geringste zu berichten, hat sich dafür aber wunderbar aufgeregt. Hernandez hat ihn mitgenommen und steckt ihn in die Zelle, bis er wieder normal läuft. Weiter wurde noch nichts gefunden. Den Bericht der Spurensicherung bekommen wir morgen im Lauf des Tages!«, berichtete er.
»Die wissen noch nicht mal, wie er reingekommen ist?«, fragte sie fassungslos.
»Nein. Weder wie er reinkam, noch wie er verschwunden ist!«
»Hm«, grübelte sie, »Haben wir einen Zeitplan, wann der Wärter seine Runde macht?«
»Klar! Jeweils zur halben Stunde beginnt sie und endet 27 Minuten später hier!«, erklärte ihr Kollege.
»Unser Wärter hat aber den Alarm um exakt 01.50 Uhr ausgelöst, sagte Hernandez. Zehn Minuten später war er dann auch schon hier. Wird das irgendwie dokumentiert, wann er wo gewesen ist?«, fragte sie ihn.
»Finde ich raus!«, gab er zurück, als er sich schon zum Gehen wandte.
Anelisa blieb alleine zurück. Sie holte ihr Smartphone aus der Tasche und begann die Informationen zu notieren. Der Wachmann war sogar früher hier, als er den Diebstahl bemerkte, als es sein Zeitplan vorschreibt. Theoretisch blieb dem Täter ziemlich genau eine Stunde, das war viel mehr Zeit, als sie gehofft hatte.