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Prolog Kolumbien, Cartagena

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Es war kurz vor ein Uhr als die schlan­ke, schwarz mas­kier­te Per­son das Flach­dach des Mu­se­ums er­klom­men hat­te. Mit sei­nen Gum­mi be­sohl­ten Schu­hen war er die weiß ge­kalk­te Back­stein­wand hin­auf ge­klet­tert. Ta­ge­lang vor­her war er je­de Mög­lich­keit, in das Ge­bäu­de zu ge­lan­gen in sei­nen Ge­dan­ken durch­ge­gan­gen. Er hat­te ge­nau die Zeit ge­wählt, in der die Wach­mann­schaft in der Nacht am un­auf­merk­sams­ten war. We­ni­ge Mi­nu­ten nach Mit­ter­nacht hat­te er sich dem gut aus­ge­leuch­te­ten Ge­bäu­de von hin­ten ge­nä­hert. Um so we­nig wie mög­lich auf­zu­fal­len, hat­te er sich in ei­nem wei­ßen Over­all der Wand ge­stellt. Sei­ne Sil­hou­et­te hob sich in dem glei­ßen­den Schein­wer­fer­licht, das auf das Ge­bäu­de ge­rich­tet war, so gut wie nicht ab. Als er end­lich oben an­ge­kom­men war, zog er das wei­ße Ge­we­be aus und ver­steck­te es in sei­nem fla­chen Ruck­sack.

Jetzt ganz in Schwarz ge­klei­det lag er bäuch­lings auf dem Dach und schob sein Te­le­skop lang­sam durch den klei­nen Spalt zwi­schen dem Lüf­tungs­schacht und der in­ne­ren Mau­er. Die Bild­über­tra­gung auf sei­ne eben­falls schwar­ze Bril­le funk­tio­nier­te per­fekt. Dann sah er auch schon den grau­en rau­ten­för­mi­gen Kas­ten an der Wand. Das Si­cher­heits­sys­tem des Mu­se­ums war nicht das bes­te. Zwar wur­de es über die Jah­re im­mer wie­der an­ge­passt und ver­bes­sert, trotz­dem war es hoff­nungs­los ver­al­tet. Die ana­lo­ge Vi­deo­tech­nik war sehr leicht aus­zu­trick­sen. Al­les was er da­für be­nö­tig­te, hat­te er am Vora­bend stän­dig aufs Neue kon­trol­liert. Die Män­ner in der Über­wa­chungs­zen­tra­le wür­den es kaum be­mer­ken ei­ne Vi­deoschlei­fe zu se­hen. Vor­sich­tig schlitz­te er die Iso­lie­rung des Ka­bels auf und schob das sil­ber­ne Draht­ge­flecht des Koaxi­al­ka­bels zur Sei­te. Den in­ne­ren Plas­ti­kern schnitt er eben­falls auf. Das Vi­deo­bild wür­de nicht ein­mal fla­ckern, wenn er sei­ne Vi­deo­quel­le an­schloss. Hoch kon­zen­triert schob er die bei­den lo­sen Drah­ten­den bis zu dem grau­en Kas­ten. Ei­nes ver­band er mit dem in­ne­ren Kup­fer­kern und das an­de­re mit dem sil­ber­nen Draht­ge­flecht, dann star­te­te er auf sei­nem di­gi­ta­len Gerät die Auf­nah­me. Die Zeit­schlei­fe von ei­ner hal­b­en Mi­nu­te wür­de sich im­mer wie­der­ho­len und zu­sätz­lich einen ge­ne­rier­ten Zeit­stem­pel in das Bild ein­fü­gen. Dann stell­te er auf Sen­den um und brach­te den Sei­ten­schnei­der an sei­nem Te­le­skop in Po­si­ti­on. In Ge­dan­ken über­prüf­te er noch ein­mal, ob er kei­nen Schritt aus­ge­las­sen hat­te. Als er sich si­cher war nichts ver­ges­sen zu ha­ben, at­me­te er noch ein­mal tief durch und kapp­te das ori­gi­na­le Ka­bel hin­ter sei­ner An­schluss­stel­le.

Der Vi­deo­mo­ni­tor in der Über­wa­chungs­zen­tra­le des Si­cher­heits­diens­tes fla­cker­te nur ein­mal kurz auf, doch dann zeig­te er wie­der ge­nau das glei­che Bild.

Die schwar­ze Ge­stalt ent­fern­te lei­se das Git­ter vor dem Lüf­tungs­ka­nal, be­vor er sich kopf­über in die glän­zen­de Röh­re glei­ten ließ. Sei­ne Hän­de press­te er ge­gen das ihn um­ge­ben­de Alu­mi­ni­um, um nicht zu schnell zu fal­len. Die drei Stock­wer­ke hin­un­ter zu ge­lan­gen, war ei­ne schweiß­trei­ben­de An­ge­le­gen­heit. Dann ver­ließ er die senk­rech­te Röh­re und bog in den waa­ge­rech­ten, rechts an­ge­schlos­se­nen Kanal ab. So lei­se wie mög­lich zog er sich auf dem Bauch lie­gend durch die Alu­mi­ni­um­hül­le, bis er das Git­ter vor dem Raum er­reicht hat­te. Als er die un­te­re Schrau­be lö­sen woll­te, be­gann sie zu quiet­schen. Er stopp­te und hol­te aus sei­nem Ruck­sack ein Fläsch­chen Öl, was er vor­sichts­hal­ber auf al­le Schrau­ben tröp­feln ließ. Er war­te­te ei­ni­ge Se­kun­den ab, bis das Schmier­mit­tel in die Ge­win­de­gän­ge vor­ge­drun­gen war, be­vor wie­der an­fing, sie her­aus­zu­dre­hen. Leicht scha­bend ver­lie­ßen sie ih­re Po­si­ti­on, bis das Git­ter voll­stän­dig ge­löst war. Er zog es durch die Öff­nung in den Kanal und leg­te es wei­ter vor­ne ab. Die Öff­nung war groß ge­nug für ihn, um durch­zu­schlüp­fen.

Er stand jetzt auf ei­nem mit bei­gem Kunst­le­der be­zo­ge­nen Ses­sel an der Wand. Et­was wei­ter links von ihm war das Kon­troll­pa­nel für die La­ser­über­wa­chung, mit der das Mu­se­um die ein­zel­nen Räu­me über­wach­te. Ei­ne kur­ze Un­ter­bre­chung des Licht­strahls wür­de einen Alarm aus­lö­sen und das Mu­se­um ver­rie­geln. Er lös­te die Ab­de­ckung des Pa­nels und sah sich die dün­nen Dräh­te dar­in ge­nau­er an. Den Schalt­plan hat­te er sich ge­nau ein­ge­prägt. Oh­ne zu zö­gern, über­brück­te er zwei der An­schlüs­se und leg­te die Ab­de­ckung auf die Leh­ne des Ses­sels, auf dem er stand.

Die An­la­ge war mit ei­nem klei­nen Hand­griff über­lis­tet. Auch wenn er die Licht­strah­len un­ter­bre­chen wür­de, gä­be es kei­nen Alarm mehr. Er hat­te den Sen­der ein­fach mit dem Emp­fän­ger ge­kop­pelt. Das Sys­tem glaub­te wei­ter­hin, das al­les in Ord­nung sei, weil der Kon­takt nicht un­ter­bro­chen wur­de. Die Ge­stalt konn­te sich jetzt frei im Raum be­we­gen. Die Ka­me­ra zeig­te ei­ne Vi­deoschlei­fe und die An­la­ge, die durch die La­ser­strah­len Alarm ge­ben wür­de, war auch au­ßer Be­trieb ge­setzt. Er blick­te auf sei­ne Uhr. Bis der Wach­mann sei­nen Kon­troll­gang ma­chen wür­de, blie­ben ihm mehr als ei­ne hal­be Stun­de. Das war viel mehr Zeit, als er be­nö­ti­gen wür­de.

Ziel­si­cher durch­quer­te er den Raum und blieb vor der Vi­tri­ne mit dem Schmuck­stück ste­hen, auf das er es ab­ge­se­hen hat­te. Die Vi­tri­ne war nicht ex­tra ge­si­chert, da­für aber fest ver­schlos­sen. Aus sei­nem Ruck­sack zog er den mit­ge­brach­ten Glas­schnei­der und leg­te ihn oben auf das Glas. Di­rekt dar­un­ter be­fand sich ein Opal in der Grö­ße ei­nes Hüh­ne­reis. Er drück­te den Saug­napf auf das Glas und schnitt, durch mehr­ma­li­ges Krat­zen mit der Dia­mant­na­del ein Tel­ler-großes kreis­run­des Loch in die glat­te Flä­che. Die her­aus­ge­trenn­te Schei­be steck­te er, zu­sam­men mit sei­nem Schneid­werk­zeug zu­rück in sei­nen Ruck­sack.

Dann steck­te er sei­ne Hand durch das Loch hin­durch und griff sich das Mi­ne­ral. Gern hät­te er sich das Schmuck­stück et­was ge­nau­er an­ge­schaut, aber es fehl­te das Son­nen­licht und er soll­te bes­ser wie­der ver­schwin­den. Das Hüh­ne­rei stopf­te er in einen dun­kelblau­en Samt­beu­tel und ver­barg es si­cher in der Ta­sche sei­ner schwar­zen Wes­te. Er kehr­te zum Ses­sel zu­rück und stieg dar­auf. Mit zitt­ri­gen Fin­gern ent­fern­te er den klei­nen Draht, den er vor­her ein­ge­setzt hat­te. Dann hob er die Ab­de­ckung von der Leh­ne des Sitz­mö­bels und hak­te es an den Plas­ti­kö­sen ein. Mit ei­nem kur­z­en Druck auf das un­te­re En­de ras­te­te es lei­se kli­ckend wie­der ein.

Sei­ne Hän­de streck­te er nach oben zu der Röh­re, aus der er ge­kom­men war, hielt sich am Rand fest und zog sich dann hin­auf. Mit kip­peln­den Be­we­gun­gen schwang er sich zu­rück in den Lüf­tungs­schacht. Sorg­fäl­tig be­fes­tig­te er das Git­ter mit den ge­öl­ten Schrau­ben an sei­nem Platz be­vor er sich wie­der auf den Rück­weg mach­te. An der Ab­zwei­gung bei dem senk­rech­ten Rohr glitt er wei­ter nach un­ten durch die Röh­re. Es dau­er­te lan­ge, bis er un­ten an­kam, und das Blut drück­te in sei­nem Schä­del. Durch die mit dem Kopf nach un­ten hän­gen­de Po­si­ti­on schaff­te es sein Kreis­lauf nicht mehr die ro­te Flüs­sig­keit ent­ge­gen der Schwer­kraft in sei­ne Bei­ne zu pum­pen. Al­les sam­mel­te sich im Kopf, was ihm mit zu­neh­men­der Dau­er dunkle Schat­ten vor sei­ne Au­gen trieb.

Ganz un­ten an­ge­kom­men zog er sich er­schöpft wie­der in ei­ne waa­ge­rech­te Röh­re und ver­harr­te ei­ni­ge Mi­nu­ten dar­in, um sich zu er­ho­len. Nach­dem sich sein Kreis­lauf wie­der sta­bi­li­siert hat­te, robb­te er wei­ter durch den Schacht. Un­ter ihm la­gen die dunklen, leicht mod­rig rie­chen­den Kel­ler­räu­me. Dann sah er end­lich sei­nen Aus­gang nä­her­kom­men. Gera­de als er das Git­ter lö­sen woll­te, wur­de der Alarm aus­ge­löst. Er­schro­cken blick­te er auf sei­ne Uhr am Hand­ge­lenk. Die­ser hirn­lo­se Wach­mann war sie­ben Mi­nu­ten zu früh mit sei­ner Run­de.

Er muss­te schnel­ler han­deln, als er das ge­plant hat­te. So schnell er konn­te, schraub­te er das Git­ter auf und sprang aus dem Lüf­tungs­schacht. Mit schnel­len Schrit­ten rann­te er durch den klei­nen Ver­bin­dungs­gang in den Raum mit dem Zu­gang zum Was­ser un­ter der al­ten ros­ti­gen Ab­de­ckung. In der Luft hing der un­an­ge­neh­me Ge­ruch von durch­näss­ten Be­ton, der lang­sam aus­ein­an­der­fällt. Er zog den ver­schließ­ba­ren Plas­tik­beu­tel aus sei­ner Ta­sche, pack­te das eben mit­ge­nom­me­ne Mi­ne­ral mit­samt sei­ner Samt­hül­le hin­ein und ver­schloss ihn. Dann riss er den ros­ti­gen De­ckel auf und hüpf­te über die klei­ne Kan­te in die trü­be Flüs­sig­keit. Das Was­ser war warm ge­nug, um nicht frie­ren zu müs­sen. Noch ein­mal tauch­te er auf und nahm ei­ni­ge tie­fe Atem­zü­ge, be­vor er die Luft in sei­ner Lun­ge hielt. Nach dem Ab­tau­chen schwamm er mit schnel­len Arm­zü­gen zu dem klei­nen Hohl­raum im Ge­stein.

Er zog sich aus dem Was­ser und at­me­te tief durch. Von Wei­tem hör­te er noch im­mer das schril­le Klin­geln der Alarm­an­la­ge, die der Wach­mann aus­ge­löst hat­te. Noch ein­mal hol­te er tief Luft und ver­such­te auf­zu­ste­hen. Da der Hohl­raum nicht sehr hoch war, muss­te er die Knie ge­beugt hal­ten, um dann mit den Ar­men vor­aus wie­der in das Was­ser sprang. Tau­chend wand er sich durch den ge­flu­te­ten Stein­ka­nal. Sein Kör­per ver­lang­te nach fri­schem Sau­er­stoff. Er schluck­te die Luft, die aus ihm her­aus­press­te wie­der hin­un­ter und zwang sich, durch­zu­hal­ten. Dann sah er die hel­len Lich­ter der Stadt durch die Was­sero­ber­flä­che schei­nen. Nur noch we­ni­ge Se­kun­den. Sein Ober­kör­per schoss bei­na­he bis zur Hüf­te aus dem Nass als er wild prus­tend fri­sche Luft in sei­ne Lun­ge sog. Vor­sich­tig, um nicht zu viel Was­ser auf­zu­wüh­len, was ihn er­ken­nen ließ, schwamm er zu dem al­ten Holz­steg. Un­ter dem Holz­steg hat­te er sei­ne Press­luft­fla­sche und die Tau­cher­aus­rüs­tung ver­steckt. Im Schutz der mor­schen Holz­boh­len zog er die Flos­sen über sei­ne Schu­he und schnall­te sich die Luft­fla­sche über sei­nen Ruck­sack. Dann tauch­te er ab und um­run­de­te die Küs­te der klei­nen Bucht. Di­rekt da­ne­ben lag der Jacht­ha­fen von Car­ta­ge­na, wo sei­ne klei­ne Jol­le vor An­ker lag.

Über die her­un­ter­ge­las­se­ne Hän­ge­lei­ter am Heck klet­ter­te er nach oben an Deck. Er hat­te es ge­schafft. Durch die klei­ne Tür ne­ben dem Steu­er­rad ging er über die Trep­pe nach un­ten. Oh­ne Licht zu ma­chen, leg­te er sei­ne Kla­mot­ten ab und pack­te den ver­schlos­se­nen Plas­tik­beu­tel in den klei­nen Hohl­raum ne­ben sei­nem Bett. Er griff sich ein Hand­tuch, trock­ne­te sich gründ­lich ab und schlüpf­te un­ter die leich­te De­cke in sei­ne Ko­je.

Als er wach wur­de, war es be­reits kurz vor Mit­tag. Nach der Mor­gen­toi­let­te klei­de­te er sich an, lich­te­te den An­ker der Jol­le und fuhr aus dem Jacht­ha­fen hin­aus.

Das Ikarus Puzzle

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