Читать книгу Das Ikarus Puzzle - Matthias Boden - Страница 3
Prolog Kolumbien, Cartagena
ОглавлениеEs war kurz vor ein Uhr als die schlanke, schwarz maskierte Person das Flachdach des Museums erklommen hatte. Mit seinen Gummi besohlten Schuhen war er die weiß gekalkte Backsteinwand hinauf geklettert. Tagelang vorher war er jede Möglichkeit, in das Gebäude zu gelangen in seinen Gedanken durchgegangen. Er hatte genau die Zeit gewählt, in der die Wachmannschaft in der Nacht am unaufmerksamsten war. Wenige Minuten nach Mitternacht hatte er sich dem gut ausgeleuchteten Gebäude von hinten genähert. Um so wenig wie möglich aufzufallen, hatte er sich in einem weißen Overall der Wand gestellt. Seine Silhouette hob sich in dem gleißenden Scheinwerferlicht, das auf das Gebäude gerichtet war, so gut wie nicht ab. Als er endlich oben angekommen war, zog er das weiße Gewebe aus und versteckte es in seinem flachen Rucksack.
Jetzt ganz in Schwarz gekleidet lag er bäuchlings auf dem Dach und schob sein Teleskop langsam durch den kleinen Spalt zwischen dem Lüftungsschacht und der inneren Mauer. Die Bildübertragung auf seine ebenfalls schwarze Brille funktionierte perfekt. Dann sah er auch schon den grauen rautenförmigen Kasten an der Wand. Das Sicherheitssystem des Museums war nicht das beste. Zwar wurde es über die Jahre immer wieder angepasst und verbessert, trotzdem war es hoffnungslos veraltet. Die analoge Videotechnik war sehr leicht auszutricksen. Alles was er dafür benötigte, hatte er am Vorabend ständig aufs Neue kontrolliert. Die Männer in der Überwachungszentrale würden es kaum bemerken eine Videoschleife zu sehen. Vorsichtig schlitzte er die Isolierung des Kabels auf und schob das silberne Drahtgeflecht des Koaxialkabels zur Seite. Den inneren Plastikern schnitt er ebenfalls auf. Das Videobild würde nicht einmal flackern, wenn er seine Videoquelle anschloss. Hoch konzentriert schob er die beiden losen Drahtenden bis zu dem grauen Kasten. Eines verband er mit dem inneren Kupferkern und das andere mit dem silbernen Drahtgeflecht, dann startete er auf seinem digitalen Gerät die Aufnahme. Die Zeitschleife von einer halben Minute würde sich immer wiederholen und zusätzlich einen generierten Zeitstempel in das Bild einfügen. Dann stellte er auf Senden um und brachte den Seitenschneider an seinem Teleskop in Position. In Gedanken überprüfte er noch einmal, ob er keinen Schritt ausgelassen hatte. Als er sich sicher war nichts vergessen zu haben, atmete er noch einmal tief durch und kappte das originale Kabel hinter seiner Anschlussstelle.
Der Videomonitor in der Überwachungszentrale des Sicherheitsdienstes flackerte nur einmal kurz auf, doch dann zeigte er wieder genau das gleiche Bild.
Die schwarze Gestalt entfernte leise das Gitter vor dem Lüftungskanal, bevor er sich kopfüber in die glänzende Röhre gleiten ließ. Seine Hände presste er gegen das ihn umgebende Aluminium, um nicht zu schnell zu fallen. Die drei Stockwerke hinunter zu gelangen, war eine schweißtreibende Angelegenheit. Dann verließ er die senkrechte Röhre und bog in den waagerechten, rechts angeschlossenen Kanal ab. So leise wie möglich zog er sich auf dem Bauch liegend durch die Aluminiumhülle, bis er das Gitter vor dem Raum erreicht hatte. Als er die untere Schraube lösen wollte, begann sie zu quietschen. Er stoppte und holte aus seinem Rucksack ein Fläschchen Öl, was er vorsichtshalber auf alle Schrauben tröpfeln ließ. Er wartete einige Sekunden ab, bis das Schmiermittel in die Gewindegänge vorgedrungen war, bevor wieder anfing, sie herauszudrehen. Leicht schabend verließen sie ihre Position, bis das Gitter vollständig gelöst war. Er zog es durch die Öffnung in den Kanal und legte es weiter vorne ab. Die Öffnung war groß genug für ihn, um durchzuschlüpfen.
Er stand jetzt auf einem mit beigem Kunstleder bezogenen Sessel an der Wand. Etwas weiter links von ihm war das Kontrollpanel für die Laserüberwachung, mit der das Museum die einzelnen Räume überwachte. Eine kurze Unterbrechung des Lichtstrahls würde einen Alarm auslösen und das Museum verriegeln. Er löste die Abdeckung des Panels und sah sich die dünnen Drähte darin genauer an. Den Schaltplan hatte er sich genau eingeprägt. Ohne zu zögern, überbrückte er zwei der Anschlüsse und legte die Abdeckung auf die Lehne des Sessels, auf dem er stand.
Die Anlage war mit einem kleinen Handgriff überlistet. Auch wenn er die Lichtstrahlen unterbrechen würde, gäbe es keinen Alarm mehr. Er hatte den Sender einfach mit dem Empfänger gekoppelt. Das System glaubte weiterhin, das alles in Ordnung sei, weil der Kontakt nicht unterbrochen wurde. Die Gestalt konnte sich jetzt frei im Raum bewegen. Die Kamera zeigte eine Videoschleife und die Anlage, die durch die Laserstrahlen Alarm geben würde, war auch außer Betrieb gesetzt. Er blickte auf seine Uhr. Bis der Wachmann seinen Kontrollgang machen würde, blieben ihm mehr als eine halbe Stunde. Das war viel mehr Zeit, als er benötigen würde.
Zielsicher durchquerte er den Raum und blieb vor der Vitrine mit dem Schmuckstück stehen, auf das er es abgesehen hatte. Die Vitrine war nicht extra gesichert, dafür aber fest verschlossen. Aus seinem Rucksack zog er den mitgebrachten Glasschneider und legte ihn oben auf das Glas. Direkt darunter befand sich ein Opal in der Größe eines Hühnereis. Er drückte den Saugnapf auf das Glas und schnitt, durch mehrmaliges Kratzen mit der Diamantnadel ein Teller-großes kreisrundes Loch in die glatte Fläche. Die herausgetrennte Scheibe steckte er, zusammen mit seinem Schneidwerkzeug zurück in seinen Rucksack.
Dann steckte er seine Hand durch das Loch hindurch und griff sich das Mineral. Gern hätte er sich das Schmuckstück etwas genauer angeschaut, aber es fehlte das Sonnenlicht und er sollte besser wieder verschwinden. Das Hühnerei stopfte er in einen dunkelblauen Samtbeutel und verbarg es sicher in der Tasche seiner schwarzen Weste. Er kehrte zum Sessel zurück und stieg darauf. Mit zittrigen Fingern entfernte er den kleinen Draht, den er vorher eingesetzt hatte. Dann hob er die Abdeckung von der Lehne des Sitzmöbels und hakte es an den Plastikösen ein. Mit einem kurzen Druck auf das untere Ende rastete es leise klickend wieder ein.
Seine Hände streckte er nach oben zu der Röhre, aus der er gekommen war, hielt sich am Rand fest und zog sich dann hinauf. Mit kippelnden Bewegungen schwang er sich zurück in den Lüftungsschacht. Sorgfältig befestigte er das Gitter mit den geölten Schrauben an seinem Platz bevor er sich wieder auf den Rückweg machte. An der Abzweigung bei dem senkrechten Rohr glitt er weiter nach unten durch die Röhre. Es dauerte lange, bis er unten ankam, und das Blut drückte in seinem Schädel. Durch die mit dem Kopf nach unten hängende Position schaffte es sein Kreislauf nicht mehr die rote Flüssigkeit entgegen der Schwerkraft in seine Beine zu pumpen. Alles sammelte sich im Kopf, was ihm mit zunehmender Dauer dunkle Schatten vor seine Augen trieb.
Ganz unten angekommen zog er sich erschöpft wieder in eine waagerechte Röhre und verharrte einige Minuten darin, um sich zu erholen. Nachdem sich sein Kreislauf wieder stabilisiert hatte, robbte er weiter durch den Schacht. Unter ihm lagen die dunklen, leicht modrig riechenden Kellerräume. Dann sah er endlich seinen Ausgang näherkommen. Gerade als er das Gitter lösen wollte, wurde der Alarm ausgelöst. Erschrocken blickte er auf seine Uhr am Handgelenk. Dieser hirnlose Wachmann war sieben Minuten zu früh mit seiner Runde.
Er musste schneller handeln, als er das geplant hatte. So schnell er konnte, schraubte er das Gitter auf und sprang aus dem Lüftungsschacht. Mit schnellen Schritten rannte er durch den kleinen Verbindungsgang in den Raum mit dem Zugang zum Wasser unter der alten rostigen Abdeckung. In der Luft hing der unangenehme Geruch von durchnässten Beton, der langsam auseinanderfällt. Er zog den verschließbaren Plastikbeutel aus seiner Tasche, packte das eben mitgenommene Mineral mitsamt seiner Samthülle hinein und verschloss ihn. Dann riss er den rostigen Deckel auf und hüpfte über die kleine Kante in die trübe Flüssigkeit. Das Wasser war warm genug, um nicht frieren zu müssen. Noch einmal tauchte er auf und nahm einige tiefe Atemzüge, bevor er die Luft in seiner Lunge hielt. Nach dem Abtauchen schwamm er mit schnellen Armzügen zu dem kleinen Hohlraum im Gestein.
Er zog sich aus dem Wasser und atmete tief durch. Von Weitem hörte er noch immer das schrille Klingeln der Alarmanlage, die der Wachmann ausgelöst hatte. Noch einmal holte er tief Luft und versuchte aufzustehen. Da der Hohlraum nicht sehr hoch war, musste er die Knie gebeugt halten, um dann mit den Armen voraus wieder in das Wasser sprang. Tauchend wand er sich durch den gefluteten Steinkanal. Sein Körper verlangte nach frischem Sauerstoff. Er schluckte die Luft, die aus ihm herauspresste wieder hinunter und zwang sich, durchzuhalten. Dann sah er die hellen Lichter der Stadt durch die Wasseroberfläche scheinen. Nur noch wenige Sekunden. Sein Oberkörper schoss beinahe bis zur Hüfte aus dem Nass als er wild prustend frische Luft in seine Lunge sog. Vorsichtig, um nicht zu viel Wasser aufzuwühlen, was ihn erkennen ließ, schwamm er zu dem alten Holzsteg. Unter dem Holzsteg hatte er seine Pressluftflasche und die Taucherausrüstung versteckt. Im Schutz der morschen Holzbohlen zog er die Flossen über seine Schuhe und schnallte sich die Luftflasche über seinen Rucksack. Dann tauchte er ab und umrundete die Küste der kleinen Bucht. Direkt daneben lag der Jachthafen von Cartagena, wo seine kleine Jolle vor Anker lag.
Über die heruntergelassene Hängeleiter am Heck kletterte er nach oben an Deck. Er hatte es geschafft. Durch die kleine Tür neben dem Steuerrad ging er über die Treppe nach unten. Ohne Licht zu machen, legte er seine Klamotten ab und packte den verschlossenen Plastikbeutel in den kleinen Hohlraum neben seinem Bett. Er griff sich ein Handtuch, trocknete sich gründlich ab und schlüpfte unter die leichte Decke in seine Koje.
Als er wach wurde, war es bereits kurz vor Mittag. Nach der Morgentoilette kleidete er sich an, lichtete den Anker der Jolle und fuhr aus dem Jachthafen hinaus.