Читать книгу Das Ikarus Puzzle - Matthias Boden - Страница 6
3. Kapitel Bahamas, Nassau
ОглавлениеDie Schreibtische im Büro waren noch verwaist, als Michael und Leonie den Raum betraten. Dieser Raum hier, den Interpol ihnen zur Verfügung stellte, war deutlich größer als der im Hauptgebäude von Lyon. Insgesamt waren fünf Schreibtische darin untergebracht. Sie standen ziemlich in der Mitte. Zwei nebeneinander zum Fenster hin zwei weitere direkt davor mit Blick zur Tür und rechts außen noch einer, der zu den vier anderen gestellt war. Sie hatten sie untereinander aufgeteilt. Karyani hatte direkt den ersten links vorne genommen, ihr Verlobter direkt den daneben. Liz, die Chefin des Teams, hatte sich den einzeln Stehenden rechts außen gesichert. Michael saß Mike gegenüber und Leonie rechts neben ihm hatte Karyani vor sich. Alle zusammen saßen wie in einer Runde an ihren Schreibtischen.
Der Boden war mit hellen Keramikfliesen bedeckt worden. Links an der Wand hatte der große Computer seinen Platz gefunden, vor dem meistens Mike arbeitete, wenn er seine Aufgaben nicht mit dem Laptop auf seinem Schreibtisch lösen konnte. Weiter Rechts neben dem Eingang führte eine Tür zu der eingebauten kleinen Küche und zu einer nebenan liegenden Toilette. Der hintere Bereich bot genug Platz für die gemütliche Sofalandschaft, die sie sich angeschafft hatten. Liz hatte, im Sinne des Teams, darauf bestanden, dass sie alle zusammen mittags am Tisch sitzen und sich stärken. Michael, dessen Hobby es war zu kochen, hatte sich bereit erklärt, für die Teammitglieder ein Mittagessen zuzubereiten, und kümmerte sich auch um die Erfrischungen. Die Atmosphäre glich eher einem zu Hause als einem Arbeitsplatz.
Heute Morgen waren die frisch Verlobten, die ersten die ihren Dienst antraten. Michael hatte sich in die Küche zurückgezogen und kochte Kaffee für die ganze Truppe. Leonie setzte sich an ihren Schreibtisch und drehte den Ring an ihrem Finger gedankenverloren hin und her. Der Ring, den er für sie besorgt hatte, machte sie schon glücklich, wenn sie ihn betrachtete. Es war etwas Besonderes. Auf der Außenseite des schmalen goldenen Streifens waren mehrere grüne Saphire und Diamanten eingefasst. Sein Ring war nur ganz schlicht aus Gold ohne Edelsteine gefertigt.
Der Abend gestern war wieder einmal typisch Michael gewesen. Um seine Leonie zu verzaubern, hatte er die Möglichkeit der Einweihungsparty ihres neuen Heims noch für eine Verlobung genutzt. Warum nur ein bisschen was Essen, wenn doch alle Freunde gleichzeitig da waren. Ihr gegenüber hatte er zugegeben, dass er diesen Tag schon seit Wochen geplant hatte. Die Ringe hatte er bei einem Juwelier besorgt, als Leonie gerade bei Francois Pierlot in Frankreich gewesen war, um ihre Scharfschützenausbildung weiter voranzutreiben. Schöner hätte sich Leonie diesen Tag nicht wünschen können.
Die Tür ging auf, und eine etwas mitgenommene Liz Croll betrat ihren Arbeitsplatz, der nach frisch gebrühtem Kaffee und Brötchen duftete. Überrascht schlug sie die Augen auf als sie »Guten Morgen ihr beiden« sagte.
»Ich hätte nicht geglaubt, das ihr heute vor mir hier seid«, gab sie zu.
»Guten Morgen Liz«, strahlte Leonie sie an, »Wir sind ausgeschlafen, im Gegensatz zu dir!«
»Das Gefühl habe ich auch«, sagte sie müde.
Als Michael kurz aus der Küche kam, hatte er schon zwei Tassen Kaffee in der Hand »Moin Chefin, das frühe Vögeln entspannt den Wurm. Oder so ähnlich!«, lachte er. Ohne ein weiteres Wort drückte er ihr eine Tasse in die Hand, die sie dankbar entgegennahm. Die andere stellte er seiner Leonie vor die Nase und drückte ihr einen sanften Kuss auf den Kopf, dann verschwand er wieder durch die Tür.
»Wie kommt es, dass ihr schon so früh fit seid?«, wollte sie wissen.
»Bei mir sind es vermutlich die Glückshormone«, vermutete Leonie und zeigte stolz auf ihren Ring.
»OK, das klingt logisch«, antwortete sie, »Gilt wohl auch für Micha!«
»Liz, ich brauche keine Hormone mehr. Seit ich mit Leonie zusammen sein darf, bestehe ich nur noch aus Glückshormonen. Mein Vorteil ist, das ich viele Jahrzehnte fast ohne Schlaf ausgekommen bin, da stört mich eine ziemlich kurze Nacht nicht mehr«, rief Micha fröhlich aus der Küche.
Gerade als er begann den Tisch der Sofaecke für ein gemeinsames Frühstück zu decken erreichten auch Karyani und Mike ihren Arbeitsplatz. Auch die beiden zeigten deutliche Anzeichen von Schlafmangel, wie Michael aus den tiefen Ringen unter ihren Augen lesen konnte. Lächelnd drückte er auch ihnen eine Tasse mit dem frischen Heißgetränk in die Hand und kümmerte sich dann weiter um den Tisch. Die frisch aufgebackenen Brötchen dampften noch, als Michael sie auf den Tisch stellte. Mit so einem gemütlichen Frühstück könnte jeder Tag beginnen. Zusammen fielen sie in das bequeme Sofa und stärkten sich.
Dann verrichteten sie die Arbeit an ihren Berichten. Liz hasste das wie die Pest. Sie war lieber an der frischen Luft und ging Spuren nach, als an einem Schreibtisch zu sitzen und Papier zu verschwenden. Michael war egal, was er machte, so lange Leonie in seiner Nähe war. Ihr ging es da ähnlich, auch wenn es ihr viel lieber war flach, auf dem Bauch zu liegen und durch die Zieloptik eines Gewehrs zu blicken. Karyani und Mike hingegen störte es nicht. Er verbrachte die meiste Zeit ohnehin vor einem Bildschirm, während Karyani an technischen Wunderwerken bastelte.
Nach dem gemeinsamen Frühstück standen Liz, Leonie und Michael vor der Tür, in der warmen Sonne der Karibik und rauchten eine Zigarette. Angeregt unterhielten sie sich, als plötzlich Mike nach draußen kam und ihr Gespräch unterbrach.
»In Kolumbien gab es heute Nacht einen Einbruch in einem Museum«, begann er, »Der Täter konnte entkommen. Allerdings sollte er leicht zu finden sein, wenn man sich die Idioten etwas genauer anschaut!«
»Wie kommst du darauf, dass der Täter zurückgeblieben ist?«, fragte Liz argwöhnisch.
»Ganz einfach, er hat nur das Auge des Südens geklaut, die ganzen anderen Sachen hat er da gelassen, obwohl sie deutlich wertvoller sind und offen vor ihm lagen!«, grinste er.
»Das ergibt doch keinen Sinn«, merkte Michael an, »Wenn ich irgendwo einsteige, greif ich mir so viel, wie ich nur kann, und nicht nur einen einzelnen Edelstein!«
»Streng genommen hat er nicht mal einen Edelstein gestohlen, sondern nur ein Mineral«, lachte Mike.
»Ein Mineral?«, fragte Liz.
»Ja! Das Auge des Südens ist ein Opal, also kein Edelstein, obwohl es einen enthält«, klärte Mike sie auf.
»Wir haben ein wasserdichtes Alibi!«, erklärte Leonie, »Wir haben umringt von Interpol Agenten Verlobung gefeiert!«
Michael drückte sie zärtlich an seine Brust und flüsterte »Du brauchst kein Alibi mehr mein Herz, du bist selbst eine Agentin von Interpol!«
»Wo ist jetzt der Unterschied zwischen einem Opal und einem Edelstein?«, wollte Liz wissen.
»Soweit ich weiß sind Opale ziemlich häufig zu finden und werden vorwiegend für Schmuck verwendet, den man für kleines Geld bekommt. Edelsteine hingegen sind ziemlich selten zu finden, was den Preis deutlich anhebt«, sinnierte Michael über Leonies Schulter hinweg die er immer noch im Arm hielt.
»Kommt rein, ich erklär es euch«, murmelte Mike und ging wieder in das Büro zurück. Die anderen löschten ihre Zigaretten und folgten ihm hinein. Der Hacker hatte in Windeseile alle möglichen Informationen aus dem Internet überflogen und erklärte den Anwesenden den Unterschied zwischen einem Opal und Edelsteinen, bevor er das Auge des Südens genauer erklärte.
»Das Auge des Südens ist der einzige Opal weltweit der einen Edelstein beinhaltet. In dessen Mitte befindet sich ein feuerroter Rubin, der durch das Mineral scheint. Das ganze Gebilde hat die Größe von einem einfachen Ei. Der Rubin innen ist gerade so groß wie eine 50-Cent-Münze. Insgesamt ist das Stück eine Viertelmillion wert und war ein Ausstellungsstück im Museo del Oro Zenu in Cartagena«, beendete er.
Alle sahen sich verwirrt an. Michael fand als Erster seine Sprache wieder »Museo del Oro Zenu? Oro ist Spanisch und heißt Gold und Zenu sind die Ureinwohner Kolumbiens. Frei übersetzt würde es also heißen "Museum des Goldes der Ureinwohner" was mich zu der Frage führt, was ein Opal um einen Rubin da drin zu suchen hat?«
Karyani nickte bedächtig »Für jemanden, der kein Spanisch kann, ist das beeindruckend Michael. Während meiner kriminellen Karriere hatte ich einige Bekannte aus der Kunstraubszene. Das Auge des Südens ist weltbekannt. Es ist der einzige Rubin, den die Zenu in Kolumbien gefunden haben. Sie waren ab ungefähr 4000 v. Ch. Berühmt für ihre Goldkunst und trieben regen Handel mit anderen indigenen Völkern. Laut Überlieferung wurde das Auge des Südens 2370 v.c h. von Einheimischen gefunden. Aufgrund seines Aussehens, der Rubin bildet wirklich ein Auge, und der vorherrschenden Religion zu der Zeit wurde es als Auge Gottes angesehen und verehrt. Ab 1540 wurde Kolumbien immer wieder von Piraten überfallen, die große Teile des Goldes raubten, allerdings das Auge zurückließen weil sie glaubten es sei ein wertloser Opal. Erst die spanischen Eroberer wollten das Auge des Südens zerstören, weil es in ihren Augen der Religion der Ureinwohner Macht gab. Diese Macht allerdings beanspruchte die katholische Kirche für sich alleine. Tausende Zenu wurden in den Goldminen der Eroberer von Krankheiten heimgesucht und starben. Der Rest wurde bei Kriegen von den Eroberern dahingeschlachtet. Das Auge hatte man aber sicher versteckt. Erst 1849 wurde es an das Museum übergeben und dort zusammen mit der Goldkunst ausgestellt«, berichtete Karyani.
Alle sahen sie staunend an. Lange Jahre lebte sie in Venezuela nahe der Grenze zu Kolumbien. Da sie großartig nichts tun konnte, weil sie überall gesucht wurde, interessierte sie sich unter anderem auch für Kunst und die Geschichte der Region, in der sie lebte. Cartagena war eine berühmte Hafenstadt nördlich vom Kolumbien und der Zugang zum Karibischen Meer. Immer wieder kam ihr dabei das Auge des Südens in Erzählungen unter. Sie hatte schon lange den Wunsch, sich diese Schätze der Weltgeschichte anzusehen. Erst seit sie die sauberen Papiere hatte, war ihr das möglich gewesen, aber bisher durch die Arbeit verwehrt geblieben.
»Kennst du zufällig jemanden, der es darauf abgesehen haben könnte?«, fragte Liz die Verlobte von Mike.
»Nein. Das Auge ist zwar berühmt, allerdings für Kunstdiebe uninteressant. Wenn dort jemand einbricht, dann wegen des Goldes. Wäre aber ziemlich sinnlos, weil man es nicht loswerden würde. Die Stücke der Zenu sind zu bekannt, als das sie jemand kaufen würde.«
»Das wäre zumindest mal ein Grund, das Gold zurückzulassen«, schloss Liz aus der Erklärung.
»Diese Tatsache sollte den Ermittlern in Kolumbien bekannt sein, denke ich«, gab Michael zu Protokoll.
»Was ich nicht verstehe«, sagte Leonie zögerlich, »Das Auge hat nur eine religiöse Bedeutung für die Zenu. Dessen Wert liegt allerdings weit, unter dem, was ein Dieb mitnehmen würde, was einen Einbruch rechtfertigt. Ein Käufer dürfte sich dann auch schwer finden lassen, wenn es so berühmt ist, womit wir wieder bei der Frage nach dem Sinn ankommen.«
»Mein Herz hat recht«, gab Michael zu, »Es gibt kein Motiv zu dem Einbruch. Selbst ein Kunstsammler müsste es auf ewig vor der Welt versteckt halten. Aber nehmen wir einmal an, es ginge nur um den Rubin, der darin enthalten ist. Von welchem Wert reden wir dann?«
»Ungefähr 34.000 $«, nannte Mike den ermittelten Preis des Edelsteins.
»Wegen eines Mittelklassewagens begibt man sich doch nicht in so eine Gefahr«, rief Liz.
»Womit wir wieder bei der religiösen Bedeutung wären«, konterte Karyani.
»Mike, gib bitte den Ermittlern in Cartagena weiter, das Interpol die Überprüfung aller noch lebenden Zenu empfiehlt. Nach intensiver Beratung konnten wir keine anderen Motive finden als religiöse Spinnerei«, warf Liz in die Runde und widmete sich dann wieder den vor ihr liegenden Berichten.
Mike tippte die nicht ganz ernst gemeinte Empfehlung in das Interpolsystem und ging dann wieder seinen Aufgaben nach.