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2. Gesetzgeberisches Unterlassen

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Die Frage der Rügefähigkeit gesetzgeberischen Unterlassens wird in der Literatur[48] kontrovers beurteilt. Bedenken werden vor allem im Hinblick auf den Grundsatz der Gewaltenteilung erhoben. Aus der Rechtsprechung des Gerichts ergibt sich Folgendes: Der einzelne Staatsbürger hat grds. keinen mit der Verfassungsbeschwerde verfolgbaren Anspruch auf ein bestimmtes Handeln des Gesetzgebers. Deshalb hat das BVerfG in frühen Entscheidungen[49] die Anfechtbarkeit gesetzgeberischen Unterlassens verneint.

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Andererseits machen einfach-rechtliche Vorschriften wie die §§ 92, 95 Abs. 1 BVerfGG deutlich, dass nach den Vorstellungen des Gesetzgebers auch ein Unterlassen der öffentlichen Gewalt Gegenstand der Verfassungsbeschwerde sein kann. Infolgedessen hat das Gericht die Rügbarkeit gesetzgeberischen Unterlassens in Ausnahmefällen, begrenzt auf Fälle des sog. „echten Unterlassens“ anerkannt. Der Gesetzgeber muss trotz eines ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Gesetzgebungsauftrages, der Inhalt und Umfang der Gesetzgebungspflicht im Wesentlichen umgrenzt, gänzlich untätig geblieben sein.[50] Ausdrückliche Aufträge in diesem Sinne enthalten, insoweit in strafrechtlichem Zusammenhang wenig ergiebig, jedenfalls Art. 6 Abs. 5 GG und Art. 12a Abs. 2 S. 3 GG.[51] In späteren Entscheidungen – u. a. im Ersten Abtreibungsurteil und im Zusammenhang mit dem Entführungsfall Schleyer – hat das Gericht darüber hinaus individuelle Rechte auf ein Tätigwerden des Gesetzgebers zur Erfüllung grundrechtlicher Schutzpflichten anerkannt.[52] Sie geböten dem Staat, Rechtsgüter der Grundrechtsträger vor rechtswidrigen Eingriffen von Seiten anderer zu bewahren. Da das menschliche Leben einen Höchstwert darstelle, muss diese Schutzverpflichtung besonders ernst genommen werden. Letztlich beruht auch die Schaffung des Anhörungsrügengesetzes[53] vom 9.12.2004 auf einer vom Plenum des BVerfG[54] angenommenen Verpflichtung des Gesetzgebers, wegen der grundgesetzlichen Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG und im Hinblick auf den allgemeinen Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde bei entscheidungserheblichen Verstößen eines Gerichts gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör eine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit bereitzustellen. Besonders hohe Anforderungen werden vom Gericht indes an die Substantiierung bei der Rüge der Verfassungswidrigkeit gesetzgeberischen Unterlassens gestellt. Es muss in der Beschwerdeschrift eine Evidenz dafür aufgezeigt werden, dass die Rechtslage untragbar geworden ist und der Gesetzgeber gleichwohl untätig geblieben ist oder offensichtlich fehlsame Nachbesserungsmaßnahmen getroffen hat.[55]Eine tatsächlich erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen ein gesetzgeberisches Unterlassen ist daher in absehbarer Zeit kaum zu erwarten.[56]

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Problematisch kann darüber hinaus im Einzelfall sein, inwieweit der Gesetzgeber zur Nachbesserung unzureichender Schutzmaßnahmen nach Ablauf der Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG gezwungen werden kann. Das Gericht hat die Zulässigkeit solcher Verfassungsbeschwerden bislang offen gelassen.[57]

Teil 2 Die Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verfassungsbeschwerde in StrafsachenB. Der Beschwerdegegenstand › IV. Maßnahmen der Gerichte und des Richters

Die Verfassungsbeschwerde in Strafsachen

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