Читать книгу Verrat in München und Burghausen - Max Brym - Страница 12
Burghausen
ОглавлениеAm ersten Wochenende im Februar fuhr Faber in seine Geburtsstadt Burghausen an der Salzach. Lore fuhr mit. Das ging etwas schnell, aber Lore wollte als Freundin und vielleicht künftige Braut vorgestellt werden. Faber dachte an seinen in solchen Fragen moralisierenden sozialdemokratischen Vater Georg, der andererseits doch ein alter „Schwerenöter“ war. Seine Mutter, Lotte, hingegen himmelte ihren Sohn an und würde sicher nichts gegen die flotte und elegante Lore aus München haben. Auf der Zugfahrt über Mühldorf am Inn war Hans Faber jedoch mit anderen Gedanken beschäftigt.
In Deutschland herrschte die Nazidiktatur und der Straßenterror verschärfte sich. Faber ging davon aus, dass die Nazis irgendeine Provokation ausheckten, um die Kommunisten und die gesamte Arbeiterbewegung brutal zu unterdrücken. Immer wieder hatte er in München von seinen „Nazifreunden“ gehört, „es wird sich schon etwas finden“ oder konkreter, „wir werden schon einen Vorwand schaffen, um die Kommune zu Brei zu schlagen“. So hatte sich gestern Abend wortwörtlich Ernst Röhm im „Bratwurstglöckel“, seinem Stammlokal bei der Frauenkirche, ausgedrückt.
Lore wurde sichtlich nervös als sich der Zug Burghausen näherte. Eine solche Nervosität war Hans Faber von Lore nicht gewohnt. Offensichtlich wollte sie einen guten Eindruck bei seinen Eltern machen. Die Eltern warteten schon am Bahnsteig. Georg Faber war ein überzeugter, aber nicht immer linientreuer linker Sozialdemokrat in Burghausen. Einerseits war er stolz auf Hans, seinen „Akademikersohn“, andererseits konnte er ihm die Mitgliedschaft in der Nazipartei nicht verzeihen. Die Mutter interessierte sich auch für Politik, stand politisch links, war aber in keiner Partei organisiert. Als der Zug in den kleinen Bahnhof einfuhr, wuchs die Spannung der Eltern, welche Überraschung ihr Sohn wohl mitbringen würde. Den Eltern war klar, dass es sich um ein weibliches Wesen handeln würde. Die Begrüßung am Bahnhof war herzlich. Mit großen Augen sah Hans Fabers Mutter Lore an, die elegant gekleidet und dezent geschminkt war. Georg Faber freute sich, diese schöne Frau zu begrüßen. Zuhause in der Herzog Georg-Straße in der Altstadt von Burghausen war eingeheizt, Georg Faber spielte den Kavalier und half Lore aus dem Mantel. Dies brachte ihm wie üblich den leicht amüsierten Blick seiner Frau ein. Lore machte sofort Konversation und sie verstand sich auf Abhieb mit dem Vater von Hans. Ihre Art, ihr Witz und Charme zog Georg Faber in ihren Bann. Die Mutter hingegen war noch etwas skeptisch bezüglich des eleganten Fräuleins aus München.
Nach einer Stunde kam man auf die Politik zu sprechen. Georg Faber meinte etwas anzüglich: „Der Herr Sohn wird sicher zufrieden sein, sein Führer ist Reichskanzler und er hat sich eine charmante Frau geangelt“. Hans Faber versuchte, einer echten politischen Debatte mit seinem Vater auszuweichen. Es ist nicht gerade leicht, dem eigenem Vater Dinge zu entgegnen, von denen man selbst nicht überzeugt ist.
Ganz im Gegenteil. Lore durchschaute das Spiel und meinte, dass das mit den Nazis ja noch nicht so sicher sei und Hitler vielleicht auch abwirtschaften werde. Da musste Georg Faber wirklich lachen, denn so ähnlich argumentierte auch seine Partei die SPD und auch die KPD war sich der Bedeutung des Sieges der Nazis und des ausbleibenden Widerstandes der Arbeiter nicht bewusst. Die Debatte ging weiter. Lore wandte sich ziemlich deutlich gegen die Nazis und deren Führungspersonal und sprach den Nazis jegliche Kultur ab. Das imponierte jetzt auch Hans´ Mutter, die dem modisch gekleideten Geschöpf aus München solche Gedanken gar nicht zugetraut hatte. Hans Faber versuchte Lore von ihrer plötzlich einsetzenden Politisiererei abzubringen. Das gelang nicht. Die Annäherung zwischen Mutter Faber und Lore war nicht mehr aufzuhalten. Georg Faber amüsierte sich und unterstellte spaßhaft dem Sohn, sich eine Linke geangelt zu haben. Alle mussten lachen.
Anschließend las Hans Faber in der örtlichen konservativen Zeitung, dem „Inn Boten“, eine kurze Nachricht, die ihm ziemlich gut gefiel. Dort hieß es: „Am 31. Januar, einen Tag nach der Machtergreifung Hitlers, marschierten Mitglieder der KPD in Altötting auf“. Gegen den KPD-Anführer wetterte die "Inn-Zeitung", er habe einstens ebenso fanatisch für Hitler geschworen, wie er jetzt für Moskau und den Bolschewismus arbeite.“ Faber musste schmunzeln. In Altötting ist es also noch möglich, gegen die Nazis zu demonstrieren, in München nicht. Der Vater meinte noch zu seinem Sohn. „Hier in der Region möchten KPD-Anhänger noch einen sozialistischen Arbeiter- und Bauernstaat. In Burghausen diskutieren die Marxisten, dass man die Polizei entwaffnen und durch eine rote Hilfspolizei ersetzen könnte. Also sei dir nicht zu sicher mit deinen Nazis.“ Faber dachte an seinen örtlichen Vertrauensmann vom Apparat, Simon Vorburger, der zuhause eigens dafür Waffen einlagert, nach dem Motto: "Haben wir Hitler, haben wir Krieg".
Fabers Hund Poldi drängelte zu einem Spaziergang und Faber war froh, das Haus verlassen zu können. Sie gingen auf die Burg, bekanntlich hat Burghausen die längste Burg der Welt. Von der Altstadt aus führt ein steiler Weg in den vorderen Teil der Burg. Das war machbar mit den richtigen Schneestiefeln, die Hans noch in der Wohnung der Eltern hatte. Nach dem kurzen Aufstieg nahm er den Weg zum Burgsee hinunter.
Auf halber Strecke wartete auch schon eine Person mit der sich Hans Faber unbedingt treffen musste. Es war Hans Beimler, der gestern in Burghausen noch in einer Versammlung der KPD gesprochen hatte. Der Genosse Reichstagsabgeordnete war gut eingemummt und für Außenstehende schwer zu erkennen. Der Treffpunkt war ideal gewählt, von oben her nicht einsehbar und nach unten hin konnte man sofort erkennen, ob sich irgendjemand näherte. Freundlich begrüßte Hans Beimler seinen Genossen vom Abwehrapparat. Faber schätzte Beimler als mutigen und zupackenden, rhetorisch begabten Menschen. „Na wie war die Versammlung im Glöckelhofer gestern?“ fragte Faber. Beimler berichtete ihm von den ehrlichen und kampfbereiten Arbeitern, besonders aus der Wacker Chemie. Zwar war viel Polizei um den Gasthof herum und einige Nazispitzel am Eingang, aber niemand versuchte die Versammlung zu sprengen. Beimler meinte, dass auch viele „einfache Sozialdemokraten“ dagewesen seien.
Offensichtlich hatten die örtlichen Nazis die Abreibung vom 1. Juli 1932 noch nicht vergessen. Damals wurden die Nazis in und vor der Gaststätte von Sozialdemokraten und Kommunisten vermöbelt. Der neue NSDAP-Kreisleiter, Ludwig Malcomeß, wollte damals mit dem ADGB-Vorsitzenden ein Streitgespräch durchführen. Die Nazis waren mit nur 60 Mann den knapp 200 Reichsbannerleuten und 100 Kommunisten klar unterlegen und wurden regelrecht den Stadtberg hinunter geprügelt. Seit dieser Zeit wagten sie solche Provokationen nicht mehr.
Die Versammlung mit Beimler wurde gestern auch von Reichsbannerleuten geschützt. Das war nach Beimler eine „hervorragende Einheitsfrontaktion von unten“. Faber nickte und meinte: „Aber jetzt müssen wir auch versuchen, mit den Sozialdemokraten ins Gespräch zu kommen und Aktionen planen.“ Etwas irritiert schaute Beimler Faber an. Faber bezog sich auf den Generalstreikaufruf der KPD. „Ja“ meinte Beimler, „Torgler versucht in Berlin mit der SPD-Spitze zu verhandeln, aber wenn sie diesmal wieder ablehnen, haben wir den endgültigen Beweis für die Richtigkeit der These vom Sozialfaschismus.“ - „Es interessiert die Nazis aber nicht im Geringsten, ob wir richtig liegen mit unseren Thesen“, entgegnete Faber.
Seiner Meinung nach müsse auf jeden Fall etwas unternommen werden, denn die Nazis werden versuchen jegliche Form von Arbeiterbewegung brutal zu unterdrücken. Beimler dachte nach und versuchte, das Gespräch in konkrete Fragestellungen umzuleiten. Faber wurde wütend als Beimler anfing über die Vorbereitung auf die Illegalität zu sprechen. Direkt sagte er: „Hans, ich kenn die Nazibande genau. Die werden rücksichtslos zuschlagen. Wir müssen uns kollektiv wehren. Selbst hier in Burghausen hat unsere KP geheime Waffenlager angelegt. Wenn wir abwarten, geben wir ihnen Zeit, um ihren Schlag durchzuführen. Jetzt besteht noch die Chance die sozialdemokratischen Arbeiter mitzureißen. Wir müssen kämpfen. Andernfalls holen sie zuerst uns und dann die Sozialdemokraten. Wie stellst du dir eigentlich in einem 6.000 Einwohnernest wie Burghausen die Illegalität vor? Hier kennt jeder jeden. Sie kennen nicht nur unsere örtliche Leitung, unsere Stadträte, nein, sogar jede Putzfrau, die mit uns sympathisiert.“
Natürlich kannten die Nazis nicht alle KPD-Arbeiter bei der Wacker-Chemie. unbekannt. Aber sie kannten den Leiter der KPD-Ortsgruppe Burghausen, Heinrich Breu, sowie den Kassierer der Ortsgruppe, Josef Burghart. Unbekannt dürfte ihnen hingegen die Funktion des Portiers bei der Wacker Chemie, Josef Huber und seiner Frau, der Kellnerin Ursula Huber, sein. Die Betriebskommunisten bei Wacker gaben sich meist nicht zu erkennen. Nur die Betriebsräte waren bekannt. Kein Nazi wurde von den rund 1.000 Beschäftigten in den Betriebsrat gewählt. Faber wiederholte: „Hans wir müssen kämpfen“ Beimler wurde ziemlich nachdenklich, meinte aber dann, die Parole müsse von Berlin kommen. Hans Faber berichtete noch über die euphorische Stimmung der Nazis in München und machte Beimler ziemlich deutlich, dass eine Provokation wahrscheinlich schon vor den für den 5. März angesetzten Reichstagswahlen bevorstünde. Beimler machte sich fleißig Notizen. Der Abschied war herzlich. Faber wusste nicht, ob er Beimler so schnell wiedersehen würde.
Er stieg zur Burg hinauf, Beimler ging nach unten. Am Wöhrsee unterhalb der Burg warteten auf Beimler zwei Genossen, sowie sein Fahrer. Faber spürte die Kälte nicht. Er war deprimiert und dachte an die kommende oder sich gerade festigende nazistische Diktatur. Bei den Eltern angekommen, gab es „Milchspinat“ mit Knödeln. Schnell erkannte Hans Faber, wie herzlich seine Mutter mit Lore umging. Auch Georg Faber konnte sich von dem Äußeren und der witzigen Art von Lore kaum lösen. Spät nachts als sie allein waren erzählte Lore, dass Hans´ Mutter schon nach dem Heiratstermin gefragt hatte. Etwas kalt erwiderte Hans: „Lore, in solchen Zeiten heiratet man nicht.“ Doch dann fügte er etwas liebevoller hinzu, „wichtig ist doch, dass wir zusammen sind und zusammenhalten.“
Nach dem Frühstück am nächsten Morgen ging es auch schon wieder weiter. Sie mussten nach Kraiburg am Inn, eine kleine Marktgemeinde im Kreis Mühldorf. Dort lebte Fabers Schwester Therese, mit ihrem Mann Josef Schmidt. Letzterer war kein Bauer, aber er hatte viel mit den Bauern in der Gegend zu tun. Er verkaufte und reparierte landwirtschaftliche Maschinen und Traktoren. Politisch war Schmidt, wie Faber insgeheim dachte ein „christlicher Hinterwäldler“, aber er war kein schlechter Mensch. Doch manchmal fragte er sich, wie seine von ihm sehr verehrte ältere Schwester es mit diesem Betbruder aushielt. Aber das ging ihn nichts an. Außerdem war es für Faber von Vorteil, dass Schmidt kein sonderliches Interesse an Politik hatte. Die Schwester hingegen war vom Elternhaus her sozialistisch geprägt, was sie auch in dem Marktflecken jetzt beibehielt. Sie war die einzige in der Familie, die über das Doppelspiel von Hans Bescheid wusste und es billigte. Therese war sehr verschwiegen. Aber jetzt war sie neugierig, welche Frau ihr Bruder aus München mitbrachte. Es war immerhin das erste Mal, dass Hans hier mit einem Frauenzimmer auftauchte. Sie fragte sich, ob es ihn diesmal ernsthaft erwischt hatte.
Therese war eine hübsche zierliche Frau, die auf den ersten Blick so gar nicht in den Marktflecken Kraiburg passte. Im Gegensatz zu seiner Frau war Josef Schmidt fast zwei Meter groß mit einem breiten sympathischen Gesicht. Heiter sprang Therese am Bahnhof auf ihren Bruder zu. Freundlich begrüßte sie auch Lore, die sich sehr zurechtgemacht hatte. Josef Schmidt hingegen schüttelte dem Paar nur sehr zurückhaltend die Hand. Offensichtlich verwirrte ihn Lore. Vielleicht dachte er aber auch an Verführungskünste seines Schwagers.
Dann ging es mit einem großen Automobil nach Kraiburg am Inn. Der Wagen war mit Schneeketten ausgestattet und kam so mit Schnee und Eis zurecht. Schon während der Fahrt schnatterten die beiden Frauen fast ohne Pause. Die Konversation war herzlich und lustig. Auch Therese hatte viel Humor. Schmidt hingegen sagte nichts, er musste sich auf Schnee und Eis konzentrieren. Nach der mühsamen Fahrt über Guttenburg und Frauendorf kam man endlich in dem kleinen Ort an. Die Wohnung direkt am Marktplatz war gut eingeheizt. „Mein Bruder will doch sicher einen Kaffee“, sagte Therese. Faber teilte Therese mit, dass er morgen Besuch von einem Klienten aus München erwarte, der zwei oder drei Tage bleiben würde, um sich zu erholen. „Kein Problem“ antwortete Schmidt. Es kam ihm nur etwas seltsam vor, dass sich ausgerechnet im Februar jemand in Kraiburg entspannen wolle. Im Frühjahr und Sommer gibt es einige Urlauber, denen die Alpenregion zu teuer ist und die sich mit dem Kraiburger Schlossberg und Wanderungen im Inntal begnügen. Aber es störte ihn nicht, denn sein Schwager hatte immer mal wieder Gäste für die Fremdenzimmer der Schmidts in Kraiburg vermittelt. Nur seltsam, dass diese Gäste allesamt keine Nazis waren, dachte Schmidt. Dies kam ihm sogar entgegen, war er doch war treuer Wähler der Bayerischen Volkspartei (BVP) und regelmäßiger Kirchgänger. Die sozialistischen Neigungen seiner Frau waren ihm nicht unbekannt. Nur diskutierte er selten darüber. Er war ein wenig maulfaul. Therese und Lore quatschten fast ohne Unterbrechung. Immer wieder fragte sich Therese, ob die elegante Blondine wohl über die wirkliche Gesinnung ihres Bruders Bescheid wusste. Sie beschloss, bei passender Gelegenheit nachzufragen.