Читать книгу Peter Lebegerns große Reise - Max Geißler - Страница 21

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Dies Fächeln dankte er — genau genommen — dem Doktor Wurzler; denn der Doktor Wurzler hatte eine Tochter, die Valentine hiess. Valentine. Ja.

Seit dem purpurroten Sommerabend auf dem Landsknechtwall hatte Peter den Gelehrten nicht mehr gesehen. Der Nachmittag vor der Abreise wurde durch Besuche ausgefüllt. Sie waren hergebrachter Art. Es wurden dabei hergebrachte Worte und Wünsche gewechselt. In Peter Lebegern — dem Nervenkranken — wuchs das Missvergnügen an sich und den Mitmenschen an diesem einzigen Nachmittag ins Ungemessene. Er lief um die Wälle, da es Abend ward. Er suchte sich selbst und suchte Kühlung für sein gequältes Gemüt. Da fiel ihm der Doktor Wurzler ein und wie die Weisheit dieses Mannes an jenem Sommertag ihm eine Wohltat gewesen war. Etwas ganz Eigenes, etwas Wundertäterhaftes war von Wurzler ausgegangen.

„Herr Doktor,“ bat er, als er die schmale Stiege in die Gelehrtenwohnung emporgestiegen war, „Herr Doktor, tun Sie wieder ein Wunder an mir wie damals …“

Ferdinand Wurzler merkte, wie es um den späten Gast stand. Er sagte nicht: ‚Überarbeitung‘. Er kannte Peter Lebegerns Sehnsüchte. Freilich ermass er sie nicht. Aber es lockte ihn, die Geheimnisse der fremden Gärten dieser Seele zu ergründen. Er dachte: ‚Ein Genie? Wohl nicht. Aber ein König — wenn er die Zähigkeit besitzt, sich das Land seiner inneren Verheissungen zu erobern‘.

Der Doktor war just im Begriff, ein gelehrtes Werk über die Schmetterlinge Mitteleuropas abzuschliessen. Da waren die schlaflosen Nächte natürlich. „Nur noch wenige Tage,“ sagte er lächelnd. In seiner Freude hätte er das Inhaltsverzeichnis mit viertausend zoologischen Benennungen und der neuen Klassifizierung des Schmetterlingsreichs wohl gleich hervorgeholt. Aber — nun, der Doktor Wurzler war taktvoll genug. Es handelte sich hier in erster Linie um seinen Gast, der ihn aufgefordert hatte, ein Wunder an ihm zu tun.

Hand aufs Herz, lieber Doktor, nicht wahr, von einem so bescheidenen Mann ist das ein bisschen viel verlangt? Also geriet dem Doktor das Herz in gelinde Wallung.

„Wunder tun, lieber Freund, Wunder tun?“ Um seine Lippen flog ein Schalk — Peter Lebegern dachte: ‚Wie ein Schmetterling, der dem Sammler entwischt ist.‘ Es lächerte ihn.

„Warten Sie mal, Peter Lebegern! Soviel ich mich erinnere, hab ich nur einmal im Leben ein Wunder zuwege gebracht — Valentinen! Va—len—ti—ne!“

Es steckte sich halb scheu, halb verwundert ein blonder Mädchenkopf durch den Spalt der leise geöffneten Tür. „Komm her, mein Kind, mein liebes Wunder du,“ sagte der Doktor. Sehr rot wurde Valentine. Sie wusste nicht, was diese Anrede schmeichelhaften Überflusses zu bedeuten hätte. Nun war sie betroffen in ihrer mädchenhaften Bescheidenheit. Und musste sich anschauen lassen auf ihre Schönheit. Ach Gott, woran viele ihrer Genossinen so reich waren, daran war sie wohl arm für ein äusserlich prüfendes Auge. Und die Schätze ihres Herzens und Geistes zu sehen — nun, das war ein Vorrecht des lieben Gottes und des Doktor Wurzler.

Der Doktor nahm väterlich ihre Hand. Valentine hatte sich vorhin recht zierlich verneigt. Und nun legte der Doktor die Hand seines Kindes in die Peters. „Es hat nichts auf sich, junger Freund — das Herz Valentinens ist in festen Händen.“

Es war dies eine gelehrtenmässig unbeholfene Randbemerkung. Jedennoch — Valentinens Betroffenheit verlor sich darüber.

Danach sassen sie um den Tisch im Bücherzimmer und tranken Tee, und es blühte ganz heimlich ein Abend von sanften Farben um ihre Gemüter. Ein grosses Stück Welt lief als unterhaltsamer Film hindurch, wurde mit guten und klugen Reden begleitet und reichte beinahe bis an das Herz der Nacht.

Gar nicht wie einem Wundertäter zumut war es dem Doktor Wurzler. Das Wunder geschah dennoch: zwei Jahre hatten die Menschen vorbeigeredet an Peter Lebegern und seiner sehnsüchtigen Seele. Jedes Wort dieses Beisammenseins aber bewegte er in seinem Herzen.

In tiefer Begütigung ging er von hinnen. Und am anderen Morgen fächelte die Verheissung junger Lenzluft trotz Kofferunrast und Bahnhofstimmung und zermahlener Nerven über Peter Lebegerns leidlich erfrischtes Gemüt.

Peter Lebegerns große Reise

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