Читать книгу Unplugged - Max Trommsdorff - Страница 10
Griechenland
ОглавлениеVenedig war ein teures Pflaster. Doch mit der Straßenmusik lief es so gut, dass im Geheimversteck meines Gürtels inzwischen eine eiserne Reserve von 100 Euro bunkerten. Darüber hinaus hatte ich mir sogar drei Nächte in einem Hostel und das Ticket für die Fähre nach Griechenland leisten können. Nun saß ich am Boden zwischen den Sitzen der dritten Klasse, wo ich mir einen Schlafplatz eingerichtet hatte. Zwei Tage dauerte die Fahrt über die Adria.
Am späten Nachmittag lief die Fähre in den Hafen von Patras ein, ganz im Norden der Peloponnes. Vor allem wegen seiner Nähe zu Italien ist Patras eine der wichtigsten Hafenstädte Griechenlands. Froh über meine Entscheidung, schnell in den Süden gezogen zu sein – es war deutlich milder als in Venedig –, schmiedete ich bald wieder Pläne, meine Reise zu Fuß fortzusetzen. Am zweiten Tag nach der Ankunft wollte ich Richtung Osten nach Athen wandern.
Die ersten beiden Nächte verbrachte ich in einem kleinen Park. Gemessen an Lage und Ausblick war es ein Obdachlosenhotel de luxe! Vor einer alten Burgruine gelegen, auf einem Hügel mitten in der Stadt. Wenn die Morgensonne aus dem Meer tauchte, hatte ich die nächtlichen kurzen Nieselschauer bereits vergessen.
Am Vormittag des dritten Tages brach ich auf. Ich hatte keine Karte, sondern wollte sehen, wie weit ich kam, wenn ich mich nur am Stand der Sonne orientierte. Athen lag von Patras aus im Osten, ich musste mich also Richtung Sonnenaufgang halten.
Fast ununterbrochen führte mein Weg bergauf. Oft wanderte ich querfeldein über karge Wiesen. Die Luft roch nach wildem Thymian, und ich fand einige Olivenbäume, an denen noch Oliven hingen. Sie schmeckten sehr bitter, mehr als eine kleine Handvoll konnte ich nicht essen. Von Zeit zu Zeit kam ich an kleinen Höfen vorbei, auf denen Ziegen und Hühner gehalten wurden. Weit und breit keine Menschenseele zu sehen. Die Höfe wurden zumeist nur von angebundenen Hunden bewacht, die mich empört ankläfften, sodass ich fast Angst bekam. Nach ein paar Stunden fingen meine Schuhe zu drücken an. Ein Wunder war es nicht, schließlich hatte ich seit zwei Wochen keine anderen mehr angehabt. Ich ging also ein paar Kilometer barfuß. Aber dafür war es auf Dauer doch noch etwas zu frisch. Ich ließ den rechten Schuh einfach halb offen und konnte auf diese Weise schmerzfrei weiterwandern.
Das Wetter wechselte gefühlt alle fünfzehn Minuten von Regen zu Sonnenschein, mein Regenmantel hielt mich dabei weitgehend trocken. Als Schlafplatz wählte ich ein ausgetrocknetes Flussbett, welches windgeschützt genug erschien, um dort ein Lagerfeuer zu entfachen. Auch gab es genug trockenes Feuerholz von abgestorbenen Bäumen rund herum. Ganz in der Nähe fand ich sogar eine kleine Quelle, an der ich meinen Wassersack neu auffüllte.
Bald darauf kochten Nudelwasser und Tomatensauce über dem Feuer. Als ich dann beim Essen in den Sonnenuntergang blickte, fühlte ich mich wie ein einsamer Cowboy in der Prärie.
Müde vom Wandern schlief ich schnell ein. Doch viel zu bald wurde ich wieder geweckt. Von Regentropfen, die mir ins Gesicht fielen. Ich kroch tiefer in den Biwaksack und hoffte, weiterschlafen zu können. Aber ich irrte. Zehn Minuten später goss es, blitzte und donnerte. Wasser drang durch alle Ritzen. Sollte ich mein Nachtlager doch abbrechen? Leider gab es ein noch größeres Problem. Mir war gar nicht gleich klar, wo das Rauschen plötzlich herkam. Erst als es lauter wurde und der untere Teil meines Biwaksacks bereits schwamm, schreckte ich hoch. Von wegen ausgetrocknetes Flussbett! Nichts wie weg hier! Jetzt musste es schnell gehen. Der Boden hatte sich in ein Schlammloch verwandelt; dass alles vollkommen verdreckte, war vollkommen egal. Wichtig nur, so viel wie möglich trocken zu halten. Die Gitarre hatte ich glücklicherweise zuvor schon in Plastiktüten gepackt.
Ich blickte kurz zurück. Dort, wo noch vor kurzem mein Schlafplatz gewesen war, hatte sich jetzt ein reißender Gebirgsbach gebildet. Ich ging los. Aber wohin? Weiter bergauf oder lieber Abstieg? Da sah ich im Blitzlicht einen Kirchturm, nur zwei, drei Steinwürfe entfernt. Wo kam der denn plötzlich her? Dann, fast unmittelbar darauf der krachende Donnerschlag.
»Eine Bergkapelle«, fuhr mir durch den Kopf. »Wenn ich Glück habe, ist sie sogar offen.«
Ich hatte kein Glück. Es gab nicht einmal ein Vordach zum Unterstellen. Weitergehen war jedoch unmöglich. Noch immer schüttete es, was das Zeug hielt. Ich kauerte mich an eine windgeschützte Mauer, um zu warten, bis das Unwetter vorbeigezogen war. Den Rucksack vor mich gestellt, bildete sich mit meiner Regenjacke so etwas wie ein kleines Zelt, in dem ich mit angewinkelten Beinen gerade so Platz hatte. Bald darauf drehte der Wind und peitschte den Regen gegen die Mauer, an der ich lehnte. Wasser sammelte sich am Boden meines Notzeltes, ich musste in die Hocke gehen, um meinen Hosenboden trocken zu halten.
Dann kam die Kälte. Ich hatte schon alles an, Mütze, Handschuhe und meine beiden Jacken, aber nichts von alledem war noch trocken. Meine Kniegelenke begannen zu schmerzen. Unter dem roten Regenmantel wurde es stickig.
Ich schätzte die Uhrzeit. Wie lange ich vorhin wohl geschlafen hatte? Ein, zwei Stunden? Oder doch länger? Ich sehnte die Morgendämmerung herbei …
Die Kälte, die ungemütliche Sitzposition – ich hielt es nicht länger aus. Obwohl das Gewitter noch immer nicht nachgelassen hatte, beschloss ich, den Rückweg anzutreten. Es fiel nicht leicht aufzugeben. Doch Weitergehen hatte nun endgültig keinen Sinn mehr. Nicht nur weil ich mich mit Sicherheit in über 600 Metern Höhe befand und es an der Küste zumindest etwas wärmer sein musste, sondern vor allem, weil es ewig gedauert hätte, bis all meine Sachen wieder trocken gewesen wären.
Die Bewegung brachte wieder etwas Leben in meine kalten Glieder. Bergab schmerzte meine Ferse weniger als bergauf, so konnte ich den Schuh wieder richtig zuschnüren. Mein Regenmantel reichte nur knapp über die Knie, und es dauerte nicht lange, bis meine Hose pitschnass war. Bald stand das Wasser in meinen Schuhen, bei jedem Schritt schmatzte es. Die Handschuhe ließen sich von Zeit zu Zeit auswringen – bei der braunen Brühe, die herauskam, war ich froh, dass sie so wenigstens gewaschen wurden.
Der Morgen brach an, als ich die Vororte von Patras erreichte. Endlich hatte der Regen aufgehört. So sehr hoffte ich auf ein paar Sonnenstrahlen. Doch vergebens. In einem kleinen Park breitete ich mich aus. Ich wrang alle nassen Sachen aus und hing sie an einen Baum zum Trocknen. Nun hatte sich als sinnvoll erwiesen, meine Wäsche im Rucksack in eine Plastiktüte zu packen – so konnte ich jetzt wenigstens ein paar trockene, saubere Klamotten anziehen.
Den restlichen Tag verbrachte ich in verschiedenen Parks und versuchte, Schlaf nachzuholen. Ein bisschen spielte ich Gitarre, aber meine Stimme war recht belegt. Ich hatte das Gefühl, krank zu werden. Wenig überraschend, nach so einer Nacht.
Später am Abend spielte ich mit dem Gedanken, mir eine Übernachtung im Hotel zu leisten. Es hatte wieder angefangen zu regnen, einen überdachten Schlafplatz zu finden, erwies sich als nicht so einfach. Zwar gab es ein paar Möglichkeiten außerhalb des Zentrums, doch die Gegend erschien mir zu unsicher. Also kehrte ich wieder ins Stadtzentrum zurück, wo ich mich um einiges sicherer fühlte. Doch hier in den hell erleuchteten Straßen gab es keine versteckten, ruhigen Ecken zum Schlafen, obwohl ich einen leerstehenden Laden fand, vor dem ich bestimmt niemanden gestört hätte. Aber Hunderte von Leuten würden an mir vorbeigehen und mich sehen.
Da kam mir eine Idee. Ich nahm Zettel und Stift aus meiner Seitentasche und machte mich auf die Suche nach jemandem, der Englisch sprach. Viel Griechisch konnte ich bisher nicht, aber »Sprechen Sie Englisch?« hatte ich bereits auf der Fähre von einer Schiffsstewardess gelernt. Erst beim vierten Passanten, den ich ansprach, bekam ich ein »Ja« als Antwort. Ich fragte ihn, ob er mir Folgendes übersetzen könne: