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Bab Tuma
ОглавлениеNur wenige hundert Meter von Asis’ Wohnung entfernt lag das Christenviertel Bab Tuma. Es war ebenfalls Teil der alten Stadt, doch in jeglicher Hinsicht »westlicher« orientiert als das übrige Damaskus. Die Geschäfte blieben freitags geöffnet und schlossen stattdessen am Sonntag, Frauen ohne Kopftuch waren schon annähernd in der Überzahl, statt Moscheen gab es Kirchen, und man konnte in einigen Läden sogar Schweinefleisch und Alkohol kaufen.
Dort, gegenüber einer armenischen Kirche, fand ich den perfekten Platz. Es kamen viele Passanten vorbei, und die Anwohner freundeten sich offensichtlich schnell mit meiner Musik an.
Bevor ich mich ausschließlich auf den Standort in Bab Tuma beschränken wollte, probierte ich – eher interessehalber – noch einige andere Gegenden aus. Es war beeindruckend, wie unterschiedlich die Reaktionen der Passanten in den verschiedenen Vierteln ein und derselben Stadt sein konnten: An einem Feiertag spielte ich im Suq al-Hamidiya, dem großen Markt. Wir hatten den 17. April, den Nationalfeiertag zur Ausrufung der Syrischen Arabischen Republik im Jahre 1946, welche die 35-jährige Besetzung durch die Franzosen beendete. Alle Geschäfte hatten geschlossen. Ich platzierte mich im tunnelförmigen Hauptarm des Marktes. Kurz überlegte ich noch, ob es doch gescheiter gewesen wäre, auf die Ratschläge von Wasim und Asis zu hören und lieber nicht hier zu spielen – aber meine Neugier war größer.
Obwohl an dem Feiertag vergleichsweise wenige Menschen unterwegs waren, standen bereits nach dem ersten Stück die Menschen dicht an dicht um mich herum. Nicht wie sonst zehn, zwanzig oder vielleicht mal vierzig, nein – es waren Hunderte. Im ersten Moment war ich mit mir und der Situation mehr als zufrieden und spielte nach Mrs. Robinson gleich noch einen Kracher: Bye, bye Love, Everly Brothers. Doch dann wurde es zu viel des Guten. Das Publikum hatte nicht die geringsten Berührungsängste, die erste Reihe stand wenige Handbreit vor mir und kam stetig näher. Dass meine Mütze vor mir lag, war in dem Tumult vollkommen untergegangen. Die Menge klatschte, tanzte und sang mit oder sah mir nur verwundert und ungläubig zu. Immer wieder schrien mir einzelne Zuhörer etwas Arabisches zu. Als die ersten so eng bei mir standen, dass ich kaum noch spielen konnte, kürzte ich das Stück ab, um dem ekstatischen Treiben ein Ende zu bereiten. Ich verschaffte mir mehr Platz und versuchte, mit einem langsamen Lied wieder Herr der Lage zu werden – doch weit gefehlt. Die Menge wollte jetzt natürlich noch mehr Stimmungsmacher hören, und während ich ständig aufgefordert wurde, dieses oder jenes zu spielen, schnappte ich kurzerhand meine Mütze und meine Gitarrentasche, sagte, ich müsse ganz, ganz dringend wohin, und flüchtete, so schnell ich konnte.
In Bab Tuma hingegen konnte man die Reaktionen ein wenig mit denen in Europa vergleichen. Ich hatte eigentlich ständig Zuhörer, allerdings selten mehr als zehn. Die meisten von ihnen standen in sicherer Distanz auf der gegenüberliegenden Straßenseite, hörten sich zwei, drei Lieder an, klatschen in den Pausen und gaben, bevor sie gingen, eine kleine Spende. Unter ihnen waren auffällig viele junge Menschen. Oft hatte ich dabei das Gefühl, ich gäbe ihnen ein Stück jener Kultur, von welcher sie hier gerne mehr gehabt hätten.
So vergingen die Wochen. Meine Zahnbehandlung wurde abgeschlossen, das Geld, mein Reisepass und ein neues Handtuch kamen gut per Post bei mir an, und der Auftritt mit Saber stand bevor. Um die zehn Musikgruppen nahmen an dem Wettbewerb teil. Jede durfte nur ein Lied vortragen. Saber hatte sich für La femme de mon ami entschieden, einen besonders leidenschaftlichen Chanson d’amour.
Der Saal, der am Abend der Vorstellung bis zum letzten Platz gefüllt war, fasste schätzungsweise 500 Zuhörer. Eine fünfköpfige Jury entschied über die Sieger des Abends, wobei es als ersten Preis einen einwöchigen Hotelurlaub in Ägypten zu gewinnen gab.
Wir waren als Vorletztes an der Reihe. Die zwei Gitarren wurden verstärkt, Saber und ich bekamen ein Mikrofon. Unser größter Vorteil war die Popularität Sabers – mit »Saber-Saber«-Rufen wurden wir auf der Bühne empfangen. Der Jury imponierte das offensichtlich nicht besonders. Immerhin belegten wir am Ende Platz drei. Als Trostpreis gab es einen CD-Player und für jeden ein T-Shirt, und weil Saber bei sich daheim schon einen CD-Player besaß, landete der neue in der Wohnung von Asis.