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Damaskus
ОглавлениеBeim Ausstieg am zentralen Busbahnhof bekam ich eine syrische Tausend-Pfund-Note geschenkt. Ich kannte die Währung und ihre Kaufkraft noch kaum und wusste nicht, dass die umgerechnet vierzehn Euro etwa drei bis vier Tageslöhnen eines durchschnittlichen syrischen Arbeiters entsprachen. Der junge Mann drückte mir den zusammengefalteten Schein in die Hand, nickte kurz, drehte sich um und war weg. Einfach so.
Was war hier los? Und weshalb war mir so etwas nie in Deutschland, Österreich oder Italien passiert? Dort, wo die Menschen doch eigentlich viel mehr zu geben hatten?
Je ärmer das Land, desto großzügiger die Menschen … diesen Spruch hatte ich schon ein paarmal gehört. Doch dass er sich so schnell und in diesem Ausmaß bewahrheiten würde, hatte ich nicht erwartet. War das ethisch vertretbar? Dass ich als reicher Deutscher Geld von diesen Menschen annahm? Klar, im Moment war ich arm, oder besser: Ich lebte arm. Denn von arm sein konnte keine Rede sein. Nicht mit deutscher Staatsbürgerschaft und der damit verbundenen sozialen Mindestabsicherung, nicht im Vergleich zu den hiesigen Verhältnissen und nicht vor dem Hintergrund, dass ich mir im Laufe der letzten Jahre doch den ein oder anderen Euro hatte zur Seite legen können – nicht zuletzt durch den Verkauf meines Ladens. Ich spielte arm.
Im Moment jedoch fühlte ich mich alles andere als arm. Die atemberaubende Gastfreundschaft der Menschen hier ließ das nicht zu. Der Gast war König. Und was hätte ich tun sollen? Es machte die Menschen offenbar glücklich, mir zu helfen. Sich mit mir zu unterhalten, mir ihr Land zu erklären, ein Teil meiner Reise zu werden – das erfüllte sie mit Stolz.
Adman bezahlte mir ein Taxi, welches mich in ein Stadtviertel bringen sollte, in dem es günstige Unterkünfte gab. Er betonte mehrfach, ich solle dem Taxifahrer kein Geld geben, sollte er welches verlangen. Er hätte schon alles bezahlt. Wir verabschiedeten uns, dann saß ich das erste Mal meiner Reise in einem Taxi.
Admans Bedenken erwiesen sich als berechtigt. Der Taxifahrer versuchte tatsächlich, mir am Ende der Fahrt Geld abzuknöpfen. Obwohl ich darauf gefasst war und genau wusste, dass ihm nichts zustand, fiel es mir nicht ganz leicht, seine Versuche abblitzen zu lassen. Zwar wusste ich bereits, was »nein« auf Arabisch heißt, doch wie man davon in solchen Momenten Gebrauch davon machte, musste ich noch etwas üben. Eines stellte sich jedoch schnell heraus: Wer nicht »nein« sagen kann in Syrien, kommt nicht weit.
Ich konnte heute keinesfalls im Freien schlafen. Es herrschte viel zu viel Betrieb, und die schmutzigen Straßen sahen in der Dunkelheit nicht besonders einladend aus. Es stank nach Abgasen. Ich fragte in drei verschiedenen Herbergen nach dem günstigsten Schlafplatz. Ausgerechnet in einem Hotel wurde mir das billigste Angebot gemacht. Bis auf die Toilette und die Gemeinschaftsdusche auf dem Gang war sogar alles halbwegs sauber. Und in Anbetracht der Tatsache, dass die Übernachtung nur etwas über zwei Euro kostete, konnte ich mich auch nicht drüber beklagen, dass ich das kleine Zimmer mit drei anderen Männern teilen musste.
Am nächsten Morgen herrschte in den Straßen ein buntes Treiben. An jeder Ecke Straßenstände, Schuhputzer, Zigaretten- und Teeverkäufer. Anfangs hatte ich noch Hoffnung, die Altstadt auf eigene Faust erkunden zu können, doch ich musste bald einsehen, dass ich wohl nie wieder zu meinem Hotel zurückfinden würde, wenn ich in dem unübersichtlichen Straßengewirr einmal die Orientierung verloren hätte. Deshalb war der Tipp eines Gemüsehändlers, bei der nahe gelegenen Touristeninformation eine Karte zu besorgen, Gold wert. Diese gab es sogar kostenlos, und ich ließ mir dort als Erstes den Standort des Hotels eintragen.
Dass trotzdem noch viel schiefgehen konnte, lag einerseits daran, dass ich die große Hauptstraße meiden und mir einen Weg durch die viel schöneren kleinen Gassen suchen wollte; andererseits an der islamischen Gastfreundschaft. Erst fünf Stunden später, nach zwei Einladungen zum Tee, etlichen Arabischnachhilfestunden, zwei Telefonnummern und einer E-Mail-Adresse, stand ich endlich vor dem großen Westtor der alten Stadt. Mit dem Tor beginnt der berühmte »Suq Al-Hamidiya«, ein einzigartiger Markt, der sich mit seinen zwei Hauptarmen durch das alte Damaskus zieht. Den Geschichtsbüchern zufolge ist Damaskus die älteste durchgehend besiedelte Stadt der Welt. Als ich die ersten Schritte durch die uralten Gassen machte, befand ich mich inmitten eines Marktes, wie er auch vor 500 Jahren ausgesehen haben könnte. An Gewürzstände und Teeläden reihten sich Tuch- und Stoffhändler, in der einen Ecke gab es Vasen, Tongefäße und handgewebte Gebetsteppiche, in einer anderen Olivenölseifen aus Aleppo.
Wie mir bereits in der Türkei aufgefallen war, waren solche Märkte, genau wie die Städte, in unterschiedliche Branchen unterteilt. So traf man zum Beispiel nur selten auf ein einzelnes Fahrradgeschäft, meist befanden sich dann in derselben Straße noch weitere Fahrradläden. Jedes Viertel hatte sein Spezialgebiet. Es gab Handwerker- und Friseurs-, Automechaniker- und Metzgerviertel.
In Damaskus hatte das für mich zur Folge, dass ich teilweise stundenlang unterwegs war, um etwas Bestimmtes zu suchen. Ich kam gerade aus der Gold- und Silberschmuckgasse, als ich vor mir die riesige Umayyaden-Moschee erblickte, benannt nach der gleichnamigen Kalifendynastie in der Zeit von 660 bis 750 nach Christus.
Unsicher, ob der Zutritt auch Nichtmuslimen erlaubt sei, drehte ich erst einmal eine Runde um die Moschee – angesichts ihrer Größe und den überfüllten Gassen ringsherum ein zeitaufwendiges Unterfangen. An den zahllosen aufdringlichen Andenkenhändlern konnte ich fleißig »nein« sagen üben, bis mich einer ansprach, der etwas anderes wollte als mein Geld. Nicht einmal ein Viertel meiner Moscheeumrundung hatte ich geschafft.