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Türkei
ОглавлениеDas Schiff war kaum besser als eine Nussschale. Die fünfzehn anderen Passagiere saßen in der vollbesetzten Kajüte vor ihren Kotztüten. Die See war rau. Der Wind peitschte die Wellen meterhoch und warf das Boot von einer Seite zur anderen. Ich verbrachte die meiste Zeit draußen an Deck; das bedeutete zwar, dass ich nass wurde, was ich dem Geruch drinnen allerdings immer noch vorzog.
Im Hafen machte ich das erste Mal von meinem Reisepass Gebrauch. Der Beamte hinter dem Schalter stellte mir ein paar Fragen, ohne sich übermäßig für meine Antworten zu interessieren, stempelte meinen Pass und klärte mich auf, dass ich ab heute drei Monate Aufenthaltserlaubnis in der Türkei hätte.
Bodrum war bekannt für seine wunderschöne Lage am Meer und ein beliebtes Ausflugsziel für Touristen, doch durch den grauen Schleier, der heute über dem Meer, den angrenzenden Klippen und der Stadt lag, war von alledem nicht viel zu sehen.
Die Busbahnhöfe in der Türkei wurden zumeist von Dutzenden Busunternehmen angefahren, deren kleine Büros sich in den umliegenden Häuserzeilen befanden. Als ich mich dem Busbahnhof näherte, stürmte eine Schar Türken auf mich zu.
»Wo wollen Sie hin? Wo wollen Sie hin?«, riefen sie in ziemlich schlechtem Englisch durcheinander.
Ich war überfordert. War das noch Gastfreundschaft oder schon Aufdringlichkeit?
»Das weiß ich noch gar nicht, ich … « Noch bevor ich ausreden konnte, zog mich schon einer von ihnen am Ärmel hinter sich her. Während ich mich noch fragte, ob man sich hier nur um Touristen oder auch um Einheimische so intensiv bemüht, stand ich schon vor dem Schalter eines Reisebüros und suchte auf einer Türkeikarte an der Wand nach einer geeigneten Route.
»Dort will ich hin!«, sagte ich und deutete mit dem Finger auf den Grenzübergang zwischen der Türkei und Syrien.
»Das ist weit«, antwortete der Mann hinter dem Schalter. »Sie müssen erst nach Konya – das sind etwa elf Stunden Fahrzeit – und dann umsteigen in einen Bus nach Antakya. Noch mal knappe zehn Stunden.«
Nach kurzem Smalltalk nannte er mir den Gesamtpreis von 62 Neue Türkische Lire.
In Euro umgerechnet entsprach der Preis etwa 33 Euro; davon achtzehn für die Fahrt nach Konya, weitere fünfzehn bis nach Antakya. Von dort aus sei es nur noch eine Busstunde bis zur syrischen Grenze. Ich hatte noch kein Geld gewechselt, doch er nahm auch Euro und gab mir das Wechselgeld in Lira zurück.
Abfahrtszeit: früher Abend. Bis dahin wollte ich Proviant einkaufen und mir die Gegend ansehen. Als ich aber mit einer Handvoll Karotten, zwei Äpfeln und einem Fladenbrot vom Markt kam, schlug das leichte Nieseln plötzlich in einen gewaltigen Platzregen um. So schnell es ging, eilte ich zurück zum Busunternehmen. Dort begrüßte mich der Chef lächelnd mit einem »Willkommen in der Türkei!« und reichte mir ein Handtuch. Weil es pausenlos weiterregnete, verbrachte ich den restlichen Nachmittag hier. Ein älteres Ehepaar und eine Frau mittleren Alters warteten ebenfalls auf ihren Bus. So gut es ging, kamen wir ins Gespräch und die Frau, die etwas Englisch sprach, versuchte, mir ein paar türkische Wörter beizubringen.
Das wichtigste Wort für einen Straßenmusiker? »Danke«. Normalerweise eher kurz und einfach. Wie »Merci«, »Gracie« oder »Thank you«. Im Griechischen wunderte ich mich noch über das relativ schwierige »Efcharistó«. Doch das türkische »Teşekkür ederim« wurde das wohl schwierigste »Danke« meiner Reise.
Die Zeit verging mit den dreien wie im Flug. Am Ende schaffte ich es, das »Teşekkür ederim« ein paarmal fehlerfrei hinzubekommen. Trotzdem – der alte Ehemann konnte sich bei meiner Aussprache nach wie vor kaum halten vor Lachen.
Dann kam der Bus. Die Fahrt dauerte die ganze Nacht. Dann acht Stunden Wartezeit auf meinen Anschlussbus nach Antakya. Was tun so lang? Wahrscheinlich hätte ich die Zeit auf dem riesigen Busbahnhof abgesessen, wenn mir nicht ein Türke, mit dem ich im Bus ins Gespräch gekommen war, riet, ein bisschen Sightseeing in Konya zu machen. Ganz oben auf der Liste: das Mevlana-Museum. Celaleddin Rumi, von seinen Anhängern »Mevlana« (zu Deutsch »unser Herr/Meister«) genannt, hatte dort seine Grabstätte.
Wenig später saß ich in einem kleinen Sammeltaxi, welches mich ins Stadtzentrum brachte. Das »Taksi«, ein umgebauter alter VW-Bus, füllte sich nach und nach, bis alle Plätze belegt waren. Das hielt den Fahrer nicht davon ab, noch weitere Fahrgäste aufzusammeln, der Wagen platzte bald aus allen Nähten.
Drinnen: alle Augenpaare auf mich gerichtet. Ein beklemmendes Gefühl. Immer wenn ich die Blicke erwiderte, sahen sie schnell weg. Bis auf eine Ausnahme. Ein Herr, um die fünfzig, saß mir schräg gegenüber, und als sich unsere Blicke trafen, zwinkerte er mir durch seine Nickelbrille freundlich zu.
»Wo willst du hin?«, fragte er mich auf Englisch mit einer rauen, tiefen Stimme.
»Ins Zentrum, zum Mevlana-Museum.«
Ich hatte natürlich keine Ahnung, wann ich aussteigen musste.
»Ist es noch weit?«, wollte ich wissen.
»Nein. Die nächste Haltestelle musst du raus. Und von dort aus sind es nur zwei Minuten bis zum Museum.«
Er sagte etwas zu seiner Sitznachbarin, die ihm daraufhin den Weg zum Ausgang frei machte. Mit einer Kopfbewegung deutete er an auszusteigen.
»Wenn du willst, kann ich dich hinbringen. Aber im Moment hat es noch geschlossen. Es öffnet erst in zwei Stunden – bis dahin wäre es mir jedoch eine Ehre, dich zum Essen einladen zu dürfen.«
Was für ein Angebot! Ich überlegte noch kurz, ob ich irgendwelche Bedenken haben müsse, doch seine freundliche, sympathische Art überzeugte mich. Hunger hatte ich allemal.
Er führte mich zu einem winzigen Lokal, in dem nur drei kleine Tische standen, und erzählte von den türkischen Essgewohnheiten. Am Morgen esse man zum Beispiel Suppe, erklärte er mir und bestellte uns zwei Teller davon. Dazu tranken wir etliche Gläser sehr starken Schwarztees. Nach dem dritten Teller Suppe tranken wir Tee, rauchten und tauschten uns über die unterschiedlichen Bräuche und Gewohnheiten unserer Länder aus.
Ich erzählte ihm von den Meinungen, die ich in Kos gehört hatte. Es überraschte ihn keineswegs.
»Es ist die traurige Wahrheit«, meinte er, »dass viele Griechen und Türken immer noch nicht gut aufeinander zu sprechen sind. Du wirst auch hier nur selten ein gutes Wort über die Griechen hören. Der Zypernkonflikt trägt die Hauptschuld daran. Es wurden damals viele Fehler gemacht, sowohl auf griechischer als auch türkischer Seite, was bis auf den heutigen Tag nicht ganz ausgestanden ist.«
Wir unterhielten uns, bis wir das Museum erreicht und uns verabschiedet hatten. Erst da fiel mir ein, dass ich ihn nicht einmal nach seinem Namen gefragt hatte. Ich bereute es schnell. Er war ein außergewöhnlicher Mensch gewesen, das hatte ich von Anfang an gespürt. Das freundliche Gesicht mit der scharfen, markanten Nase und tiefgründigen, dunklen Augen. Mir blieb nichts anderes übrig, als die Erinnerung dankbar ins Herz zu schließen.
Das Museumstor öffnete sich, die Schlange setzte sich in Bewegung. Das Herzstück des Mevlana-Museums bildete eine kleine, wunderschön gebaute Moschee, in der der Leichnam Rumis in einem prunkvollen, über und über mit Gold verzierten Sarg lag. Rumi hatte im 13. Jahrhundert gelebt und war nicht nur einer der bedeutendsten persischsprachigen Dichter seiner Zeit, sondern auch Gründer des Derwischordens in Konya, spiritueller Führer und wohl populärster Vertreter des intellektuellen Sufismus.
Wie alle Besucher musste auch ich meine Schuhe ausziehen, um die Moschee betreten zu dürfen. Eine Handvoll türkischer Besucher wusch sich die Füße an einem Brunnen vor der Moschee. Im Vorraum waren etliche antike, kunstvoll handgeschriebene Korane in arabischer Schrift ausgestellt. Es herrschte eine andächtige Ruhe in den heiligen Räumen, allerdings nur so lange, bis eine zwanzigköpfige japanische Reisegruppe eintrat. Sehr zu ihrem Leidwesen durften sie allerdings ausgerechnet Rumis Sarg nicht fotografieren.
Nach einer guten Stunde hatte ich alles gesehen. Doch noch immer waren es über fünf Stunden bis zur Abfahrt meines Busses. Ausreichend Zeit, die Stadt zu erkunden.
Noch vier weitere Male wurde ich von wildfremden Menschen zum Tee eingeladen, zweimal sogar mit komplettem Frühstück (beim dritten Mal konnte ich einfach nicht mehr). Diesmal versäumten wir nicht, Namen und Adressen auszutauschen. Einer bot mir sogar an, einige Tage hier in Konya zu verbringen und bei ihm zu Hause zu wohnen, doch mit dem Hinweis auf mein bereits bezahltes Busticket lehnte ich seine Einladung ab. Unter all den Bekanntschaften befand sich keine einzige weibliche Person.