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Syrische Freunde

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»Hallo, mein Freund, was trägst du in deiner Tasche?«, fragte er mich in fließendem Englisch.

»Meine Gitarre. Wieso?«

»Hättest du nicht Lust, mir ein Lied vorzuspielen?«

Natürlich hatte ich Lust.

»Welche Musikrichtung hätten Sie denn gern?«, fragte ich, während ich den Gitarrensack aufschnürte.

»Kannst du was von Eric Clapton?«

Perfekt, dachte ich, da hatte ich ein paar auf Lager. Für Wonderful tonight war es noch zu früh, und für Tears in heaven war es hier zu laut, also spielte ich Before you accuse me.

Der Händler hieß Tony, und er selbst und sein Musikgeschmack waren so außergewöhnlich wie sein Name für diese Gegend.

Sein Geschäft lag direkt neben der hohen Mauer der Umayyaden-Moschee, weshalb die Akustik sehr gut war. Am Ende des Stückes standen noch drei andere Zuhörer vor mir, sie schienen ebenfalls zum Laden zu gehören. »Noch eins!«, riefen sie und klatschten.

»Seid ihr euch sicher?«, fragte ich.

»Na klar! Komm schon!«

Ich spielte The Joker von der Steve Miller Band, das hatte ich erst seit kurzem im Repertoire und musste es noch etwas üben.

Es gefiel ihnen offensichtlich gut, bis mir plötzlich einer von ihnen mitten im Lied bedeutete aufzuhören. Ich wusste nicht wieso und spielte weiter, erst als alle drei energisch abwinkten und nach oben deuteten, gab ich nach und setzte ab.

Ich blickte in den Himmel, um irgendetwas zu erkennen.

»Das Stundengebet!«

Jetzt hörte ich es auch.

»Es dauert nur ein paar Minuten, dann kannst du weiterspielen.«

Von allen Minaretten der Stadt ertönten die Gebetsrufe. Nicht unverstärkt wie in früheren Zeiten, sondern über Lautsprecher, die an den Türmen angebracht waren; aber immerhin – es war noch live, denn von jeder Moschee klang es ein wenig anders.

»Möchtest du ein Glas Tee?«, fragte mich einer von ihnen, anstatt sich auf den Boden zu werfen und zu Allah zu beten.

Sie brachten einen kleinen Hocker.

Wie die übrigen Läden ringsherum verkauften auch sie Wasserpfeifen, Schalen, Tücher und sonstige Reiseandenken. Tony stellte mir alle vor: seinen Neffen Mike, der hin und wieder im Laden arbeitet; sowie Wasim und Bassam, die beide an der Universität von Damaskus Betriebswirtschaft studierten. Sie setzten sich zu mir in den Schatten der Moschee auf den Straßenabsatz.

»Ich kann auch auf dem Boden sitzen«, sagte ich und wollte meinen Sitz für jemand anderen frei machen.

»Nein, nein, nein!«, meinte Bassam und drückte mich zurück auf den Hocker. »Du bist der Gast.«

Tee wurde eingeschenkt, Mike bereitete eine Wasserpfeife mit Erdbeertabak.

Die Gebetsrufe waren inzwischen verstummt. Drei Stunden lang saßen wir so da, tranken Tee und rauchten. Wasim war sehr darauf bedacht, mir die arabischen Verhaltensregeln beizubringen. Er meinte, dass es einem wohl keiner übelnehme, wenn man als Ausländer mal das ein oder andere verkehrt mache, aber man müsse ja nicht gleich in alle Fettnäpfchen treten. Es ging schon damit los, dass ich den Wasserpfeifenschlauch falsch hielt. Beim Weiterreichen des Schlauches sollte man darauf achten, nie mit dem Mundstück auf jemanden zu zeigen, er muss immer zu einem selbst schauen, alles andere wird als ungehobelt empfunden. Beim Entgegennehmen des Pfeifenschlauches ist es elegant, davor die Finger des Gebenden kurz abzutippen, und zwar mit der rechten Hand.

Mir war schon etwas schwindlig vom Erdbeertabak.

»Raucht ihr eigentlich oft Wasserpfeife?«, fragte ich.

»Tarek schon«, antwortete Wasim und grinste. Auch Mike musste lachen.

»Das stimmt doch gar nicht«, verteidigte sich Tarek. »Mike raucht mindestens genauso viel.« Er saugte beleidigt am Pfeifenschlauch. »Und wenn schon, mir schmeckt’s eben.«

Eine weiße Erdbeerwolke zog an mir vorbei.

»Aber es gibt Leute, die rauchen das Fünffache von Tarek«, sagte Wasim und deutete mit dem Kopf auf das Café nebenan. Davor rauchten an kleinen runden Tischen einige alte Männer, die wirklich so aussahen, als ob sie schon Ewigkeiten dort sitzen würden. Jeder von ihnen hatte eine eigene Wasserpfeife. Von Zeit zu Zeit kam eine Bedienung mit heißen Kohlen und schürte die Köpfe der Pfeifen neu an, damit sie gut brannten.

»Ich vermute, er da raucht am allermeisten«, sagte ich und deutete auf einen uralten Araber mit wettergegerbtem Gesicht. Schon seit Minuten saß er regungslos da, das Mundstück wie im Mundwinkel angewachsen.

Wasim drückte meinen Arm sachte hinunter.

»Noch eine Regel, Max. Nie mit dem Finger auf jemanden zeigen.«


Es gab wirklich noch viel zu lernen.

Seit Athen hatte ich nicht mehr so viele Touristen auf einem Haufen gesehen. Doch im Vergleich zu Griechenland waren hier mehr Abenteurer und Rucksacktouristen unterwegs.

Der Standort von Tonys Laden eignete sich bestens für Straßenmusik. Wie in den meisten Teilen der alten Stadt war auch hier Fußgängerzone. Es herrschte dauerhaft Betrieb.

Die anderen meinten zwar, dass ich in Syrien nicht viel Geld verdienen könne, aber derartige Bedenken hatten sich auch schon in der Türkei als unbegründet herausgestellt.

»Bloß weil es keiner macht, heißt das noch lange nicht, dass es nicht funktioniert!«, erwiderte ich und holte meine Mundharmonika aus dem Rucksack.

»Darf ich mich hier hinstellen?«, fragte ich Tony.

»Überall wo du willst«, sagte er und legte die erste Münze in meinen Hut.

»Hauptsache, du bleibst in der Nähe, damit ich dich gut hören kann.«

So viele Stücke mit Mundharmonika hatte ich noch gar nicht. Genau genommen waren es erst drei, von denen zwei so schräg klangen, dass nur noch eines in Frage kam: How many roads.

Kurze Zeit später standen bereits die ersten Zuhörer um mich herum. Tarek half mir bei einigen Stücken mit meinem Kazoo, denn ich hatte immer Schwierigkeiten, die kleine Blechtröte während des Spielens in den Mund zu bekommen. Wir vereinbarten ein Zeichen, bei dem er mir das Kazoo einfach zwischen die Zähne schob. Ich spielte dann ein Solo, welches immer nach einem rostigen alten Saxophon klang, bis er mir anschließend die Tröte wieder aus dem Mund nahm. Besonders wertvoll waren derartige Kazoo-Einlagen aus musikalischer Sicht nicht gerade, doch lockten sie immer viele Zuhörer an, die neugierig stehen blieben, um zu sehen, was für ein seltsames Instrument da gespielt wurde.

Wasim machte den Rhythmus mit dem Shake-Ei; nachdem ich es wochenlang mit mir herumgetragen hatte, wurde es nun endlich das erste Mal benutzt.

Wir bekamen Beifall.

Inzwischen konnte ich sogar »schukran kezir« sagen – »vielen Dank«.

»Am Schlagzeug, meine Damen und Herren … Mr. Wasim! … Und an der Trompete … Mr. Tarek!«

Das ging leider noch nicht auf Arabisch, aber diese Art von Ansagen hören sich auf Englisch sowieso am spektakulärsten an.

In der Menschentraube, die sich um uns gesammelt hatte, erkannte ich eine Gruppe Touristen, was mich auf die Idee brachte, mal wieder etwas Deutsches zu spielen – Ein Bett im Kornfeld.

Ich war mir schon fast sicher, dass sie ebenfalls Deutsche seien, doch als wir später ins Gespräch kamen, stellte sich heraus, dass sie Holländer waren und das Lied zwar kannten, aber nur ein paar Worte verstanden hatten.

Die Einnahmen an diesem Nachmittag waren nicht atemberaubend – für syrische Verhältnisse jedoch durchaus bemerkenswert. Etwa umgerechnet fünf Euro zählte ich nach anderthalb Stunden Spielzeit in meiner Mütze. Ich verabredete mich mit Wasim und den anderen für morgen, denn es war schon spät geworden und ich wollte, bevor ich zum Hotel zurückkehrte, noch ein wenig durch die alte Stadt spazieren. Zwei Angebote zum Übernachten hatte ich heute ausschlagen müssen, da ich das Hotel bereits im Voraus für zwei Nächte bezahlt hatte.

Von einem jungen Araber, der mich zuvor singen gehört hatte, wurde ich zum Abendessen eingeladen. In einem winzigen Lokal, nur eine Minute von Tonys Laden entfernt.

Wir setzten uns.

Die Küche befand sich mit im Gastraum, man konnte beim Zubereiten der Speisen zusehen.

Nach kurzer Zeit wurde das Essen serviert. Wir bekamen Dicke Bohnen mit hauchdünnem weißem Fladenbrot und frischen Kräutern. Er nannte es »Ful«. Es schmeckte äußerst ungewohnt, und ich war froh, dass ich so großen Hunger hatte.

Es gab noch so unendlich viel zu entdecken in der alten Stadt. Unzählige verwinkelte kleine Gässchen, in welchen man sich so leicht verirren konnte; Handwerksläden, in denen an uralten, handbetriebenen Maschinen gearbeitet wurde; Metzgereien, die ganze Kamelköpfe als Spezialitäten verkauften; alte Männer beim Bridge-Spielen auf der Straße; verschleierte Frauen beim Einkaufen …

Es herrschte eine märchenhafte Atmosphäre, wie in Tausendundeiner Nacht. Doch war sie augenblicklich verschwunden, als ich die gewaltigen Stadtmauern verließ und der lärmenden Hauptstraße zurück ins Hotel folgte, in der es nach Abgasen stank.

Die Rezeption bestand aus nicht viel mehr als einem kleinen Tisch und war, als ich ankam, ausnahmsweise besetzt. Ein Mann saß, in seine Zeitung vertieft, dahinter auf einem Stuhl. Erst als ich ihn ansprach, fiel mir auf, dass er geschlafen hatte. Umständlich teilte ich ihm mit, dass ich morgen abreisen würde – ich vertraute fest darauf, irgendwo anders unterzukommen.

Meine Zimmerkollegen im Hotel waren nicht besonders kontaktfreudig. Meistens lagen sie im Bett und lasen, nur ab und zu wechselten sie ein Wort. Vorsichtshalber trug ich, wie sonst, wenn ich im Freien übernachtete, alles Wertvolle am Körper – meine Kamera, mein Taschenmesser und meinen Geldgürtel. Meine vier Glücksbringer hatte ich sowieso bei mir in der Hosentasche, und die Gitarre legte ich neben mich ins Bett. So fühlte ich mich sicherer, wenngleich es zum Schlafen ein wenig ungemütlicher wurde.

Die folgenden Tage vergingen wie im Flug. Ich verbrachte viel Zeit mit Wasim und seinen Freunden, sie kümmerten sich rührend um mich. Jedes Mal übernachtete ich woanders – die meisten Einladungen musste ich ablehnen, weil ich bereits jemand anderem zugesagt hatte. Fast täglich spielte ich vor Tonys Laden Gitarre, und wie es der Zufall wollte, stand eines Tages Monika unter den Zuhörern. »Alte Schwedin!«, dachte ich und umarmte sie freudig.

Unplugged

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