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Zahnarztbesuche auf Syrisch
ОглавлениеEin Stechen im rechten Oberkiefer brachte mich auf andere Gedanken. Heute wollten Saber und Asis mit mir zum Zahnarzt gehen.
Die Praxis des ersten bestand nur aus zwei Räumen, dem Wartezimmer und dem Behandlungsraum. Im Wartezimmer blätterte die Farbe von der Decke, wie in der Wohnung von Asis wohl durch einen Pilz ausgelöst. Ein Deckenventilator, der wohl ursprünglich dafür gedacht war, die Mauern trocken zu halten, verteilte die kleinen Farb- und Schimmelpartikel gleichmäßig im gesamten Raum. Eine weiße, flockige Schicht bedeckte alle Oberflächen. Mit einem der ausgelegten Magazine befreiten wir drei der Stühle von ihrem weißen Belag und setzten uns.
Kurz darauf kam eine Zahnarzthelferin mit streng gebundenem Kopftuch und bat uns in den Behandlungsraum. Der Zahnarzt war ein junger Mann mit Dreitagebart. Ohne Umschweife deutete er mir an, auf dem Behandlungsstuhl Platz zu nehmen.
Ich dachte, er würde gleich losbohren, aber Asis sagte, es handle sich nur um eine kurze kostenfreie Voruntersuchung.
Nach Aussage des Zahnarztes mussten die Wurzelkanäle erneut behandelt werden, der Zahnstumpf präpariert und darauf eine Krone angepasst werden. Für diese bot er mir zwei Varianten an: die hier übliche Halbmetallkrone für fünfzehn Euro; oder die stabilere, ansehnlichere, aber weitaus teurere Vollkeramikkrone für 200 Euro. Wir teilten dem Zahnarzt mit, über sein Angebot nachzudenken, und verließen die Praxis.
Im düsteren Treppenhaus hätten die Reaktionen von Asis und Saber zu meiner kaum unterschiedlicher sein können. Gerade das erste Angebot für fünfzehn Euro erschien mir beängstigend günstig, Asis und Saber hingegen prangerten den Preis von 200 Euro für die Vollkeramikkrone als maßlos überteuert an. Nicht leugnen konnte man jedenfalls die außergewöhnlich hohe Preisdifferenz zwischen beiden Varianten, weshalb wir uns darauf einigten, noch weitere Zahnärzte zu Rate zu ziehen.
Im Laufe des Nachmittags stellte sich nach und nach heraus, dass der erste Zahnarzt im Vergleich zu den anderen tatsächlich deutlich teurer war, allerdings befanden sich deren Praxen in einem noch schlechteren Zustand. Oft arbeiteten sie ganz ohne Zahnarzthelfer, die Räumlichkeiten waren meist spärlich und wirkten improvisiert. Schlussendlich und nach Abwägung aller Angebote entschied ich mich für die teurere Variante des ersten Zahnarztes.
Gleichzeitig drängte sich die Frage auf, woher ich das viele Geld nehmen sollte. Um all meine Ersparnisse – zu diesem Zeitpunkt wären sie wohl knapp an die 200 Euro rangekommen – für die Zahnbehandlung auszugeben und ohne Geldreserven weiterzureisen, dafür hatte ich im Nahen Osten und in einem Land wie Syrien zu große Bedenken.
Ein anderer Umstand bot jedoch bereits die Lösung an. Mein Reisepass war nur noch bis Ende August gültig. Ich benötigte demnach zeitnah einen neuen Pass. Den hatte ich auch kurz vor der Reise beantragt, und er lag schon zu Hause bei meiner Mama bereit, um mir zugeschickt zu werden.
Allerdings war das mit dem Schicken so eine Sache. Offiziell dürfen Pässe oder Ausweise nicht per Post versendet werden. Also lag die Idee nahe, mir zusammen mit meinem neuen Pass das Geld für die Zahnbehandlung schicken zu lassen. So günstig wie im Moment würde die Situation wohl nicht mehr so schnell werden – ich hatte ein mehr oder weniger festes Zuhause und darüber hinaus genügend Zeit, um auf ein Päckchen warten zu können.
Um all das zu organisieren, rief ich das erste Mal während meiner Reise zu Hause an. Ich benutzte ein öffentliches Münztelefon auf der gegenüberliegenden Straßenseite unseres Wohnblocks – alt und mitgenommen sah es aus, und dementsprechend schlecht war die Verbindung. Der Straßenlärm im Hintergrund tat sein Übriges. Bei meinem ersten Versuch ging nur der Anrufbeantworter ran. Erst ein paar Stunden später hatte ich mehr Glück.
Man kann sich vorstellen, wie eine Mutter in so einem Moment reagiert. Es ist schwer zu sagen, ob ihre Überraschung oder ihre Freude überwog, jedenfalls fielen die Münzen viel zu schnell durch den Apparat. Nach knappen zwei Minuten mussten wir unser Gespräch beenden.