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4. Die theologische Verortung von Odo Casel
ОглавлениеArno Schilson gelangt in seiner Habilitationsschrift zur Einsicht, dass Casels Theologie gänzlich zeitgebunden ist, d.h., dass Casel auf der Suche nach Antworten auf spezifische Fragen und Geisteshaltungen seiner Zeit ist. Die Mysterientheologie wird als eine der „Not der Zeit“ verpflichtete theologische Neuorientierung verstanden. Der Positivismus und Historismus des 19. Jahrhunderts zeigt seine Auswirkungen. Der Individualismus als vorherrschende Haltung, sowie Technik und Naturwissenschaft als Orientierungspunkte, prägen die Jahre bis zur Jahrhundertwende 1900. Die Theologie dieser Zeit ist in den wesentlichen Zügen der Neuscholastik verpflichtet und die rationale und systematische Durchdringung des Glaubensgutes steht im Mittelpunkt der Theologie. In dieser Phase sieht Casel jedoch die Rückkehr zu einem neuen symbolischen Denken, das Rationalismus und Materialismus überwinden soll und eine Wende einleitet, die schließlich nach 1918 ihren Gipfel in der Renaissance der Mystik und der Tendenz zu mystischreligiösen Grundhaltungen erreicht.233 In dieser Zeit, in der Casel seine ersten Schriften in „Ekklesia orans“ veröffentlicht, sieht Schilson drei Sehnsüchte, die die Menschen bewegen. Die Sehnsucht nach Objektivem, d.h. die Hingabe des Subjekts an das Bestimmtwerden, die Sehnsucht nach Gemeinschaft, d.h. die bewusst vollzogene Abwendung von subjektivindividualistischer Vereinsamung und die Sehnsucht nach Transzendenz, d.h. die Abkehr von Positivismus, Materialismus und Naturalismus. Alle drei Sehnsüchte haben ihren Niederschlag im Versuch der Phänomenologie, der deutschen Jugendbewegung und in erneuerter Mystik gefunden. Zugleich existiert eine Korrespondenz zwischen Geistes- und Liturgiegeschichte. D.h., die liturgische Bewegung hat sowohl eine kirchliche wie auch kulturelle Verortung. So bemüht sich Casel, Schilsons unterstreicht dies, alle Aspekte der Kulturkrise und Zeitenwende in seinen Ansatz zu integrieren, ohne einen Identitätsverlust für das Christentum zu riskieren.234