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4.5 Casels Zeitverständnis und Geschichtsdeutung

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Geschichte ist in der Caselschen Denkform nur ein Aufscheinen göttlicher Gedanken. Sie wird zum Abbild des ewigen Urbildes, so dass man sagen kann, dass die biblische Heilsgeschichte zugunsten eines platonisch geprägten Geschichts- und Wirklichkeitsverständnis beiseitegelegt wird. Eine positive heilsgeschichtliche Christologie ist so kaum möglich. Dass bedeutet, dass sein Ansatz nicht bei der konkreten Geschichte ansetzt, sondern in der Ewigkeit Gottes. Also versteht er die Geschichte als Verwirklichungsraum der ewigen Ideen Gottes.274

Dies hat Konsequenzen für die Zeitauffassung Casels, die man in drei Kategorien einteilen kann. Einmal verwendet er einen antiken Zeitbegriff eines Kreislaufs der Zeit, ein Rad des Werdens, das in sich zurückläuft, ein ewig sich drehendes Rad, gleichsam eine „Zeitschlange, die sich in den Schwanz beißt“. Eine weitere Zeitauffassung, die Casel dem Spätmittelalter entlehnt, ist eine sich stets fortsetzende Zeit, ohne Umkehr oder Rückkehr. Schließlich kennt Casel eine dritte Zeitauffassung, die er den Ausführungen von Friedrich Nietzsche entlehnt. Sie definiert er als eine Art ewiger Wiederkehr des Gleichen. Letztlich favorisiert Casel jedoch keine dieser Konzeptionen, sondern er zieht es vor, eine eigene Auffassung von Zeit zu entwickeln, die er auf dem christlichen Glauben gründet. Die Basis bildet das Kirchenjahr, in dem Casel sowohl das Kreisförmige bzw. Wiederkehrende, als auch das sich Entwickelnde vereint sieht. Beide Spielarten bestehen hier in- und miteinander. Es erfolgt gleichzeitig, die Vorbereitung auf die Ewigkeit, ewigkeitsträchtige Zeit durch das Christusmysterium, wodurch wiederum die Geschichte transzendiert wird und sich göttliche Gegenwart ereignet.275 Casels Geschichtsverständnis ist christozentrisch auf das Christusereignis als prägende Mitte ausgerichtet. Geschichte bekommt hier eine soteriologische Dimension verliehen. Diese kommt dem Menschen mysteriologisch nahe, weil das Christusmysterium unter den kultischen Zeichen anwesend ist. Dass bedeutet, dass das historische Christusereignis zusammen mit dem bleibenden Christusmysterium im Kult der Kirche die Mitte und das Ziel der Caselschen Geschichtsauffassung bildet. In Christus begründet und eröffnet sich die Heilsgeschichte. Mit dieser Geschichtsbegründung überschreitet Casel zugleich die Grenze zum Übergeschichtlichen, denn für ihn ist die eschatologische Wirklichkeit nicht nach der Zeit, sondern in der Zeit und Geschichte bereits verborgene Tatsache der Endgültigkeit von Geschichte, die durch die pneumatische Anwesenheit des Christus verbürgt wird. Es gibt also keine Heilsgeschichte ohne das Material von Weltgeschichte. Sehen wir zur Verdeutlichung dieser Caselschen Geschichtsauffassung auf das konkrete Verständnis der Auferstehung Christi. Die Auferstehung Jesu Christi sprengt als pure Heilsgeschichte den Rahmen von Zeit und Geschichte und wird zum Wendepunkt von Weltgeschichte. Das Erscheinen Christi ist das entscheidende Faktum in Zeit und Geschichte. Die Anwesenheit Christi ist für Casel das Ineinanderfallen von Geschichte und Eschatologie. Durch den Ursprung aller geschichtlichen Ereignisse im ewigen Heilsplan Gottes in Christus wird zugleich die Möglichkeit eröffnet, dass jede Zeit dem Eschaton gleich nahe bzw. fern ist.276 Auf dieser Grundlage wird verständlich, dass Casel zwei Formen von Feiern der Heilstat Jesu unterscheidet: Die historische und die metaphysisch-pneumatische Form. Erstere betrachtet die Heilsereignisse in ihrem geschichtlichen Ablauf von der menschlichen Perspektive her, die zweite Form fokussiert die Gesamtheit der Heilsgeschichte in einen Blickpunkt wie in einer Synopse. Diese Betrachtungsweise findet er im biblischen Bereich bei Paulus und Johannes. So baut er seine pneumatologische Grundlegung der zusammenfassenden Schau der Heilsgeschichte in der Mysterientheologie auch auf Paulus auf.277 Wie lässt sich nun Casels Theologieentwurf ansatzweise definieren. Versuchen wir dies im nächsten Schritt zu beantworten, um es uns für unser Thema klar zu machen, mit welcher Intention Casel seine Mysterientheologie entwickelt.

Die Eucharistie als Opfer der Kirche

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