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4.1 Die Wurzeln der Theologie Casels

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Wie bereits gesagt, hat Odo Casel Bedeutung für die liturgische Bewegung. Die Benediktinerabteien sind intensiv in die liturgische Erneuerung zu Beginn des 20. Jahrhunderts eingebunden. Besonders Maria Laach entwickelt sich zu einem innerdeutschen Zentrum der liturgischen Bewegung. Der Laacher Abt Ildefons Herwegen, ebenfalls ein Förderer der Bewegung, betraut Casel mit verschiedenen Aufgaben im Sinne der neuen Bewegung. Sogar Romano Guardini erhält von Laach her Anstöße für seine Arbeit und eröffnet mit seinen Beitrag die Laacher Schriftreihe „Ekklesia orans“. A. Schilson untersucht, inwieweit Casel in seinem Denkansatz von der Denkweise Herwegens abhängig ist, mit dem Ergebnis, dass durchaus Differenzen in peripheren thematischen Fragen vorliegen, jedoch die große Übereinstimmung im gemeinsamen theologischen Ziel liegt, zu einer patristisch fundierten Christozentrik und Ekklesiozentrik zurückzukehren, die eine sakramentalobjektiv verstandene Christusmystik einschließt.235 Herwegen entwickelt seinen eigenen Mysteriengedanken aus den biblischen Schriften, wobei er besonders Paulus und Johannes236 in den Blick nimmt. Er richtet sein Augenmerk auf Texte, die vom erhöhten und verklärten Christus, der in der Kirche fortwirkt, sprechen. Er wendet sich dementsprechend bewusst gegen die Leben-Jesu-Forschung des 19. Jahrhunderts. Dabei ist die Vorgehensweise des Laacher Abtes Herwegen, nicht auf wissenschaftliches Herleiten, sondern auf theologische Intuition ausgerichtet. Damit will er der Mysterientheologie eine Zeitbezogenheit geben und dem Anspruch von Aktualität genügen. Somit besitzt eine solche Mysterientheologie dem wissenschaftstheoretischen Status nach keineswegs den Charakter einer bis ins Detail erarbeiteten philosophischen oder theologischen Theorie. Inhalt einer so betriebenen Theologie fragt bei den biblischen Schriften nicht nach ihrer liturgischen Relevanz für bestimmte Vollzüge. Der Kern dieser Mysterien-theologie, und das wird bei Herwegen deutlich, weist auf den Urgrund, d.h. das fortwirkende Handeln Christi.237 Der Ort dieses Fortwirkens Christi ist in der Konzeption Herwegens die Liturgie. Da ereignet sich Christusbegegnung, die zu einer Gleichgestaltung des Christen mit Christus wächst, bis hin zur Ebenbildlichkeit als christianus alter Christus. Gerade dieser Ansatz zum Liturgieverständnis fasziniert schließlich Odo Casel. Schilson unterstreicht, dass Casel dabei nicht als „ausführendes Organ“ seines Abtes gesehen werden kann. Vielmehr ist von wechselseitigen Einflüssen und Hilfestellungen zur Erkenntnis des Mysteriums auszugehen. Da beide eine Vorliebe für die Patristik zeigen, ist es nicht verwunderlich, dass beide ihre Sakramentenbetrachtung auf die sacramenta maiora, also Taufe, Firmung und Eucharistie beschränken.238

Schilson referiert das Anliegen Herwegens detailliert und ordnet es in den zeitgeschichtliche Rahmen ein. Diese Einschätzung können wir hier nur knapp darlegen. Herwegen sucht Antworten auf die Fragen seiner Zeit. Dabei gewinnen Vergleiche von Antike und Germanentum in ihrer jeweiligen Idealtypisierung an Bedeutung. Zugleich erhält die Liturgie Totalitätscharakter, wobei das Wort „omnia instaurare in Christo“ von Papst Pius X. eine nicht unbeträchtliche Rolle spielt. Es ist deutlich, dass der Liturgie das Prädikat verliehen wird, die Lösung des Ausgleichs zwischen Individuum und Gemeinschaft und damit zwischen Subjektivem und Objektivem zu erbringen. Herwegen setzt mit diesem Liturgieverständnis einen Kontrapunkt zum Individualismus. Er bietet so für die Kontroverse von Subjektivem und Objektivem in seiner Zeit die Perspektive einer theozentrischen Neuausrichtung des Menschen an, d.h. das Göttliche ist der neue Mittelpunkt, der Gemeinschaft unter den Menschen schenkt. Die liturgische Erneuerung, im Sinne einer Neuausrichtung auf das einende Göttliche, wird als Antwort auf die Suche nach dem Objektiven gegeben: Die Kirche erfüllt den Anspruch der vollkommensten Gemeinschaft, da in ihr Teilnahme am vollkommensten Objekt, dem göttlichen Leben, möglich ist. Dieser Denkansatz Herwegens impliziert eine Rückbesinnung auf antikes und griechisches Denken. Altkirchliche Liturgie wird von ihm als objektives Denken verstanden, dass sich mit Beginn des Mittelalters zu einer formlosen, individualistischen und subjektivistischen Sichtweise veränderte. Diese Analyse ermittelt tiefe Unterschiede zwischen Antike und Germanentum im Bereich Gott, Mensch und Welt. Das unterschiedliche Seins-Verständnis spielt die entscheidende Rolle. Im Germanentum vermisst Herwegen das Objektive in Liturgie und Frömmigkeitsformen. Die kirchliche Gemeinschaft, als mystischer Leib Christi, besitzt nur moralische Qualität, Gemeinschaft ist vom Einzelwillen abhängig. Dagegen setzt Herwegen auf ein ausgewogenes Verhältnis von Objektivismus und Subjektivismus, die beide untrennbar mit dem Christentum verbunden sind.239 Die Perspektive, die der Laacher Abt für das Denken Casels gibt, richtet den Blick auf die Anfänge des Christentums und besonders auf die Form und den Inhalt der Liturgie. Sie ist Ausdruck des Wesens des Christentums, des Lebens Christi in den Getauften, d.h. der Umbildung des Christen zu einem ‚anderen Christus`. Schilsons Analyse der Abhängigkeit zwischen Herwegen und Casel in dieser Fragestellung zeigt, dass Gedanken Casels in den Schriften seines Abtes auftauchen, aber Herwegen eine vermittelndere und ausgleichendere Position der Mysteriengedanken einnimmt.240

Dem Denken Herwegens und Casels ist Romano Guardini verbunden. Dieser unternimmt, durch Casels Mysterientheologie inspiriert, einen eigenen Versuch, in der Kategorie des Mysteriums zu denken. Es zeigen sich dabei einige Differenzen, nach einer Zeit des Austausches dann auch Annäherungen. Worum es dabei geht, hat wiederum Arno Schilson dargelegt, auf den wir nochmals zurückgreifen: Guardini bestimmt im Sinne Casels die Liturgie als Einbindung in Christus. Die Liturgie ist hier Selbstausdruck des Menschen, aber sie ist nicht vollkommener Besitz des Menschen. In ihr ist nur die Möglichkeit gegeben, den Abstand zwischen Sein und Sollen überbrückbar zu machen. Die Eucharistie wird bei beiden Theologen als die heilshafte Vergegenwärtigung des Christusereignisses gesehen, so dass von der Identität des realen Ereignisses gesprochen werden kann. Einigkeit besteht somit in der Sichtweise des Mysteriums als kultisch-liturgische reale Vergegenwärtigung des einmalig Geschichtlichen, so dass nicht von Verdoppelung gesprochen werden kann. Eine unterschiedliche Auffassung zwischen Guardini und Casel liegt hingegen beim Verständnis der Gegenwart des geschichtlich Vergangenen im antiken Mysterium.241

Die Gemeinsamkeiten zwischen Casel und Guardini lassen sich in drei Punkten zusammenfassen. Zunächst ist das Bewusstsein der Kulturwende zu nennen, die mit einer Hinwendung zum antiken Denken und dem Vorrang des Objektes bzw. des Logos einhergeht. Ein weiterer Punkt ist das christozentrische Kirchenverständnis als corpus Christi mysticum. Durch dieses „Neuerwachen der Kirche“ tritt an die Stelle privater Frömmigkeit die objektiv-gemeinschaftliche Frömmigkeit. Letztlich begreifen beide Theologen die Mitte des Christentums von der praktizierten liturgischen Feier her, als der Vergegenwärtigung der Heilstat Christi. Dennoch bleiben Unterschiede zu Casel bestehen, denn Guardini bezieht durchaus die Philosophie und Kultur seiner Zeit in seine Überlegungen ein. Damit soll die subjektive und objektive Grundhaltung philosophisch-phänomenologisch verdeutlicht und grundgelegt werden. Im Bereich der Liturgie setzt Guardini auf Bildung, damit der liturgische Gedanke nicht losgelöst wird von kirchlicher Gemeinschaft. Auch die Gemeinschaft der Kirche hat bei Guardini einen fundamental anderen Stellenwert, denn er bezieht allgemein-soziologische und auch pastoral-pädagogische Überlegungen ein.242

Die Gedanken Odo Casels sind für Anton Mayer, Mitherausgeber des „Jahrbuches für Liturgiewissenschaft“, Grundlage für dessen eigene analytische Untersuchungen zu Liturgie und Kunst, die uns hilft, die Mysterientheologie in ihrer Entstehungszeit einzuordnen. Mayer baut seinen Ansatz auf seine Annahme, dass man den Geist einer Epoche an Kunst und Liturgie ablesen kann. Demnach definiert er zwei Epochenwellen: Die Begegnung von Antike und Germanentum, als Übergang von der Romanik zur Gotik und der kulturelle Umbruch zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Den Übergang der Romanik zur Gotik charakterisiert Mayer als das Eindringen des germanisch Subjektiven ins antike Objektive. Z.B. bedeutet dies für das Symbolverständnis, dass das Symbol als Sinnträger und als kultisch gefeiertes Mysterium subjektiviert wird, und so individuelle Mystik fördert. Der „Geist der Gotik“ bestimmt ab dem 12. Jahrhundert die geschichtliche Entwicklung durch Individualismus, Subjektivismus und Ethizismus. Mayer sieht die Scholastik, inklusive der Flucht aus der kultischen Gemeinschaft in private Frömmigkeitsformen, als den theologischen Ausdruck des Zeitgeistes, der bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts prägt. Danach findet er in Philosophie, Literatur und Kunst einen Um- und Aufbruch, denn er entdeckt ein Verständnis eines Symbols, in dem das Natürliche der objektive Ausdruck eines dahinter stehenden geistigen Gehaltes ist, also die Hinwendung zum Objektiven. Zugleich ist damit das Unverfügbare anerkannt. Dass zugleich das Kirchenbild „Kirche als Leib-Christi“ zu diesem Zeitpunkt in den Fokus rückt, wertet Meyer als Indiz für den Umbruch auch auf theologischem Gebiet.243

Wir sehen, dass Casel mit seinen innovativen theologisch-liturgischen Gedanken eingebunden ist in eine Zeitströmung, wir wollen darum dazu übergehen, grundlegende theologische Prämissen in Casels Denken vorzustellen.

Die Eucharistie als Opfer der Kirche

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